Wie viele Demonstrierende braucht es, um einer Regierungspartei einen Prozentpunkt in den Umfragen zu klauen? Die Antwort liegt irgendwo bei 15.000, so viele haben mit Greta Thunberg in Lützerath gegen die Abbaggerung des Dorfes durch RWE protestiert. In der anschließenden „Sonntagsfrage“ kamen die Grünen, die den Deal mit dem Kohlekonzern geschlossen hatten, nur noch auf 17 Prozent Zustimmung – in der Vorwoche waren es noch 18. Eine Klimaschutzpartei lässt ein Dorf mit Kohle darunter abbaggern, auf dass bald 280 Millionen Tonnen CO₂ in die Luft geblasen werden? Gefällt nicht allen. Das bringt einen doch auf Ideen!
Wenn der Protest in Lützi für die bundespolitische Stimmung einen Unterschied gemacht hat, sollte sich dann auf kommunaler Ebene nicht so richtig was reißen lassen? In Frankfurt ist am 5. März 2023 eine OB-Wahl. Die Grüne Manuela Rottmann will dann Oberbürgermeisterin werden. Dabei kämpft die 50-Jährige so leidenschaftlich für ein lokales Klimaschutzprojekt, wie ihre Parteifreunde Robert Habeck und Mona Neubaur das für den Erhalt von Lützerath getan haben – nämlich gar nicht.
Konkret: In Frankfurt soll der Fechenheimer Wald gerodet werden, um Platz zu machen für den Ausbau der Autobahn A66. Durch den geplanten zwei Kilometer langen Riederwaldtunnel soll diese mit der A661 verbunden werden. Dem vorm Aussterben bedrohten Heldbockkäfer, der in dem Forst zu Hause ist, dürfte das nicht gefallen. Und was macht Rottmann? Im Interview mit der Frankfurter Rundschau sagte die Grüne, die Entscheidung zum Tunnelbau sei „gefallen“ und es ginge nun darum, „das Projekt so schonend wie möglich umzusetzen“. Die Aktivisten, die dagegen kämpfen, könnten den Bau nicht mehr verhindern. „Wir müssen uns an Recht und Gesetz halten.“
Ob Frau Rottmann noch so redet, wenn der Fechenheimer Wald, jetzt nach dem Fall von Lützi, zum neuen Symbol deutscher Klimapolitik wird?
Seit einem Jahr campieren dort ein paar Dutzend Waldbesetzer unter dem Motto „#FecherBleibt“. Anfang der Woche wurde mit der Räumung durch die Polizei begonnen. Wozu? Damit nach der Fertigstellung Tausende Autos über eine Frankfurter Stadtautobahn brettern können? Und das in einer Zeit, in der die Emissionen im Verkehrssektor 14-mal so schnell sinken müssen wie bisher, wenn Deutschland seine Klimaziele für 2030 einhalten will? Ein Hoffnungsschimmer: In NRW, wo Lützerath liegt, stand keine Wahl vor der Tür; in Hessen ist das zum Glück anders.
Das Abbaggern von Lützerath ist genauso „demokratisch legitimiert“ wie die Rodung des Fecher. In Hessen ist der grüne Verkehrsminister, Tarek Al-Wazir, für den Bau des Riederwaldtunnels: Das stünde ja so im schwarz-grünen Koalitionsvertrag, meint er. Dass im Fechenheimer Wald 42 Vogel- und neun Fledermausarten (darunter die geschützte Bechsteinfledermaus) leben, die das Roden ihres Habitats nicht so toll fänden? Das ist dem Grünen Al-Wazir weniger wichtig als der Koalitionsfrieden mit der CDU.
Im Wahlkampf in NRW setzten Grüne auf das Thema Umwelt: „Unabhängig von Kohle“ stand auf den Plakaten von Mona Neubaur. Auch Manuela Rottmann in Frankfurt reklamiert für sich, „immer gegen den Riederwaldtunnel gekämpft“, aber eben verloren zu haben. Doch sie und Al-Wazir, der sich im Herbst der Landtagswahl stellen muss, kann man noch unter Druck setzen. Die Rodungsarbeiten müssten Ende Februar abgeschlossen sein, wegen der Nist- und Brutzeiten der Vögel. Vielleicht kommen in den nächsten Tagen doch noch genug Leute in den Forst, um das Abholzen bis dahin hinauszuzögern.
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