Schadenfreude? Unbedingt!

Späh-Affäre Das Handy der Kanzlerin wird zum Schlüssel der Selbstbefreiung. Endlich nimmt der NSA Skandal eine nützliche Wendung. Das macht Schadenfreude zum Muss

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Schadenfreude? Unbedingt!

Foto: JEWEL SAMAD/AFP/GettyImages

Unsere Kanzlerin hat sich empört an Barack Obama gewendet. Der Verdacht der Überwachung des wichtigsten Handys im Staat steht im Raum. Natürlich ist von ihrem Handy die Rede. Empörung trifft halt meistens die Betrogenen. Wen interessiert schon, ob die anderen abgehört werden? Zumindest wurden wir Zeuge einer verhaltenspsychologisch interessanten Situation. Kurzschlusshandlungen ist man von dieser Frau so gar nicht gewohnt. Doch der Affekt siegte gegen die intellektuelle Kontrolle.

Eigentlich wartet sie lieber ab. Lächelt. Sagt Dinge, die ungefährlich und unbedrohlich klingen. Aber jetzt war das Maß anscheinend voll. Hört man auf Merkels Kollegen, hätte sie dieses „entsetzlich ungemütliche“ Gespräch, wie der SPIEGEL die Washington Post zitiert, mit dem amerikanischen Präsidenten nicht führen dürfen. Schließlich ist der Skandal doch vom Tisch. Hat ihr Kanzleramtsminister da vorzeitig etwas als aufgeklärt abgestempelt, das dem deutschen Volk Schaden zugefügt hat? Man will es ihm nicht vorwerfen. Aber man muss.

Wie setzt man das jetzige Verhalten der Regierung in Relation zu dem vorherigen? Damals wurde versucht die Deutschen um ihr Augenlicht zu bringen, um das Gefühl von Sicherheit und Privatsphäre aufrecht zu erhalten. Heute macht man eine Staatsaffäre daraus und beruft den amerikanischen Botschafter ins Auswärtige Amt. Wer hätte schon gedacht, dass die amerikanischen Geheimdienste uns abhören? Einem fällt direkt ein Name ein, dessen Träger seitdem sein Land nicht mehr betreten darf, weil ihm dort die höchsten Strafen drohen: Edward Snowden. Er war trotzdem nicht willkommen in der Bundesrepublik.

Heute hätte die CDU Vorsitzende bestimmt ein paar Fragen an ihn, doch Moskau war schneller. Wir müssen uns die Frage stellen: Welcher Schaden ist für die Deutschen und die Europäer existentieller? Die Überwachung einiger Spitzenpolitiker oder wenn direkt die Gebäude der Europäischen Union angezapft werden? Jeder der seinen Verstand bemüht, wird diese Frage instinktiv richtig beantworten.

Aber das ist Merkel egal. Diplomatie und Schweigsamkeit hören für sie da auf, wo sie sich Chancen für sich selber ausrechnet oder wo man sie angreift. Und jetzt fühlt sich die gebürtige Hamburgerin angegriffen. Da hat sie auch allen Grund zu, aber der Angriff auf sie wiegt leichter, als der Angriff auf Millionen. Einerlei. Ein echter Machtmensch sieht nun mal rot. Auch außerhalb der Koalitionsverhandlungen. Doch geschworen hat diese Dame bei ihrer Vereidigung etwas anderes. Der Paragraph 64 des Grundgesetzes besagt: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe“. Hoppla. Gewählt ist gewählt.

Sei es wie es sei. Unsere Bundeskanzlerin handelt zum ersten Mal in dieser Affäre richtig. Sie flüchtet nach vorne, pfeift auf diplomatische Vorgehensweisen und redet endlich Klartext. Uns sollte es lieber sein, wenn jemand die richtigen Dinge aus den falschen Gründen tut, als wenn gar nichts passiert. Also muss man einfach sagen: Danke Frau Merkel, weiter so! Schadenfreude als Überlebenskunst. Nur wird das deutsche Volk für die Aufklärung der Geschehnisse leider keine Überweisung tätigen. Dafür gibt es ja die Familie Quandt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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