Deutschland schafft sich ab – Ein kultureller Ausverkauf

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„Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?“ Ein sozialkritisches Theaterstück, das vor fast genau zwei Jahren im Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt wurde und auf ausdrucksstarke und emotional brutale Weise die Frage nach sozialer Gerechtigkeit in unserem Land gestellt hat. (www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,588410,00.html)

„Was ist aus unserer Kultur geworden?“ Diese Frage nun verbreitet sichgerade in der jüngsten Vergangenheit immer lauter. Das Hamburger Schauspielhaus wurde im September selbst von einer Etatkürzung des Hamburger Senats von 1,2 Millionen Euro heimgesucht. Damit nicht genug. Die schwarz-grüne Regierung der Hansestadt verpasst der hiesigen Kulturszene eine Vollrasur: Dem Altonaer Museums droht die Schließung, die zwar vorerst „ausgesetzt“aber noch längst nicht abgewandt ist. Den Hamburger Bücherhallen droht eine Etatkürzung von 1 Million Euro.

Kultur,aus dem Lateinischen „cultura“, bedeutet Pflege. Die Pflege von dem, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt. Kultur prägt ein Land, eine Stadt, einen Ortund sollte als Gemeingut betrachtet werden. Als Gemeingut indes wird die elementare Grundlage eines jeden Einzelnen und der menschlichen Gemeinschaft bezeichnet. Ist es somit wichtig, dass sich zum Beispiel Theaterbetriebe wirtschaftlich selbst tragen? Schauspieler können nicht für einen Hungerlohn spielen, um die Eintrittsgelder erschwinglich zu halten. Legt man Gehälter aufEintrittsgelder um, so verabschiedet sich das Gemeingut. Schaut man sich heute Eintrittsgelder an, so ist dies vielerorts bereits geschehen. Kulturbetriebe sollten nicht zur Umsatzoptimierung getrieben werden.

Aber bitte mit Sahne!

Um bei der derzeitigen Hamburger Situation zu bleiben. Natürlich bietet die Stadt auch eine Art von Kultur, die sehr erfolgreich Gewinne erwirtschaftet: das Musical. Ein Udo-Jürgens-Musical im TUI-Operetten-Haus oder der „König der Löwen“ im eigens gebauten Musical-Zelt hat sicherlich seine Daseinsberechtigung, aber ausschließlich? Die Hansestadt würde in seichten Sahne-Songs versinken, wenn es nicht glücklicherweise bald die Elbphilharmonie gäbe.

Aktuell 500 Millionen Euro hat Hamburgs neues „kulturelles“ Flaggschiff, das auch ein feudales Hotel beherbergen wird, bereits verschlungen. Die neue Errungenschaft wird selbstverständlich als Gemeingut angesehen, so sind doch bis jetzt 323 Millionen EUR Steuergelder in das Prestigeprojekt geflossen.Wer den Verdacht hegt, das Konzerthaus diene als neues Statussymbol, um die „Marke Hamburg“ mit einem ultimativen Sahnehäubchen in ihrer Außenwerbung und touristischen Attraktivität zu krönen, gilt als Spaßbremse, die den Trend der Zeit aufhalten will. Wer sich dennoch zukünftig die Eintrittsgelder für die neue Hamburger Hochkultur an der Kehrwiederspitze nicht leisten kann, ist herzlich eingeladen, zumindest an einer Baustellen-Führung in Höhe von5 EUR pro Person teilzunehmen. Die Karten können im Elbphilharmonie-Kulturcafé, auch als Starbucks am Mönckebergbrunnen in bester Citylage bekannt, erworben werden. (www.elbphilharmonie.de/kulturcafe.de)

Nur verständlich, dass Kulturbetriebe ohne Stadtmarketing-Nutzen, mit Etat-Kürzungen Federn lassen müssen. Ein Opfer für das neue Wahrzeichen ist doch selbstverständlich. Leider ist Hamburg kein Einzelfall von wunderlicher Kulturpolitik. Ein ähnliches Bild bieten Städte wie Bochum, Leipzig, Köln, etc. etc., in denen Theaterschließungen, Etatkürzungen und im Gegenzug Prestigeobjekte auf der Tagesordnung stehen.

Die Mailänder Scala wird zum Barilla-Dome

Auch in Bella Italia stehen alle Zeichen auf Privatisierung. Ein kleiner Mann, der ursprünglich seine Lira als Schlagersänger auf Kreuzfahrtschiffen verdient undes aus unerfindlichen Gründen später zum Staatsoberhaupt Italiens gebracht hat, tönt:

„Die Italienische Oper soll endlich eigenes Geld verdienen!“ , will heißen, auch hier wurden die Kulturetats der Opernhäuser bis zu 40 % gekürzt. Die Oper, das italienische Kulturgut schlechthin, soll sich wirtschaftlich also selbst tragen. Ein ziemlich lustiger Gedanke: Der Startenor gibt in der Pause des Puccini-Werkes „Tosca“ Werbeslogans für Nudeln oder den neuen Lancia zum Besten. Die Mailänder Scala wird kurzerhand in Barilla-Dome umgetauft. Und wo man gerade in der Gegend ist: Der Vatikan-Staat könnte gleich mit privatisiert werden. Effizienz ist alles. Der Papst böte ganz vorzügliche Werbeflächen auf seiner weißen Robe.

Was Hamburg angeht: Dem Hamburger Schauspielhaus wurde übrigens vom neuenKultursenator Reinhard Stutheine höherwertige oder besser höherpreisige Gastronomie in der Theaterkantine vorgeschlagen. Kann man Kultur mit Kaviar retten? Nach dem nächsten sozialkritischen Stück wird dann womöglich „gratiniertes Steinbutt-Carpaccio auf Sellerie an weißem Alba-Trüffel“ serviert. Interessant.

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