Occupy-Camp Hamburg Teil 2

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mein Zelt steht bald. Mein Zelt, das ich 1990 von meinem ersten Gehalt als Bank-Azubi gekauft hatte. Augen auf bei der Berufswahl! Das waren zwei schwere Jahre für mich. Jetzt steht eben dieses Zelt vor der HSH-Nordbank. Wer hätte das gedacht? Ironie des Schicksals. Wenn ich schon selber nicht zelten kann, dann jedenfalls mein Zelt. Mein Zelt wird Stellvertreter-Zelt. Eine sehr schöne Idee, wie ich finde. Ein Zelt für all die Menschen, die campen wollen aber nicht können: aus gesundheitlichen, familiären, persönlichen Gründen. Für die Menschen, die tagsüber stundenlang hier ihre Zeit verbringen. Für die Menschen, die täglich vorbei kommen und in unterschiedlichster Form ihreSolidarität mit dem Camp bekunden. Mit Kuchen, Flyer-Material, Decken, Brennholz, Geld.

Heute Nachmittag besuche ich das Hamburger „Occupy-Camp“ wieder für circa zwei Stunden. Die Stimmung ist weniger hektisch als vor zwei Tagen. Die Zelte mussten am Montag kurzfristig abgebaut werden, eine Anordnung des Bezirksamts. Jetzt werden sie doch geduldet, und es sind mehr geworden.Im Camp baut sich eine Mikro-Infrastruktur auf. Es gibt ein Kochzelt und ein Sanitätszelt. Der kleine Platz in der Mitte des Camps dient für Gespräche. Bald soll es sogar ein Kinder-Zelt geben. Vormittags werden Workshops für gewaltfreie Sprache angeboten.Es kommen viele Leute vorbei. Und eben nicht nur „die üblichen Verdächtigen“. Eine ernste Frau mittleren Alters mit langem Mantel, Hut, elegant gekleidet, fragt, ob Geldspenden angenommen werden. Sie spendet, dann geht sie wieder. Es wird Brennholz angekarrt, Kuchen,Filzmarker für Plakate. Natürlich wird das Camp auch von Passanten milde belächelt, Kommentare wie „Das bringt doch nichts!“ sind ebenfalls auf der Tagesordnung. Das Thema ist abstrakt. Etwas schwierigin Worte zu kleiden. Das merke ich, als ich etwas unvorbereitet in die Kamera von Castor TV spreche.Dennoch stehe ich hinter meinen nicht ganz ausgefeilten Sätzen. Für eine lebenswürdige Zukunft.

Genau hierum geht es auch zwei Camp-Bewohnern, mit denen ich spreche, und die sich als 99 % vorstellen. „Es geht nicht nur um die Banken, es geht um das große Ganze.Die Finanzwirtschaft ist ein Teil. Andere Teile sind die Privatisierungen von Kulturgut, Studiengebühren, Atomenergie."

Das Camp ist ein neu geschaffener Raum. Ein Raum für fremde Menschen, die sich spontan zusammenfinden, Gemeinsamkeiten entdecken, kontrovers diskutieren.Ein Raum, den es in dieser Art heutzutage viel zu selten gibt. Kurz vorm gehen sehe ich eine Frau, die mir bekannt vorkommt. Wir schauen uns an und stellen fest, dass wir uns vor circa 15 Jahren öfters mal auf WG-Partys in Heidelberg gesehen haben. Zu einer Zeit, in der mein Zelt öfters in Frankreich gezeltet hat. Die Zeiten ändern sich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden