Deutschland kocht sich zu Grunde – In Memorian an Clemens Wilmenrod

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Nur vorweg: Ich kann kochen, es reicht für den Hausgebrauch, nicht mehr und nicht weniger. Noch lieber esse ich, egal ob selbstgekocht oder bekocht. Dennoch habe ich ein sehr gespaltenes Verhältnis zum Kochen, das schon zwanzig Jahre anhält. Neben Pärchen-Spiele-Abendenim „Tabu- oder Siedler von Catan-Rausch“vor Apricot-farbiger Schwamm-Streichtechnik an den Wänden, hat sich folgender Satz in mein Hirn gebrannt, der noch heute panische Schnappatmung in mir hervorruft. „Kommt doch einfach vorbei! Dann kochen wir etwasSchönes (und dann) ZUSAMMEN!“ Was gibt es schöneres, als sich in einer acht Quadratmeter-Küche beim Salatputzen und Sinnieren über Schneidetechniken und Salzarten gegenseitig die Elle in die Magengegend zu rammen? Das ist scheinbar hipp! Kochen istzum Event geworden und das sehr bedrohlich.

Zum 43. Todestag am 12.04.2010 von Deutschlands erstem Fernsehkoch Clemens Wilmenrod wird es Zeit Bilanz zu ziehen. Herr Wilmenrod ging erstmalig im Februar 1953 auf Sendung und gilt noch heute als Vater der kulinarischen Erfolgsschlager "Toast Hawaii" und "Rumtopf". Von Vorteil war bestimmt, dass in der damaligen Bundesrepublik bis 1953sage und schreibe 10.000 Fernseh-Geräte verkauft wurden, was einen bundesweiten Koch-Terror vorerst unterband. Es folgten eher eintöpfige Dekaden ohne nennenswerte TV-Kochshows.

Ein erstes leichtes Aufkochen der TV-Kochwut geschah Mitte der 1980er, als meine Oma gern einmal ein Rezept für Gugelhupf im sonntäglichen ZDF-Fernsehgarten von einem gänzlich unbekannten Koch mitschrieb. Das war noch harmlos. Noch schrieben in die Jahre gekommene Hausfrauen Rezepte für den Eigengebrauch mit. Das Maggi-Kochstudio stänkerte gegen den goldenen Soßenlöffel von Knorr. Das war alles.

Und dann kam Alfred, der die Koch-Jünger in ein neues Zeitalter führte. Kochen wurdeöffentlich und Fernsehköcheschossen wie frische Kresse aus der Papp-Box. Eine Jahrtausend-alte Aktivität der Nahrungszubereitung wurde neu entdeckt. Mannshohe Pfeffermühlen undhawaiianisches Lava-Salz wurden auf einmal zum Statussymbol.

Werheute mit keinem Petersilien-Wiegemesser von WMFim Wert eines Kleinwagens aufwarten kann, wird mitleidig angeschielt. Tim Mälzer vertickt stinknormale Mörser, die beim Asiaten um die Ecke 10 Euro kosten, für das Doppelte, weil „Küchenbulle“ draufsteht. Markus Lanz kocht sich mit Hochdruck in die Primetime am FreitagAbend. Es gibt Kochreisen, Kochevents und Kochshows. Wann zum ersten nicht ganz so perfekten Polit-Promi-Dinner bei Angela Merkel und Guido Westerwelle geladen wird, ist nur noch eine Frage der Zeit.

Ich frage mich, was an Kochsendungen so interessant ist. Die Menschheit kocht schon ein wenig länger. Eine vollkommen normale Tätigkeit. Dürfen wir uns jetzt auf Sendungen freuen wie: „Lanz trinkt, isst und geht zur Post“? Freitags Abends schlummer ich jetzt regelmäßig auf dem Sofa ein. Man sieht kochende Menschen, die Zutaten verwenden, die man wahrscheinlich nur durch Bestechung im Freihafen oder Gewürzmuseum bekommt. Ich finde, Kochen sollte einfach eine Tätigkeit, Notwendigkeit oder ein liebgewonnenes Hobby bleiben.

Heute habe ich gegoogelt:

„Kochen in Hamburg“: 35.200 Ergebnisse, „Kitas in Hamburg“: 29.100 Ergebnisse.

Darauf brüh ich mir eine Tüten-Suppe.

Frohe Ostern!

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