Man nennt es Demokratie

Griechenland In Hellas hat die Demokratie gesiegt. Das ist nicht unvernünftig, sondern griechische Tradition. Sie lassen sich die politischen Leitlinien nicht vom Kapital diktieren 

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Die Griechen holen sich die Demokratie zurück
Die Griechen holen sich die Demokratie zurück

Foto: Getty Images/Milos Bicanski

Die Aufregung war groß. In Griechenland wurde letzten Sonntag eine neue Regierung gewählt. Und das Volk hat sich getraut autonom zu entscheiden. Exaltation! Der Sieg von Alexis Tsipras hat bei den politischen Eliten in Europa eine Welle der Empörung ausgelöst. Diese Reaktion steht als Pars pro Toto für das Demokratieverständnis vieler westlicher Politiker. Wenn es nach ihnen geht, funktionieren demokratische Prozesse nur dann, wenn am Ende die Bürgerlichen regieren. Ansonsten droht die Anomie. Doch in der Demokratie muss man sich „gelegentlich den Ansichten anderer Leute beugen“, wie Churchill wusste. In Griechenland hat es ohnehin Tradition, sich im Zweifel für die Volkssouveränität und gegen Partikularinteressen zu entscheiden. Für die Nachkommen der attischen Demokraten muss es ein Grundbedürfnis gewesen sein, sich aus der Geiselhaft der europäischen Austeritätspolitik zu befreien. Danken tut man es ihnen nicht. Im Gegenteil: Wie viel Wertschätzung man für die Neuen in Athen übrig hat, bewies die Amtsübergabe. Samaras hatte es noch nicht mal nötig, seinem Nachfolger alles Gute für die bevorstehenden Aufgaben zu wünschen. Man kann seinen eigenen Abgang auch mit Gewalt würdelos gestalten.

Nun regiert ein Linker das Land. Schon Bertholt Brecht sagte: „Ändere die Welt, sie braucht es.“ Und Griechenland braucht zweifelsohne eine Veränderung. Jakob Augstein trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er auf Spiegel Online schreibt: „Im Zweiten Weltkrieg wollten die Deutschen Europa erobern. Das ging schief. Man hat ihnen nach der Niederlage dennoch die Hälfte ihrer Schulden erlassen und beim Wiederaufbau geholfen. Die Griechen, denen man von Korruption bis Schlamperei alles Mögliche vorwerfen kann, sind nicht einmal in die Nähe solcher Schuld geraten. Dennoch wurde ihnen ein Sozialvernichtungsprogramm zugemutet, das keine demokratische Gesellschaft aushalten kann.“ So ist es. Natürlich braucht der größte Staat auf der Balkanhalbinsel den Schuldenschnitt. Doch das war politisch nie vorgesehen. Deswegen mussten und konnten wir mit einer Aberration der Griechen vom europäischen Standardkurs rechnen. Und wir sollten sie dafür bewundern.Aber stattdessen bläst ihnen der Wind ins Gesicht, wenn beispielsweise die Bildzeitung titelt: „Die Russen-Connection der Griechen-Radikalos“. Gemeint ist unter anderem, dass Tsipras ein Gegner der Sanktionen gegen Russland ist. Doch damit vertritt er schlicht griechische Interessen. Unerhört! Interessenpolitik käme uns ja nie in den Sinn. Außerdem ist es falsch den Mittelmeeranrainerstaat vor die Wahl zu stellen: Russische Föderation oder Europäische Union. Wir haben dazu kein Recht. Und wer der Auffassung ist, dass sich das Land den Anspruch auf Independenz verbaut habe, sollte sich noch mal über seine politische Gesinnung im Klaren werden. In der Villa Maximos regieren schließlich keine Ochlokraten, sondern demokratisch legitimierte Volksvertreter. Und die wehren sich jetzt. Gegen den eisernen Sparkurs. Gegen die bornierte Haltung gegenüber Moskau. Gegen die Eurokratie. Man kann ihnen dabei nur Glück wünschen.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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