Aufgestellte Krägen, Perlohrringe und Kampener Kringel

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Das schwere Schicksal der Elite oder

Wie gewinnt man öffentliche Räume zurück?

Es ist glatt. Ich schlittere über den Hamburger Neuen Wall, der aufgrund der hier ansässigen Geschäfteund deren Klientel auch gern FDP-Straße genannt wird. Eine Mutter im Pelzoutfit, das an Katharina die Große erinnert, drückt das Gesicht ihres Luxusnachwuchses an die Scheiben der Gucci Filiale. Mir kommt eine Frontaus fünf frisch- gegelten, speck-gesichtigen Rechtsreferendaren entgegen, die in schwere marineblaue Lodenmäntel gehüllt sind.Selbstredend macht der juristische Nachwuchs keinen Platz, um dann eine enge Kurve zu nehmen und in die Escada-Boutique einzukehren. Nachdem ich die Juristen-Riege knapp überlebt habe….

freue ich mich auf den Sommer. Eigentlich.Aber wie auch im vergangenen werde ich mir auch im kommenden Sommer wieder die Fragestellen:

Warum stehen bei bestimmten Bevölkerungsfraktionen die Polohemdkrägen frischgestärkt in den Hamburger Himmel und bei anderen nicht? Wollen sie aristokratisch wirken oder eher Graf Zahl aus der Sesamstraße nacheifern? Ich weiß es nicht.

Vor meinem geistigen Auge sehe ichmich schon jetzt an der Hamburger Außenalster mit einem Heer aus Polohemden, lässig um die Schulter geschwungenen Kaschmirpullis, sogenannten Kampener Kringeln, und Segelschuhenkonfrontiert. Treffpunkt Alsterperle, einst Klohäuschen und Kiosk, heute Klohäuschen, Kiosk und Treffpunkt von Hamburgs selbsternannter Elite, die den schönen Ausblick auf Alster und Hansestadt gern für sich allein hätte….. Anglizismen wie „Oh wie nice, casual, sophisticated“ schwirren durch die laue Sommerluft. Jeder scheint die Rolle des „Kaviar-Honks“ perfekt zu beherrschen. Vor der ehemaligen Bedürfnisanstalt parken immer dieselben Vehikel: Porsche Cayenne und Audi TT, genau genommen die Wartburgs und Trabis der Hamburger „Oberschicht“.

Die elitäre Brut scheint sich stetig zu vermehren. Gerade in Anbetracht der Weltwirtschaftskrise eher verwunderlich. Ich komme diesem Phänomen jedoch auf die Schliche. Bei vielen handelt es sich um täuschend echte Kopien, die dem Original nacheifern wollen. Diese Trittbrettfahrer tragen doch glatt Segelschuhe, ohne sich nicht einmal eine Jolle leisten zu können, geschweige denn einen Bootsführerschein zu haben.

Es gibt zuhauf Zeitgenossen, die Polohemden im Lagerverkauf erwerben und nach Sylt in das Ferienhaus ihrer Zahnarzt-Freunde fahren, das ihnen zu einem Spotpreis für ein Wochenende überlassen wird. Sie möchten sich doch so gern an der Profilierungsmeisterschaft beteiligen. Auch wenn sie im wahren Leben mietfrei eine Einliegerwohnung bei den Eltern bewohnen und ständig in den Miesen hängen, eszählt das Image, die perfekte Vermarktung des Ichs nach außen. Gelenkt vom Sachzwang spielen sie die klägliche Rolle eines uniformierten Komparsen in einer wahnwitzigen Scheinwelt. Da wird dann auch schon einmal der Sansibar-Aufkleber auf den geleasten Firmen-BMW gepappt, den man Monat für Monat abstottert. Und wer kein repräsentatives Auto fährt,kommt lieber zu Fuß. Es wäre ja eine Schmach mit einem 15 Jahre alten Renault Clio aufzukreuzen.

Was ist schlimmer das Original oder die fast perfekte Kopie?

Es wäre doch bestimmt viel lustiger und effektiver, den Brei aus Pastellfarben, Golfmoden und Haar-Gel nicht zu kopieren sondern eher zu karikieren. Man stelle sich vor,ein lauer Sommerabend an der Alsterperle: Nicht böses ahnend feiern sich die üblichen Verdächtigen im schon bekannten neoliberalen Outfit selbst. Frisur sitzt, Kragen gestärkt, Champagner gekühlt.Plötzlich scheinbar aus dem Nichts nähert sich eine Gruppe: Frauen mit überdimensionalen Perlohrringen in der Größevon Fußbällen, Sonnenbrillen, die das komplette Gesicht verdecken, Männer mit 1-Meter-hohen-Polohemd-Stehkrägen und wabernen Gelfrisuren, die hässliche Pfützen in den Lounge-Sofas hinterlassen würden.Jeder ist mit einem überdimensionalen I-Phone ausgestattet. Man nimmt natürlich keine Rücksicht auf den Rest und plärrt permanent und mit 100 Dezibel ins Telefon: „Die Klientel der Alsterperle ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Der Pöbel hat Einzug gehalten! Peinlich, diese kurzen Polohemdkrägen! Haar-Gel scheint wohl auch neuerdings rationiert zu sein!“

Wenn ich es mir recht überlege, freue ich mich auf den Sommer!Morgen fange ich an, mir über Fußballgroße Perlohrringe Gedanken zu machen!

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