Ich bin verloren in der Wildnis. Ist das jetzt unmännlich?

Kolumne Super Safe Space Unser Autor geht auf Fahrradtour, Wildcampen inklusive! Während sich das Bild von Männlichkeit längst gewandelt hat, spürt er: Keine Ahnung zu haben, wie man ein Zelt aufbaut oder eine Felge repariert, lässt einen dumm dastehen als Typ
Ausgabe 32/2023
Am Zelte eines Mannes, zeigt sich…
Am Zelte eines Mannes, zeigt sich…

Foto: Imago/ Andia

Ein Freund, der vielleicht mein bester Freund ist, hat mir eine Anforderungsliste für unsere sommerliche Fahrradtour geschickt. „Die Bedingungen sind ja bekannt“, schrieb er: Bereitschaft zum Wildzelten, eine gewisse Leidensfähigkeit sowie ein fernreisetaugliches Fahrrad. „Wenn du die erfüllst, willkommen an Bord!“

Vielleicht war er noch genervt vom letzten Jahr. Da machten wir eine mehrtägige Tour durch Brandenburg und ich nahm bereits in Rheinsberg, als wir an einem verlockenden Wellnesshotel vorbeifuhren, eine Rechenleistung vor: Selbst wenn das hier ’nen Hunni pro Nacht kostet, könnten wir unsere Reise einfach radikal verkürzen und zwei Spa-Tage an diesem sich als „Seehotel“ anpreisenden Ort verbringen: einem Haus im mediterranen Baustil, inklusive Pool und Massage-Angebot. Wie entspannt wir nach Hause kämen! Wie viele Kilometer wir uns sparen würden!

Der Freund wollte davon nichts hören: Ich wäre doch bloß genervt, kein Schutzblech am Fahrrad zu haben, weswegen mir seit Stunden das Regenwasser gegen den Rücken spritzte. Hätte ich mich vorher um dieses technische Problem gekümmert, stünde ich jetzt nicht so doof da.

Ich gebe es zu: Meine Wildnis-Kompetenz geht gegen null. Der Freund ist bei der Feuerwehr und musste schon mal eine Wasserleiche aus der Havel ziehen. Und ich? Das Abgefahrenste, was mir mein Vater als Kind in Sachen Natur beigebracht hat, war, wie man einen Teil unseres Gartens in einen „Wildgarten“ verwandelt. Wie das geht? Einfach den Rasen an der besagten Stelle nicht mehr mähen. Sonntagmorgens, nach dem Frühstück, stand mein alter Herr dann stolz mit seiner Kaffeetasse in der Hand vorder meterhoch wuchernden Wiese, in der er allerlei Tiere vermutete. Angeln, Zelten, an Autos schrauben? Das war nichts für ihn.

Henker am Lenker

Vielleicht ist deswegen aus mir ein Mann geworden, der weder Ahnung von Technik hat noch besonders naturverbunden ist. Aber muss man das heute eigentlich noch sein, um sich männlich zu fühlen? Waren wir nicht schon mal weiter?

Die Dating-Plattform Bumble hat 2020 eine Umfrage gestartet: Für 58 Prozent der Befragten sind „Hilfsbereitschaft und Respekt“ die wichtigsten Eigenschaften eines modernen Mannes, gefolgt von „Einfühlungsvermögen“ (45 Prozent) und „Ablehnen sexistischen Verhaltens“ (41 Prozent). Davon, dass man wissen muss, wie man ein Zelt aufbaut oder ein Fahrrad repariert, steht da nichts. Wieso finde ich es dann unangenehm, wenn jemandem auf der Strecke die Felge bricht oder der Reifen platzt und keiner auf die Idee kommt, ich könnte die passenden Ösen oder ein Set Flickzeug parat haben?

Wahrscheinlich liegt es daran, dass diese ganzen Umfragen totaler Unsinn sind. Keiner da traut sich zu sagen, wie männlich sie es finden, wenn ein Typ blut- und ölverschmiert alles im Griff hat in der freien Natur. Es wäre nicht mehr sozial erwünscht, zuzugeben, dass man dieselben Dinge maskulin findet wie die Leute vor 50 Jahren.

Meine Lösung? Ich fahre mit auf die Wildcamping-Fahrradtour, statt meinen Urlaub Goethe lesend in einem Café zu verbringen. Auf diese Weise werde ich technisch nicht komplett abgehängt und kann mir was bei meinen Freunden abgucken. Während die ihre Fahrräder selbst straßenverkehrstauglich machen, habe ich meins in einen Laden namens „Radcore“ gebracht. Da hat mir ein schmächtiger kleiner Mann mit „Henker am Lenker“-Shirt eine Reihe von Mängeln aufgelistet. Ich habe alle brav abgenickt und gezahlt.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Grünes Wissen“, „Social Media“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlichte er längere Reportagen u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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