Grauzone

City Hof Seit Doris Brandt öfters zu Fuß in Hamburg unterwegs ist, gewinnt sie ganz neue Perspektiven auf die Stadt. Heute besucht sie die umstrittenen Cityhochhäuser

Augen auf, Augen zu. Jesus blinzelt mir unter seiner Dornenkrone zu. Das christliche Hologramm steht neben einem leicht angestaubten Plastikrosenbusch, in dem noch ein wenig Lametta hängt. Der Eigentümer des „Textilen Haarstudios“ hat eine Vorliebe für christliche Hologramme in schreienden Regenbogenfarben und für Plastikbotanik. Eines hat er jedoch nicht: Laden-Nachbarn. Die Ladenpassage, oder besser ehemalige Ladenpassage, verbindet die Erdgeschosse der vier mausgrauen elfstöckigen Eternitquader Vis á vis des Hauptbahnhofes und glänzt in erster Linie durch Leerstand. Ein Leerstand, der größtenteils bereits auf Schilder wie „Ladenflächen courtagefrei zu vermieten“ verzichtet und sich selbst überlassen ist. Schaufenster sind mit verblichenen Polyester-Vorhängen und nikotinbraunen Lamellen endgültig zugezogen. An einigen Ladentüren prangen Messingschilder: „Tür bitte geschlossen halten!“

Die Ladenzeile ist nicht überdacht und gibt den Blick auf die grauen Hochhausfassaden frei, die sich unauffällig mit dem grau des Himmels vermengen. Ich fühle mich selbst ein bisschen grau im grauen Inneren der Eternit-Architektur, trotz Jesus und Lametta. Es wäre natürlich ein leichtes zu gehen, weil dieser Ort trostlos ist und mich die grauen Riesen erdrücken. Die BILD-Zeitung weiß bereits seit Jahren, dass „Hamburgs Schandfleck abgerissen gehört.“ Trostlosigkeit ist jedoch der falsche Begriff. Der Sitz des Bezirksamts Hamburg Mitte mit dem erdgeschossigen Textilhaarstudio, dem asiatischen Supermarkt, in dem es nach Räucherstäbchen riecht und dem italienischen Mittagstisch-Geheimtipp mit der vergilbten Fotografie des Petersdoms im Fenster ist auch wunderbar anachronistisch.

Das graue Parkhaus wurde vom ADAC zum schlechtesten Parkhaus Deutschlands gekürt, die angegliederte Autowaschanlage wirbt mit dem Slogan „Unsere Pflege zaubert Ihnen immer ein Lächeln“. Die eigene Froschperspektive wird von klaren Linien und hunderten Fenstern dominiert. Hin und wieder unterbrechen ein ungeduldig hochgezogenes Rollo, das Falten schlägt, oder eine Jukka-Palme im rostbraunen Übertopf die Fensterregelmäßigkeit. Es riecht förmlich nach Linoleum und trockener Heizungsluft, gegen die auch die Keramik-Luftbefeuchter, die hier mit Sicherheit an den Rippenheizkörpern hängen, keine Chance haben. Wenn es noch elektrische Schreibmaschinen-Klackern gibt, dann hinter diesen Fenstern.

Subvention von Privatinvestoren

C-I-T-Y, vier Buchstaben, die in der architektonischen Vergangenheit der Hansestadt nicht nur Begeisterungsstürme ausgelöst haben und dennoch immer wieder gerne für progressive moderne Bauvorhaben verwendet werden. Man denke an die Bürostadt City Nord, gefolgt von der Bürostadt City Süd, gefolgt von der Hafencity, ob Bürostadt oder nicht, liegt im eigenen Ermessen. Der City Hof, so der offizielle Name der vier Hochhäuser, die zugleich die ersten Nachkriegshochhäuser der Hamburger Innenstadt waren, wurde bereits in den 1950ern vom Architekten Rudolf Klophaus entworfen und 1958 hergestellt. Seit Anfang der 2000er streitet Hamburg nun um die Eternit-Riesen. Abriss oder Verkauf? Verkauf und Abriss? Klare Aussagen wechseln wöchentlich.

Hinzu kommt, dass sich die Stadt Hamburg zu einer Mietraumübernahme in der Hafencity verpflichtet hat. Sollte die Büroflächen-Vermietung in der Hafencity schleppend vorangehen, wobei „schleppend“ noch untertrieben ist, so verpflichtet sich die Stadt Büroflächen von 50.000 Quadratmeter zu einem Quadratmeter-Preis von 15 EUR von einem privaten Investor anzumieten. Der Mietpreis der Cityhochhäuser liegt vergleichsweise bei 8 Euro pro Quadratmeter und wird an die stadteigene Sprinkenhof AG gezahlt. Kritiker nennen es Subvention von Privatinvestoren, die Stadt nennt es „Ankerfunktion“, um Büroflächen in der Hafencity attraktiver zu machen. Um die Behördenumzüge in die Hafencity wird seit Jahren gestritten, was die Sache im braungrauen Elbwasser vor sich hin dümpeln lässt.

Die Steuerzahler würden bestimmt gerne surrende zeitgemäße Außenrolladen des Überseequartiers in der Hafencity finanzieren, weil Falten in alten Rollos inakzeptabel sind. Heiligenbilder und Plastikblumen haben zudem in Schaufenstern, die dem Zeitgeist entsprechen sollen, nichts zu suchen. Augen auf. Oder doch lieber Augen zu?

Jeden zweiten Dienstag setzt Doris Brandt, Freitag-Autorin und Community-Mitglied, ihren Rundgang durch Hamburg fort und zeichnet so ihr ganz eigenes Stadtbild

Zuletzt schrieb Doris Brandt über die Ost-West-Straße, ehemals städtebauliche Meisterleistung, heute ein Riss durch die Hamburger Innenstadt

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