Prädikat: Unwählbar

Liberalismus Die FDP will im Herbst zurück in den Bundestag. Deutschland bräuchte nach der diesjährigen Wahl dringend eine liberale Kraft im Parlament. Aber bitte nicht diese.

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Nicht immer zu unterscheiden: Die FDP versäumt es, ein liberales Gegengewicht zur AfD zu bilden. Stattdessen gibt es zwei Parteien rechts der Union
Nicht immer zu unterscheiden: Die FDP versäumt es, ein liberales Gegengewicht zur AfD zu bilden. Stattdessen gibt es zwei Parteien rechts der Union

Foto: Steffi Loos/Getty Images

Die FDP ist keine unanständige Partei. Leute wie Gerhart Baum, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Burkhard Hirsch meinten es wirklich ernst mit ihrem Kampf gegen Lauschangriff und für Menschenwürde und Bürgerrechte.
Man kann auch noch weiter in der Geschichte zurückgehen: Das Ende der sozialliberalen Koalition war keine Trennung in beidseitigem Einvernehmen - geschenkt! Aber ihre Konstituierung 1969 beendete die Kanzlerschaft eines ehemaligen Nazis, Kurt Georg Kiesinger, und brachte den Antifaschisten Willy Brandt ins Palais Schaumburg. Worth it!

Eine Nebelkerze namens „Neuausrichtung“

Unter der Ägide Westerwelles entwickelte sich die FDP allerdings zur reinen Klientelpartei: Versprochen hatte sie 2009 weit gehende Steuersenkungen, durchgesetzt wurde die Halbierung des Mehrwertsteuersatzes für die kleine elitäre Gruppe der Hoteliers. Zu mehr brachten es die Liberalen damals nicht. Der Absturz 2013 war die logische Folge einer Politik, die sich auf die Partikularinterssen einer winzigen Minderheit, der Wohlhabenden, konzentrierte. Selber schuld!

Dann sollte alles anders werden: 2013 übernahm Christian Lindner das Amt des Parteivorsitzenden und allenthalben war von einer „Neuausrichtung“ die Rede. Und in der Tat: Die reine Verengung auf Steuersenkungen wich einer breiteren Aufstellung auf dem ökonomischen Terrain und auch gesellschaftspolitisch haben die Freien Demokraten spätestens seit der Flüchtlingskrise wieder was zu sagen: Deutschland muss sofort Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten zurückweisen“, sagte Lindner Ende Februar in einem Interview mit der FAZ. Toll! Lindner beschwört Recht und Ordnung, als sei das ein gefährdetes Gut in der Bundesrepublik. Mit Liberalismus hat das wieder mal nichts zu tun. Der hat nämlich, eine theoretische Debatte sei hier vermieden, irgendwas mit Freiheit zu tun. Wieso aber ist es immer die Freiheit derer, denen es besser geht, die die FDP schützen möchte? Was ist mit der Freiheit der Geflüchteten? Die spielt anscheinend nur eine marginale Rolle. Der Zeitgeist ist rechts. Und die FDP will zurück in den Bundestag. Kapische?

Und selbst wenn es ihr im ökonomischen Beritt nicht mehr alleine um Steuersenkungen geht – fordern tut man sie natürlich immer noch: 30 Milliarden Euro Entlastung strebt die FDP an. Das ist nicht nur wirtschaftlich Unsinn, da der Staat – Mariana Mazzucato hat es 2014 bewiesen – eine eminent wichtige Rolle bei Innovationen und Wirtschaftswachstum spielt, sondern auch angesichts von Flüchtlingsintegration, zerbröckelnder Infrastruktur und einer, im OECD-Vergleich, enormen Vermögensungleichheit eine lächerlich unvernünftige Forderung. Und vor ein paar Tagen erklärte der Spitzenkandidat der FDP dann im WDR Fernsehen Pflegekräften die Vorteile eines privatisierten Gesundheitssystems. That's the spirit!!

Gesellschaftspolitisch sieht es fast noch schlimmer aus. Anfang des Jahres verglich der CDU-Mann Peter Tauber Christian Lindner mit dem AfD-Rechten Gauland. Das war Quatsch. Aber stimmen tut: Es gibt zwei Parteien rechts neben der Union.

Dialektik

Seit einiger Zeit verliert die AfD an Zustimmung. Trotzdem kommt sie in aktuellen Umfragen auf knapp zehn Prozent. Mit ihrem Einzug in den Bundestag ist also – nach jetzigem Stand – zu rechnen. Wie dringend wir ein liberales Gegengewicht zu dieser illiberalen Partei bräuchten! Dadurch entsteht – ganz im hegelschen Sinn – ein dialektisches Moment. Denn dieses liberale Gegengewicht, dessen Aufgabe die Verteidigung des genuinen Liberalismus gegen den aufkommenden Nationalliberalismus wäre, ist die Freie Demokratische Partei nicht (mehr). Anfang des Jahres hat Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei, in einem Interview Klientelismus zugegeben und die Flüchtlingsentscheidung der Kanzlerin im Herbst 2015 jovial kritisiert: „Wahrscheinlich hätte ich auch in einem Anflug von Weichherzigkeit gesagt: Lasst die Flüchtlinge zu uns. Aber danach hätte man sofort klarstellen müssen, dass das eine einmalige Sache war und nicht zum Dauerzustand werden kann.“ Wie großzügig von ihm! Aber bedeutete Liberalismus nicht irgendwann mal, dass Grundrechte unabhängig von der Meinung der politischen Kaste durchgesetzt werden können?!

Nun könnte man den Wiedereinzug der FDP ins deutsche Parlament auch mit dem Verweis auf die positiven Folgen einer zunehmenden Polarisierung legitimieren. Ganz nach dem Motto: Konkurrenz belebt das Geschäft! Eine Rückkehr dieser Partei würde jedoch nur wenig zur Polarisierung und stattdessen zur Stabilisierung des ehernen Systems des Neoliberalismus beitragen. Und haben wir von dem nicht langsam genug?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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