Occupy-Camp Hamburg Teil 4

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09.11.2011 - Fick die Welt

„Jeder kriegt sein Essen, jeder seinen Schlafplatz, das nötigste dem Volk gegeben, das ist das, was der Staat macht, damit möglichst wenige die Fresse aufreißen….“ Die Bässe eines You-Tube-Videos wummern über den Platz: „Fick die Welt“ vom Hamburger Rapper Nate57. www.youtube.com/watch?v=ZAvs-92vAiI

Einige Camper drängeln sich im Medienzelt, von wo aus der Livestream gesendet wird.Um 17:00 Uhr ist es bereits nachtdunkel, Nebelschwaden ziehen zwischen den Zelten hindurch. Straßenlaternen und grüne Lichterketten beleuchten die Szenerie. Die Stimmung ist gespannt. Ein Mann, ich schätze ihn auf Anfang zwanzig, hat das Video ausgewählt undwird parallel zum Rap laut: „Wir sind Occupy, Mann! Das heißt „Besetze“ oder?!Wenn Ihr hier weggeht, mache ich mein eigenes Camp auf.“

Morgen ist der 10.11.11. Einmal werden wir noch wach, heissa dann ist Abbau-Tag. Während die weihnachtlichen Vorbereitungen auf dem Rathausmarkt bereits auf Hochtouren laufen –Nikolaus, Schlitten und Rentiere hängen schon am Drahtseil- mussder Gerhart-Hauptmann-Platz schleunigst nachrüsten. Das Camp war bis heute geduldet, morgen siedeln hier Holzhütten mit Rauschgold-Engeln in den Auslagen.

Ein ruhiger Mit-Fünfziger mit grauem Zopf händigt gerade Flugblätter an eine Interessentin aus. „Wir kriegen eine Holzhütte auf dem Weihnachtsmarkt für unsere Belange zur Verfügung gestellt. Es geht also auch hier weiter, nur im kleineren Ausmaß. Beide Daumen hoch dafür.“

Während meines Besuchesvor einigen Tagen hatte ich mit Fatma gesprochen, einer deutsch-türkischen Übersetzerin, schätzungsweise Ende fünfzig. Wenn ich es mir recht überlege, hatte ausschließlichFatma gesprochen, warumsie sich engagiert, wie, wofür. Dass sie morgens ins Camp kommt und abends mit der letzten S-Bahn nach Hause fährt. Sie schläft zu Hause. Sie wurde einmal zum Zelten gezwungen. Das war 1999 nach dem Erdbeben in Istanbul. Seitdem hasst sie Zelte. Bis vor kurzem hat sie sich für Verdi engagiert,jetzt will sie Occupy Hamburg unterstützen.

Nur über die Stimmung im Camp hat sie nicht viele Worte verloren. Ich konnte schon vor einigen Tagen heraushören, dass es gerade hoch her geht: unterschiedliche Meinungen, Richtungen, Ansätze wie es weitergeht. Im Camp schien so etwas wie Katerstimmung zu herrschen.

„Ja, es gibt so etwas wie einen Camp-Koller. Ist ja auch kein Wunder. Viele Persönlichkeiten, Gründe, Ziele, Meinungen. Hauptsache, es geht weiter und das tut es.“ , so auch mein Gesprächspartner heute. Eine kleine „Camp-Filiale“ existiert bereits auf der Moorweide neben der Hamburger Uni. Dort hin werden die Zelte heute Nacht gebracht werden.

Der Lautstärkeregler wird indes bis zum Anschlag aufgedreht: „Sie können uns ruhig halten, mit Strafen und Gesetztn, machen unsohnmächtig, wie Marionetten, Sie handeln, unmenschlich, sie halten uns in Ketten, Fick die Welt!, Fick die Welt!“

10.11.2011 – Gras unter den Füssen

„Es war eine anstrengende Nacht. Neuer Camp-Standort Moorweide. Wir freuen uns über warmer Getränke und warme Worte!“. So ähnlich lautete heute Morgen die Nachricht über Twitter.

Schon vom Dammtor-Bahnhof aus sehe ich den Afri-Cola-Sonnenschirm und die Occupy-Plakate hinter der Schell-Tankstelle an der Hamburger-Moorweide hervor linsen. Die Moorweide ist ein Park, der an die Hamburger Universität grenzt. Die Heringe sollten somit einfacher in die Erde gestoßen werden können, als am Gerhart-Hauptmann-Platz. Dennoch steht kein einziges Zelt.Fünf „Occupier“ sitzen im Kreis auf Liegestühlen. Gegen den Sprühregen helfen Schlafsäcke und Fleece-Decken. Die Zelte dürfen nicht aufgebaut werden, weil die Genehmigung fehlt. „Es ist momentan etwas schwierig aber die Uni nebenan zeigt sich sehr kooperativ."Medieninteresse ist auch da. Die BILD-Zeitung wollte sich als eine der ersten ein Bild vom neuen Standort machen, nachdem sie sich in der heutigen Ausgabe bereits besorgt gefragt hatte: „Verhindert Occupy den Weihnachtsmarkt?“Die Moorweide ist zwar schön grün und dicht an der Uni mit ihren sanitären Einrichtungen gelegen, aber mit Verlaub „etwas ab vom Schuss“. Das Camp ist nicht mehr präsent. Passanten, die zufällig vorbeikommen und so auf die Aktion aufmerksam gemacht werden, gehen gegen Null. Das sehen einige Occupier genauso. Das Camp wurde daher während der Weihnachtmarkt-Zeit in drei Standorte aufgeteilt : auf dem Domplatz (zwischen ZEIT-Redaktion und der Scientology-Deutschland-Zentrale), auf dem Gertruden-Kirchhof und vor dem Altonaer Rathaus.Das Camp in Altona wird morgen nach der Demo „Karneval der Empörten“ (www.echte-demokratie-jetzt-hamburg.de/2011/11/09/11-11-11-aktion-in-hamburg/) Treffpunkt sein.

Weitere Infos unter: www.occupyhamburg.org

Roman hat gerade in der Uni und bringt Flyer mit. „Es ist wichtig das Bewusstsein zu schärfen. Wir werden nicht aufgeben, wir müssen das Interesse weiter gewinnen. Es kann nicht sein, dass Konsum unser Lebensmittelpunkt darstellt und uns alles andere nicht interessiert.

Wir fällt Hagen Rether ein, der einen passenden Beitragin „Neues aus der Anstalt“ am letzten Dienstag zum Desinteresse in der Bevölkerung beigesteuert hat : www.youtube.com/watch?v=0kXdbADtAwM

Ironie des Schicksals: Am 1. Februar 1966 wurde auf der Moorweide nach dem Vorbild des Londoner Speakers‘ Corner im Hyde Park Meckerecke für Laienredner eingerichtet. Sie wurde wenig beachtet und wieder aufgegeben. Insofern wäre es nicht schlecht, auch über einen neuen zentraleren Standort des Occupy Camps nachzudenken. Occupy Hamburg hat einen Standort verdient, der auch sichtbar ist.

Weitere Infos unter: www.occupyhamburg.org

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