Occupy-Camp Hamburg Teil 5

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Meine Demo, Deine Demo 09.12.2011

Was haben Bing Crosby, batteriebetriebene Kuscheltiere aus China, Versicherungsvertreter in schlecht sitzenden Anzügen und Nussknacker aus dem Erzgebirge gemein? Regelmäßig treffen sie in der Vorweihnachtszeit bevorzugt am frühen Nachmittag aufeinander. Auf dem Weihnachtsmarkt. Am Gerhart-Hauptmann-Platz. Kinderbuggys rumpeln über das Kopfsteinpflaster, Anhäufungen von Plastiktüten bewegen sich in Schritttempo über den Markt. Hin und wieder erscheint eine Hand, die noch schnell einen Glühwein zwischen Douglas-Tüte und Knirps hindurch in den Mund kippt. Die Witze der vorweihnachtlichen „Geschäftstermine“ werden platter, der Regen stärker. Es ist so wie immer. Fast.

Zwischen der Glühweinbude mit den lackierten Baumstammsitzen und der Jagertee-Jause wird mir im Neonlicht Jogi-Tee in Aufgussbeuteln angeboten. Umsonst. „Du warst lange nicht mehr hier.“ Ich bin mir nicht sicher, ob in Fatmas Stimme ein vorwurfsvoller Unterton mitschwingt. Das Occupy-Camp hat Mitte November den Platz für den Weihnachtsmarkt freigeben müssen. Eine vorübergehende Aufteilung des Camps in drei „Untercamps“ hatte sich als ungünstig erwiesen, zumal die drei Orte weder zentral lagen noch anderweitig auffielen. Über einen Umweg wurden die Zelte auf dem 200 Meter entfernten Gertrudenkirchhof hinter der Deutschen Bank aufgeschlagen.

Fatma ist in den Sechzigern und engagiert sich seit Anfang November für Occupy Hamburg. Saisonal bedingt steht sie nun täglich in der Weihnachtsmarktbude, die dem Occupy-Camp für die Weihnachtsmarktzeit zur Verfügung gestellt wurde. „So eine Bude kostet 15.000 EUR Miete, wir haben sie umsonst bekommen. Nett oder?“ Aus dem Hinteren der Bude tönt es: „Du Missgeburt!“ Zwei junge Occupier streiten sich, wer nun den Computer zum Absturz gebracht hat. „Benehmt Euch!“ Fatma duldet keine Schimpfwörter. Ich unterhalte mich mit ihr über die heutige Demo gegen Rechts, die sie besuchen wird. „Das ist aber nicht unsere Demo, unsere Demo startet morgen zum Tag der Menschenrechte!“ tönt es wieder aus dem hinteren der Bude.

Ich gehe weiter zum Camp auf den Gertrudenkirchhof. Es sieht verlassen aus. Unbewohnt. Das Küchenzelt hat beim letzten Orkan das Zeitliche gesegnet. Ein Weihnachtsbaum, circa 15 Zelte, zwei Liegestühle, und zwei Camp-Bewohner. Die machen sich an einem Kabel zu schaffen, dass sich wie eine aufgeröppelte Lakritzschnecke über zahlreiche Bäumchen-Gerippe schlängelt. Auf meine Frage hin, ob sie abbauen, verneinen sie. „Wir bauen natürlich nur um! Die Starkwinde diese Woche haben uns den Rest gegeben! Man wächst mit seinen Herausforderungen.“ In diesem Moment werden sie von einem Passanten mit Lebkuchen versorgt und können nicht mehr sprechen.

Mitte Januar ist der Umzug zurück zum Gerhart-Hauptmann-Platz geplant. Keine Frage, die anfängliche Euphorie hat sich mit einem gewissen Trott, manchmal auch mit einem Lagerkoller arrangieren müssen. Aber das Camp und der Wille sind noch da, trotz 8 Windstärken und Spagetti-Regen. Das Camp ist bekannter geworden, hat Platz im Bewusstsein vieler Hamburger genommen. Der Philosoph Slavoj Zizek hatte erst kürzlich in einem Zeit-Artikel distanziert zur Occupy-Bewegung Stellung genommen: „Der Sinn der Occupy-Bewegung liegt nicht darin, dass wir daran teilnehmen, sondern dass möglichst viele Leute von ihr erfahren.« www.zeit.de/2011/49/Kapitalismuskritik-Zizek

Ob man aktiv teilnimmt oder redet, bleibt jedem selbst überlassen. Das Hamburger Camp plant im Januar wieder an gewohnter Stelle auf die gesellschaftliche und politische Schieflage aufmerksam zu machen. Bing Crosby sitzt dann wieder im CD-Ständer und die Vertreter in ihren Versicherungen.

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