„Hier habe ich die Geier Walli frisiert, Ingrid van Bergen und Hans Mosers Frau.“
Die Frau ist weiblich und Jahrgang 1941. Friseurlehre in den 1950ern. In dem Laden mit der grauen Auslegeware in den Colonaden wird heute nicht mehr frisiert, sondern verkauft: Bücher, Musik und Filme. Rein zufällig hat sie sich die DVD vom Großen Fressen gegriffen, eine satirische Abrechnung mit der Bourgeoisie der 1970er. Das Bild eines Kalbskopfs und Michel Piccoli in einem rosa Rollkragenpulli deuten mir den Weg. Da war der Aufenthaltsraum, erste Zigarette, da draußen auf der anderen Seite hinter einer der Säulen vor Pfeifen-Tesch wartete abends unauffällig ihr Freund. Der Rindskopf zeigt jetzt auf die Wand. Nebenan seien sie oft in den Jazz-Keller namens "Barett" gegangen. Während ein paar Häuser weiter der damalige Juwelier Goldemann den Hochzeitsschmuck von Farah Diba, der Gemahlin des Schahs von Persien, samt grell koloriertem Portrait im Schaufenster ausstellte.
Das alles hört sich wie Klischee an. Ein 1950er Jahre-Film-Klischee: Frauen in gestärkten Kleidern und mit Piep-Stimme, Männer in Anzügen und mit Haarwasser-Frisuren, die den bügelgestärkten Damen „den Hof machen“, so etwas wie „Backfisch“ oder „herrlich“ sagen und dann zumeist anfangen zu singen. Ich frage mich, wie sich eine Rückkehr anfühlt. Nach 50 Jahren an einen einst vertrauten Ort. Die Michel Piccoli-DVD lehnt derweil wieder im Regal, Seite an Seite mit Woody Allen.
Steve Jobs wollte die U-Bahn versetzen
Die Hamburger Colonaden – abseits der Shopping-Hotspots. Die Neorenaissance-Torbögen beheimaten teilweise noch die alten Läden. Kleine Läden ohne LED-Firmenlogo, dafür mit geschwungener Leucht-Reklame. Natürlich wird in dieser Straße ebenfalls Ketten-Latte getrunken und in Delis Bagels mit getrockenen Tomaten gegessen. Aber ein kleines bisschen wirken die kleinen Geschäfte im Arkaden-Gang noch so wie eine kolorierte Postkarte.
Die Konsum-Vorlieben ändern sich. Nicht, dass sich das Angebot der selbsternannten Shopping-Metropole Hamburg reduziert hätte. Sicher nicht. Der Jungfernstieg wird sogar seit dem letzten Jahr von einem weißen Phosphor-Apfel des Apple-Flagshipstores bestrahlt. Als Steve Jobs die Immobilie besuchte, die die sechste Apfel-Filiale werden sollte, soll er darum gebeten haben, die klobige U-Bahn-Station zu versetzen, um den Apfel in seiner Ganzheit erstrahlen lassen können. Konsum hat also nach wie vor einen hohen Stellenwert. Das Angebot hat sich nur verlagert. Die U-Bahn-Station übrigens nicht.
Rühmte sich die Stadt in den 1980ern und 1990ern mit 26 Einkaufspassagen, die einen Teenager aus dem Umland regelmäßig um die Orientierung brachten, so glänzen dieselben Passagen heute vor allem mit Leerstand. Ich bin mir sicher: In meinem nächsten Leben, sollte es unter ähnlichen Bedingungen wie mein derzeitiges ablaufen, werde ich ins Planen- und Pressspan-Geschäft einsteigen.
Ich stehe im Hanseviertel. Die Backstein-Passage sollte mit ihrer Eröffnung Anfang der 1980er Tradition und modernes Einkaufen verbinden. Auch hier sehe ich sie: Reißfeste Planen und Spanplatten beschichtet mit übergroßen Bildern schöner, dynamischer Menschen, die sich am Zeigefinger leger ihre Sport-Jacketts über die Schulter hängen und versprechen „Hamburgs schönstes Viertel wird noch schöner“. Und das schon ziemlich lange. Der spektakuläre Glasfahrstuhl ins Untergeschoss wurde derweil demontiert. Aus gutem Grund, das Untergeschoss existiert nicht mehr.
Yuppies a.D.
Es gibt jedoch auch Dinge, die würden jeden atomaren Anschlag überleben. Der Hummerstand im Hanseviertel gehört bestimmt dazu. Zwischen Rolltreppe und einem Edelzoo-Geschäft namens Wau und Mau dominiert ein Interieur in Messing und Apricot, als wäre es gerade eben aus den 1980ern hierher gebeamt worden. Bistro-Tische, roter Marmor, Messing-Rohr, getönte Wandspiegel mit Kupfer-Touch, Kunstleder. Die lauwarme Luftumwälzung über der Rolltreppe vermischt sich mit dem Geruch von Schalentieren und einem Hauch von Limone.
Auch die Hummeresser sind augenscheinlich geblieben. Die Yuppis von damals sind heute Yuppies a. D. Die halblangen Tollen sind heute schüttere Töllchen. Die aufgekrempelten Jacketts und Mokassins werden noch immer konsequent getragen. Überzeugte Cabrio-Fahrer, die damals bestimmt nie die Autotür geöffnet haben, sondern dynamisch mittels Hockwende die Autotür übersprangen. Keine Bundesjugendspiel-Hockwende, eher eine Hockwende aus der Wrigley‘s Spearmint - Werbung. Hin und wieder wird die einheitliche Masse aus rosé-farbigen Piqué-Hemden und olivgrünen Steppfutter-Westen von einer Edelleder-Baseballkappe mit Strass-Applikationen auf Platinblond durchbrochen. Hier kommt gleich Don Johnson um die Ecke, bestimmt! In einem rosa Jackett, nicht mit einem rosa Rollkragen-Pullover wie Michel Piccoli. Er wird Hummer essen und keinen Rindskopf anstarren. Da bin ich mir sicher. Jede Zeit hat ihr großes Fressen. Leerstand hin oder her.
Doris Brandt, Freitag-Autorin und Community-Mitglied, wird nun seltener durch Hamburg spazieren, ihre Tochter kann jetzt laufen. Außerdem bricht die Spielplatz-Zeit an
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