„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ - Volksinitiative ohne Volk

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Die schon in die Jahre gekommene Weise von Franz Josef Degenhardt scheint beim Hamburger Bürgertum derzeit hoch im Kurs zu stehen. Die geplante Schulreform der schwarz-grünen Regierung ist in den letzten Monaten nicht gerade auf positive Resonanz bei der Oberschicht gestoßen.

Grund des Ärgernisses: Der Hamburger Senat plant die Einführung einer sechsjährigen Primarschule, dieallen Kindern ermöglichen soll, die ersten sechs und nicht nur die ersten vier Schuljahre Jahrgangsübergreifend gemeinsam zu lernen.

Man mag sicherlich unterschiedlicher Meinung über das Schulsystem sein. Es gibt Befürworter und Gegner einer These, ganz normal für eine Demokratie.

Die Art, wie sich jedoch die „Volksintiative“ WIR WOLLEN LERNENselbst inszeniert, erweckt den Verdacht, dass es hier primär um etwas ganz anderes geht als um das Wohl der Kinder. Die Oberschicht möchte einfach unter sich sein.

September 2009, ein Hauch der Achtziger-Jahre-Anti-AKW-Bewegung weht durch die Hansestadt. Das Establishment gibt sich rebellisch. Tausende sind an diesem sonnigen Spätsommertag gekommen und laufen Parolen-rufend über den Jungfernstieg. Bei genauem Hinsehen kann man dann doch keinen direkten Vergleich zum Jahr 1981 ziehen. Sportlich-elegante Freizeitjackets ersetzen Bundeswehrparkas, Fasson-Haarschnitte die zottligen Strähnen und Hermès – die Palästinenser-Tücher. Über Mode lässt sich ja bekanntlich streiten. Viele Plakate mit einem Logo, das dann wirklich frappierende Ähnlichkeit mit der Anti-Atomkraft-Sonne hat, ragen in den Hamburger Himmel. Nur dass die Sonne durch einen traurig drein schauenden Schulranzen ersetzt wurde. Die Parole lautet entsprechend: „Schulreformchaos Nein Danke!“

Wie bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele werden Schilder getragen, die auf die Herkunft der Mannschaften hinweisen. In diesem Fall sind hier jedoch keine Ländernamen sondern Stadtteilnamen zu lesen: Blankenese, Eppendorf, Eimsbüttel. Einige der mitgereisten Sprösslinge gucken wahrscheinlich so traurig, weil sie schon Papas 500 EUR – Montblanc -Füllfederhalter im Kreuz stecken haben. „Julius-Laurenz, nun guck doch mal betrübt und halt Dein Schild endlich höher.“ Als Einheizer dienen Rechtsanwalt und Initiator der „Volksinitiative“ Dr. Walter Scheuerlsowie Schauspieler und Quoten-Promi Sky „Santa Maria“ Du Mont.

Nach längerer Beobachtung wird es klar: Hier geht es, und das nicht zu knapp, gegen den „proletarischen Nachwuchs“. Verfechter der Kampagne WIR WOLLEN LERNEN wollen scheinbar schnellstmöglich den eigenen Nachwuchs von Normalo-Kindern, womöglich noch mit problematischem Migrationshintergrund, separieren.

Selbstverständlich ist dies nur eine Mutmaßung, wahrscheinlich geht esausschließlich um das Schulsystem, und der Betrachter sieht nur gelb-blaue Gespenster.

Ein am letzten Donnerstag ausgestrahlter Beitrag der ARD-Sendung Panorama gibt jedoch Anlass zur Sorge.

Eine scheinbar wohlsituierte WIR WOLLEN LERNEN-Verfechterin, von Beruf bestimmt Zahnarzt- Frau, schielt einfältig in die Kamera und schwurbelt etwas von „herangezüchteten Akademiker-Proletariat“. Meint sie damit a) Akademiker aus proletarischem Elternhaus oder b) Akademiker, die zum Beispiel Taxi fahren müssen? Man weiß nichts genaues, sie wahrscheinlich am wenigsten. Hauptsache der Begriff macht etwas her…. Deradrette Vater vor seinem schmiedeeisernen Gartentor weiß: „ Ein Arbeiterkind kann vom Kind eines Vorstandsvorsitzenden profitieren, aber nicht umgekehrt, und das ist nicht zu verantworten!“

Aha, hier kommen wir der Sache schon näher! Profit! Im Klartext: Es liegt keine Win-Win-Situation vor! Der einkalkulierte Return of Investment könnte womöglich später geschmälert werden. Wir haben es somit nicht mit Kindern, sondern mit Miniatur-Leistungsträgern zu tun. Danke für die Erhellung.

Die Initiative WIR WOLLEN LERNENbezeichnet sich als VOLKSINITIATIVE.Das ganze Szenario unter das Deckmäntelchen „Volk“ zu stellen ist in puncto Public Relations natürlich eine Meisterleistung und um einiges eleganter, als eine profane „Bürgerinitiative“ oder in diesem Fall „Eine Initiative des Bürgertums“ auszurufen.

Netterweise haben die Unterstützer der „Volksinitiative“, die immer wieder betont keine elitäre Gruppierung zu sein, auf der Homepage www.wir-wollen-lernen.de/ nicht nur mit Namen sondern auch mit Postleitzahl unterzeichnet. Eine Auswertung ist schnell gemacht, und die bevorzugte Wohngegend unserer „Volksinitiative“ kristallisiert sich schnell heraus: Hamburg-Blankenese und Umgebung, DER soziale Brennpunkt Hamburgs schlechthin, …..wenn das Durchschnittsgehalt in der übrigen Stadt bei 250.000 EUR p.a. läge. Tut er aber nicht.

Die Bandagen, mit denen um die Bildung oder besser für die Abschottung gekämpft wird, sind hart.

So wurden Studenten als Promoter für die Initiative WIR WOLLEN LERNEN gesucht. Bezahlung war natürlich leistungsorientiert:

1 EUR pro gesammelte Unterschrift zur Unterstützung der Initiative. Eine etwas eigenwillige Interpretation von Demokratie.

Wenn sechs Jahre mit dem Pöbel in einer Klasse wirklich so schlimm sind, warum denn nicht gleich eine Sonderbehandlung für den Nachwuchs: Die Sonder-, pardon die Privatschule ist doch auch eine Option für die zahlungskräftige Hautevolee! Die private „University of Whatever But Very Important“ in der Schweiz wartet sowieso schon mit ausgebreiteten Flügeltüren.

Eine Anekdote am Schluss sei noch erlaubt. Es gibt tatsächlich eine Initiative, die sich für die Schulreform ausspricht. Auch wennauf einem nicht ganz so dicken finanziellen Polster gebettet, wirbt „PRO-Schulreform-HH“ (www.proschulreformhh.de) für die sechsjährige Primarschule und das mit einer putzigen Eule im Logo. Diese Eule ist nicht zu unterschätzen. Ursprünglich steckte die Eule in einem Supermannkostüm.Die mit Anwälten durchzogene Initiative WIR WOLLEN LERNEN hat deshalb nicht lange gefackelt und kurzerhand den Gegenspieler wegen „Markenrechtsverletzung des Supermann-Logos“ verklagt. Man muss ja schließlich zeigen, wo der Euro hängt. Supermann duldet keine Flugobjekte neben sich!

Dass das eigene „Schulreformchaos Nein Danke“ - Logo zufällig an die „Atomkraft Nein Danke“ -Sonne erinnert, ist bestimmt an den zottligen Haaren herbeigezogen.

www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=3853020

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