Linkspartei in Erfurt: Blessuren des Klassenkampfes
Parteitag Nach dem Parteitag in Erfurt steht die Linke so gespalten da wie zuvor. Der Wagenknecht-Flügel wurde öffentlich desavouiert – und die Zukunft der Partei scheint fraglicher denn je
Janine Wissler wird in Erfurt mit 57 Prozent erneut zur Parteivorsitzenden gewählt
Foto: Jacob Schröter/Imago Images
Bernd Riexinger geht an Krücken, sein rechter Fuß steckt in einem medizinischen Schuh. „Blessuren des Klassenkampfes“ seien das, scherzt er und lässt sich dann auf einen der vielen Stühle in der Messehalle fallen. Ob er noch Kontakt zu Sahra Wagenknecht habe, so hin und wieder? „Nein, gar keine Beziehung“, antwortet der 66-Jährige, „unsere Wege sind in der Partei auseinandergegangen.“ Zu schwer haben sie sich das Leben gemacht. Damals, als sie beide noch führende Positionen in der Linken hatten.
„Sahra, geh mit dem Satz nicht vor die Presse“, habe er sie 2016 in einem Parteigremium angefleht, „sonst bricht die Hölle los.“ Aber, zack, ein paar Minuten später stand die Fraktionsvorsitzende vor
zende vor den Kameras und kommentierte die Silvesternacht von Köln mit diesen Worten: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt.“ Was hätte er als Parteichef anderes machen sollen als dagegenzuhalten, fragt Riexinger, im Programm hätten doch „offene Grenzen für alle Menschen“ gestanden! Jetzt, sechs Jahre später, trifft sich die Linke in Erfurt wieder einmal zum Parteitag. Und der Kampf zwischen linkspopulären Wagenknechtianern und der gemäßigteren Bewegungslinken kommt zu einer Entscheidung.Obwohl der aktuelle Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch hinter den Kulissen versucht hatte, die verschiedenen Parteiströmungen auf zwei gemeinsame Kandierende einzuschwören, kam es zu einer Kampfabstimmung auf offener Bühne. Die gewann am Ende das gemäßigte Lager: Die amtierende Parteivorsitzende Janine Wissler erhielt 57 Prozent und der Europapolitiker Martin Schirdewan 61 Prozent der Delegiertenstimmen. Ein „Durchmarsch“ der Bewegungslinken sieht anders aus. Der Eindruck entstand nur, weil Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, die beide von Wagenknecht unterstütz worden waren, durchfielen. Am Freitag, zu Beginn des Parteitages, hatte eine Linke vor genau diesem Szenario gewarnt: „Wenn das passiert, gehen 40 Prozent der Partei in die Emigration.“ Zumal auch Harald Wolf, ebenfalls aus dem Wissler-Lager, im Amt des Bundesschatzmeister bestätigt wurde. Ob sich jetzt die Wagenknecht-Fans aus der Partei zurückziehen? Nach diesem Wochenende scheint alles möglich.Janine Wissler hat was riskiertDer Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko gehört dem Wagenknecht-Lager an. „Ja“, sagt der 58-Jährige, „Sahra hat mich gebeten, heute zu sprechen.“ Denn Wagenknecht selbst ist gar nicht dabei beim Parteitag der Linken in Erfurt. Sie sei krank, heißt es von den einen. „Die will nicht in die Bütt“ von den anderen. Also musste ihr Vertrauter Hunko einen Änderungsantrag im Plenum verteidigen, den er mit Wagenknecht und 80 anderen Genossen dem Parteitag zur Abstimmung vorgelegt hatte. Darin ging es um den Krieg in der Ukraine. „Kontextualisieren“ will Hunko den, „er kommt ja nicht aus heiterem Himmel.“ Da sei die „wortbrüchige“ NATO-Osterweiterung, dann die 5 Milliarden US-Dollar für den „Putsch“ auf dem Maidan – und das Minsk-II-Abkommen sei ja auch nie durch die ukrainische Regierung umgesetzt worden. Am Ende stimmen 90 Prozent der Delegierten gegen den Antrag.„Ohne Wenn und Aber“ müsse der Krieg verurteilt werden, hatte Janine Wissler zuvor dem Parteitag durch ein Mikrofon zugerufen – und sich damit gegen Wagenknecht, Hunko und Co. durchgesetzt. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum sie gewählt wurde: Wissler hat sich, im Gegensatz zu Pellmann und Reichinnek, vor ihrer Wahl eindeutig positioniert, was riskiert. Wenn am Samstag irgendein Antrag durchgekommen wäre, der den Krieg „kontextualisiert“, anstatt ihn in Bausch und Bogen zu verurteilen, dann wäre sie weg vom Fenster gewesen. Ein „Ersetzungsantrag“ kam diesem Szenario schon ziemlich nah: Knapp 42 Prozent der Delegierten stimmten für ein Papier, in dem von den „imperialistischen Widersprüchen“ zwischen NATO und Russland die Rede ist. Und wo Sanktionen gegen Moskau als „Wirtschaftskrieg“ bezeichnet werden. Doch auch dieser Antrag fällt durch. Und so kann Martin Schirdewan, der neue Co-Vorsitzende, abends vor die Presse treten und von einem „eindeutigen Signal“ sprechen, welches der Parteitag heute ausgesendet hätte: „Es gibt keine Rechtfertigung für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.“Gregor Gysi gendert nichtGregor Gysi fordert bei seiner Rede am Samstag, sich jetzt, wo die Linke in einer „existenziellen Krise“ sei, auf die großen Themen zu konzentrieren. „Hört auf mit dem kleinkarierten Mist in unserer Partei!“ Aber weil er damit offensichtlich auch das Gendern meint, kommt er nicht gut weg bei den jüngeren Mitgliedern. „Das gehobene Bürgertum, das diese Schreibweise fordert, will ja nicht Verhältnisse ändern“, sagt er, „das will nur die Schreibweise ändern!“Strategisch war das nicht besonders clever. Am Abend zuvor hatte die Linksjugend auf der Bühne Erfahrungsberichte von Genossinnen vorgelesen, die in der Linken sexuell belästigt wurden. „Ist das deine Mitarbeiterin?“, habe ein Funktionär zu einem Kollegen im Aufzug gesagt und die Frau neben ihm dann von oben bis unten gemustert. „Hübsch, etwas klein vielleicht – aber im Liegen ist das ja egal!“ Aber Gysi ist sowieso bei Teilen der Partei nicht mehr besonders wohlgelitten. Schon am Freitag schlugen einige vor, seine Rede zu streichen oder zumindest stark abzukürzen, um länger über den Leitantrag reden zu können. Der Vorschlag fand keine Mehrheit, Gysi redet fast zwanzig Minuten.Das Thema sexuelle Gewalt in der Linken spielt eine große Rolle in Erfurt. Wissler wird vorgeworfen, solche Fälle nicht konsequent genug aufgearbeitet zu haben. Und so steht die alte und neue Vorsitzende innerparteilich von zwei Seiten unter Druck: dem radikaleren Wagenknecht-Lager und den Betroffenen von #Linkemetoo. Der Satz von ihrem Co-Vorsitzenden Schirdewan „Wir haben verstanden!“ wird daran kaum etwas ändern. Nach der Wahl von Wissler steht Maja Tegeler, eine trans Politikerin aus Bremen, rauchend vor der Tür und weint.Ukrainische Linke zieht zurückGenerell kann man nicht sagen, dass das neue Führungsduo auf ganzer Linie gesiegt hat. Janis Eling, ihr Wunschkandidat für das Amt des Bundesgeschäftsführer, muss sich am Samstagabend dem Kommunalpolitiker Tobias Bank geschlagen geben.Und immer wieder Streit wegen des Kriegs. Die 19-Jährige Sofia Fellinger, deren Eltern aus der Ukraine kommen, stand ebenfalls auf der Kandidatenliste für das Amt der Parteivorsitzenden. Sie hat rötlich gefärbte Haare, in denen sie einen Blumenkranz trägt. Auf ihrem Shirt steht „Feminismus oder Schlägerei“. Dann, mitten in ihrer Bewerbungsrede, zieht sie die Kandidatur zurück. Zurzeit wolle sie nicht „das Gesicht“ ihrer Partei werden, sagt sie. In ihrem nordrhein-westfälischen Landesverband gebe es einen Typen, der es als „witzigen Gag“ empfinde, ein Putin-Shirt unter dem Pullover zu tragen. Und dann die vielen Wortbeiträge auf diesem Parteitag, wonach Verteidigung genauso „imperialistisch“ sei wie der Angriff selbst? „Das ist unerträglich!“, findet Fellinger.Gleichzeitig gibt es Leute wie Bodo Ramelow, der in seiner Rede am Samstag den Delegierten zuruft: „Seid euch bewusst, dieser Putin ist kein Linker.“ In der Duma liege ein Entwurf, die Souveränität Litauens aufzuheben. „Das ist ein Autokrat!“ Und ja, aus Thüringen würden auch Waffen an die Ukraine geliefert. Beliebt macht er sich bei der Mehrheit seiner Partei damit nicht. Von den prominenten Köpfen ist nur Klaus Lederer auf seiner Seite. In einem taz-Interview hatte er sich einen Tag vor dem Parteitag für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen.Klima der DenunziationSören Pellmann, der tags zuvor nur 31 Prozent bei der Wahl zum Parteivorsitzenden bekommen hatte, rennt gleich am Sonntagmorgen zu den Medien und sagt, sein Engagement werde „mit Füßen getreten“ und er denke jetzt über „persönliche Konsequenzen“ nach. Ungefähr zur selben Zeit spricht Bartsch auf der Bühne davon, dass sich die Partei an diesem Wochenende „zusammengerauft“ habe. Ein Antrag des Landesverbands Baden-Württemberg zeigt, wie weit das von der Realität entfernt ist. Der hatte vor dem Parteitag gefordert, dass die Fraktionsvorsitzenden von dem Bundesparteitag neu gewählt werden sollten. Das jetzige Duo, Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, habe immerhin „einen maßgeblichen Anteil an der Krise der Partei“. BaWü setzt sich letztlich nicht damit durch, aber es ist ein schönes Beispiel für das „Klima der Denunziation“ in der Linkspartei, von dem Gysi nun schon zum zweiten Mal in einer Parteitagsrede sprach.Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich das nach diesem Wochenende ändern könnte. „Nach diesem Parteitag gibt es kaum Hoffnung, dass die Linke ihren Niedergang stoppen kann“, sagte Wagenknecht am Sonntag den Medien.Doch Bernd Riexinger kommt am Sonntagnachmittag mit einem Grinsen im Gesicht angehumpelt. „Wer zu einer Wahl antritt, muss auch damit rechnen, zu verlieren“, sagt er zum Abschied. Und meint damit vor allem Pellmann.