Emanzipation in rosarot?

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Seit einigen Wochen sehe ich rosa, was jedoch nur partiell mit einem Hormonschub bzw. dem hoffentlich zu erwartenden Frühling zu tun hat. Keine Frage, auf einmal Mutter einer kleinen Tochter zu sein ist großartig. Einen Zustand, den ich wirklich nicht wieder abschaffen möchte.

Dennoch mache ich derzeit mit Parallelwelten Bekanntschaft, an die ich mich – gelinde gesagt- erst einmal gewöhnen muss. Nachdem ich mein Trauma durch die Schwangerschafts-Geschäftemacherei –angefangen von rosa Mutterpassbezügen über Antistreifenöle im Wert eines Kleinwagens bis hin zu rosaroten Fotoalben für Ultraschallbilder- erfolgreich bekämpft habe, folgt nun die postnatale Herausforderung. Der Kampf gegen die Farbe rosa geht weiter.

Waren staatliche Krankenhäuser früher ausschließlich dazu da, kranke Patienten gesund zu machen, haben wir es bei den zunehmend privatisierten Kliniken eher mit einem modernen Dienstleistungsunternehmen mit progressiven Shop in Shop Charakter zu tun.So geht es in einem Wochenbettzimmer zu wie auf dem Bahnhof. Nein, nicht dass Ärzte oder Schwestern sich stündlich nach dem Befinden der Patientin erkunden oder die Verwandschafts-Besuche rotieren, es sind vielmehrAnbieter von Rückbildungskursen, die Kursleitung von Babyschwimmkursen sowie der Fotograf für Geburtsanzeigen, die mit ihrem Besuch beglücken.

Und schwupps ist es da, das nächste Trauma. Vor meinem von den letzten Tagen noch leicht benommenen Gesicht werden enthusiastischGrußkarten, Fotosticker und Geburtsanzeigen hin und her geschwenkt. Durch den etwas übertriebenen Weichzeichner erkenne ich einen Säugling (vermutlich weiblich) mit einer Haarschleife auf der Stirn, die durch ein Stirnband festgehalten wird. Das macht auch Sinn, von Haaren fehlt noch jede Spur. Die Anzeige, ein Traum in rosa mit lustigen Prinzessinnen und Einhorn-Applikationen, der Titel:Our cute little princess!Ich sehe vom einmaligen Geburtsspecial von 39,90 EUR ab, schicke den Fotografen raus und freue mich über die drei Haare meiner Tochter, die mit keiner Schleife zusammen gehalten werden.

So geht es dann auch weiter. In Baby-Ausstattungsläden lautet die erste Frage „Junge oder Mädchen?“Alter oder Größe scheinen sekundär zu sein. Natürlich bekommt man als Mädchenmutter die gesamte Palette von Hello Kitty oder Prinzessin Lilifee unter die Nase gehalten. Es besteht keine Chance, den niedlichen Strampler mit dem kleinen Monster, der noch auf der Stange hängt, zu ergattern.

Allmählich stellt sich mir die Frage, wie soll sich eine rosarote Tochter irgendwann emanzipieren, wenn sie seit Geburtdurch rosarote Outfits mit Prinzessinnen- oder japanischen Wasserkopf-Katzen-Applikationen zugekleistert wird? Gut, meine rote Kunstlederjacke und die braun-orange Cordhose, die ich in den 1970ern tragen musste, waren natürlich nicht so entzückend. Aber: Jedenfalls bin ich nicht in dem Irrglauben aufgewachsen, eine kleine rosa Prinzessin zu sein.

Die Welle der Globalisierung hat seit Jahren auch die Kleinsten unserer Gesellschaft erreicht, so dass wieder genauestens zwischen Männlein und Weiblein differenziert wird, auch wenn es sich nur um Farben handelt. Hello Kitty wird aus Japan, rosa und hellblaue Baby Shower Parties für baby-boys und baby-girls werden aus den USA importiert.

Über das neue und überspitzte Buch „Living Dolls“ (Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen) von Natascha Walter mag man streiten. www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/lesezeit/151945/index.html

Natürlich wird in diesem Buch sehr pauschalisiert. Dennoch stellt die Autorin zu Recht die Frage, warum es für kleine Mädchen immer die pinkfarbene Prinzessin sein muss. Findet Emanzipation im rosaroten Kinderzimmer statt?

Ich kann übrigens von meinem ersten Etappensieg berichten. Nach einiger Überredungskunst konnte ich die Verkäuferin überzeugen, mir den Monster-Strampler auszuhändigen.

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