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Es sollte eine Führung per Rad durch Hamburgsvergessene Parks zum „Tag der Architektur“ werden. Es wurde eine Führung durch Hamburgs vergessene Parks mit einem Rudel übermotivierter gutsituierter Bildungs-Rentner, die es sich an diesem sonnigen Nachmittag nicht nehmen lassen, mich hinterhältig mit Gelsattel und orthopädischen Lenker auszubremsen. Fragen à la „Herr Lehrer ich weiß was!“ begleiteten die quirlige Radtour. Wir durchqueren barocke Parks und Englische Landschaftsgärten mit Lusthäusern,die jeder Jane-Austen -Verfilmung eine perfekte Kulisse böten.

Vor meinem inneren Auge wandeln kichernde Damen mit bodenlangen Reifröcken und schützen mit farblich abgestimmten Sonnenschirmen ihre vornehme Blässe. Herren mit pomadigen Haaren und Gehrock sind auf Besuch. Sie kommenwahlweise aus der großen Stadt oder einer gerade erfolgreich besetzten Kolonie in Afrika. Stoff genug, die schmachtenden Damen mit ausladenden Gesten zu beeindrucken. Die Szenerie wird umrahmt von kleinen Mädchen mit rosa Kleidchen und Gretchen-Frisuren, die friedlich Ringel-Reihen spielen.

Wir sind im letzten Park des heutigen Nachmittags angekommen. Der Römische Garten in Blankenese. Angelegt wurde der Garten Ende des 19. Jahrhunderts nach italienischem Vorbild. In den 1920er und 1930er Jahren erlebte der Park seine persönliche Hochzeit. Die Hamburger Gesellschaft feierte rauschende Feste im romantischen Ambiente aus Seerosen –Becken, Amphitheater und akkurat geschnittenen Bäumen in Zuckerhut-Form.

Und spätestens jetzt scheint meine Fantasie wirklich mit mir durchzugehen. Ich sehe schon wieder Mädchen mit rosa Schürzenkleidchen und kleine Jungs in Matrosenhemdchen, die Verstecken spielen. Nur irgendetwas ist anders. Die Szenerie entpuppt sich als real. Pomadige Herren in Khaki-Hosen und dunkelblauen, gold-beknöpften Freizeit-Jackets stolzieren durch den Römischen Garten und lassen ihre Blicke herrschaftlich über die kunstvoll geschnittene Tuja-Hecke auf die glitzernde Elbe schweifen. Anstatt mit Unabhängigkeitskriegen beeindrucken sie mit Heldentaten im Aktiengeschäft. Ansonsten hat sich nicht viel geändert. Jede Familie mit Pomaden-Vati und Bügelstärken-Töchterchen tragen mindestens einen kunstvoll geflochtenen Picknick-Korb. Die Szenerie erinnert an Kaisers Geburtstag abgeschmeckt mit Rosamunde –Pilcher- Kitsch. In diesem Moment sehe ich das alte Museums-Dampfschiff „Schaarhörn“elbabwärts tuckern und auf die Picknick-Inszenierung zusteuern. Ich wette mit mir selbst, ob Kaiser Wilhelm für diesen Nachmittag reaktiviert wurde und am Bug steht. Ich halte es nicht für abwegig.

Allmählich kommt Licht ins Picknick. Die geflochtenen Weidekörbe werden an die zahlungskräftige Klientel verkauft. Der Erlös dient einem guten Zweck, der jedoch im Verborgenden bleibt.Derweil spielt die Combo im Amphit-Theater eine Mischung aus progressiven Kirchenliedern und deutschen Volksweisen. Gern hätte ich mir die Kaiserhymne gewünscht, sehe aber doch davon ab.Gesprächsfetzen schwirren durch die Luft: „Derzeit platzen wir vor lauter Wohltätigkeit! Meine Heidi hier (Eine ledrige braune Endvierzigerin kommt zum Vorschein) hat sogar am HSH-Nordbank-Wohltätigkeitslauf in der letzten Woche teilgenommen. Und jetzt das hier. Die sollen den Spitzensteuersatz mal da lassen, wo er ist. Wir tun schon genug.“Ich bin beruhigt. Wenn man der Wirtschaftskrise mit Picknick-Körben und Benefiz-Läufen für Herrn Nonnemacher trotzen kann, wird es ja nicht so schlimm sein.

Ein alter Bekannter aus der modernen Gewöhnlichkeit gibt sich dann doch noch ein Stelldichein: Das gute alte Dixi-Klo. Fast erleichtert begrüße ich den Stilbruch. Ich hätte jedoch niemals geglaubt, dass es diese Chemie-Toilette auch in einer Luxus-Edition gibt. Für ein heimeliges Interieur und Wohlfühl-Atmosphäre sorgen Stoff-Rosen mit Vase auf dem Plastiksims, Handspiegel, Handcreme, feuchte Tücher und Sakrotan-Spray. Jetzt bin ich um eine Erfahrung reicher. Der „Tag der Architektur“ ist wirklich zu empfehlen.

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