Sp(i)rit in the Sky

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Ja, es ist wieder eines dieser Wochenenden im Sommer, an denen man als urbane Bewohnerin Hamburgs ein hohes Maß an Toleranz aufbringen muss. Wer an diesem Sonntagnoch nicht schon wach ist, wird es von ohrenbetäubendem Orgelspiel. Heissa, es ist MOGO-Tag, der alljährlich gefeierte Motorrad-Gottesdienst. Damit nicht genug.Die nordelbische Kirche hat in diesem Jahr auch die 65.000 Harley- Fahrer eingeladen, die sowieso schon in einer 48-Stündigen Endlosschleife durch die Stadt wummern, um am weltgrößten Zahnarzt-Kongress den „Harley Days“ teilnehmen. Motorisierte Zahnärzte finden Schalldämpfer übrigens extrem uncool. Macht nix. Nächstenliebe wird wie immer großgeschrieben. Auf die Farce, wie eine sogenannte Umwelthauptstadt diese CO2 Schleuder-Veranstaltungen, stattfinden lassen kann, habe ich mich schon an anderer Stelle geäußert. www.freitag.de/community/blogs/doris-brandt/gruener-wirds-nicht-

An diesem Sonntagmorgen rede ich mir ein, dass alles halb so schlimm ist. Manchmal neige ich sowieso zu Übertreibung und Dramaturgie. Vielleicht ist ja etwas dran an dem olympischen Gedanken „Dabei sein ist alles“.Ich beschließe mir den Segen abzuholen und versuche, mich so Biker- oder Sozia-like wie möglich unter die Masse zu mischen. Die Ludwig-Erhard-Straße glänzt vor Chrom. Motorräder soweit das Auge reicht. So viele Gläubige, die auch noch alle ihr Motorrad mitgebracht haben. Ich bin beeindruckt.Mit aufgesetztem Kennerblick bestaune ich Auspuffe, mir unbekannte Chrom-Teile sowie kitschige Airbrush-Gemälde des „American Dreams“.Ich studiere sogar aufmerksam einen Flyer, der die günstigsten Tankstellen in Hamburg auflistet. Es ist voll. Brechend voll. Mittlerweile hat die Predigt begonnen und beschallt durch unzählige Lautsprecher die Hamburger Innenstadt. Ich meine mich zu erinnern, dass während des Gottesdienstes gebetet, gesungen, innegehalten wird.Nun ja, es hat sich wohl viel geändert seit meinem letzten Gottesdienst. Heutzutage werden wohl eher Motoren auf die höchste Drehzahl geprüft,an Rülpswettbewerben teilgenommen und Interviews gegeben, „was für ein geiles Gänsehautfeeling das Ganze ist, obwohl wir ja gleich nach der kirchlichen Trauung aus der Kirche ausgetreten sind“.

Warummuss die protestantische Kirche immer so verdammt progressiv sein?Während des bilingualen Glaubensbekenntnisses Deutsch – Russisch -ich weiß nicht warum- wünsche ich mir den Papst herbei und stelle mir vor, wie sich sein Papamobil – aufgeschraubt auf einem russischen T34 Panzer – rustikal den Weg durch die Menge bahnt. Leider verharrt Herr Wojtyła im Jenseits und Herr Ratzinger in Italien. Siewissen schon warum.Ein PKW, den einer der zahlreichen Sponsoren – eine regionale Versicherungsgruppe- auf einer Verkehrsinsel geparkt hat wirbt mit dem Logo „Ich fahre mit grünem Strom“.Na, da bin ich aber erleichtert! Das reißt natürlich die ganze Veranstaltung herum! Zudem werden die lieben Kleinen mit überdimensionalen grünen Klatschhänden versorgt.

Ich habe genug gesehen. Dabei sein ist Grütze! Auf der Wiese hinter dem Michelgrillen einige Anwohner. Kinder schaukeln.Die Ruhe hält eine Minute an. Ein kleiner Junge mit einem Laufrad der Marke „My very first bike“ reibt sich verwundert die Augen, als ihn ein christlicher Gottesdienstbesucher mit Harley sportlich auf dem Fußweg überholt. Beinahe wäre aus dem „Very first bike“ auch das „Very last bike“ geworden.Vielleicht ein schwarzes Schäfchen, was noch nicht den Weg zu seinen Glaubensbrüdern gefunden hat? Die Taktung der schwarzen Schafe erhöht sich auf zwei Minuten.Über die Michelwiese (freigegeben für Fußgänger und Fahrradfahrer) cruisen alle erdenklichen Arten motorisierter Zweiräder vorbei an Picknick-Decken undspielenden Kindern. Es wäre ja auch zu viel verlangt, einen Umweg von 400 Meter in Kauf zu nehmen. Der Shortcut über die Wiese ist zudem Sprit-sparender und gut für die Umwelt.Ich habe genug gesehen, das Ende der Predigt erlebe ich zu Hause. Durch das Küchenfenster brüllt „Born to be wild“ und „Sp(i)rit in the sky“.

Am Nachmittag schleiche ich schüchtern aus der Haustür. Der Spuk ist vorbei, so denke ich. Auf dem zwei Meter schmalen Bürgersteig kommt mir eine Pickelhaube mit Chromunterm Hintern entgegen.Oh Entschuldigung. Natürlich gehöre ich mit vier Rädern auf die Straße und lasse die Harley auf dem Trottoir passieren. Ich stehe noch etwas verstört mit dem Kinderwagen zwischen zwei parkenden Autos, als mich eine Presswurst in orange-schwarzaufmerksam macht, dass dies jawohl nicht die richtige Veranstaltung für Säuglinge wäre. Ich bin müde, einfach nur müde!

Obwohl!

Liebe Stadt, liebe Veranstalter und liebe Anderen, bei denen ich mich als Gegnerin von motorisierten Großveranstaltungen unbeliebt mache.

Nein, ich habe nichts gegen Motorradfahrer, ich habe auch nichts gegen gläubige Motorradfahrer.

Ja, ich hab etwas gegen Großveranstaltungen, die vor Klientel-Politik nur so schreienund mit 65.000 Harleys größtenteils ohne Schalldämpfer die Innenstadt teilweise zum kollabieren bringen. (Vielleicht sollte man die nächsten Harley-Days gleich im Jenischpark stattfinden lassen? Die Klientel ist schon da)

Ja, ich habe etwas gegen Großevents,die für alle nur nicht für die Anwohner gedacht sind (die essen nämlich zu Hause).

Ja, ich habe es mir ausgesucht in einer Großstadt zu wohnen. Ich habe kein Problem mit Straßenlärm, die eine Großstadt normalerweise hervorbringt. Ich habe nur etwas dagegen, 72 Stunden ununterbrochen einem Geräuschpegel ausgesetzt zu sein, der den eines Presslufthammer-Marathons in der eigenen Wohnung gleichkommt.

Nein, ich möchte keine kitschigen Airbrush-Tanks mit USA-Flaggen bestaunen, auf denen sich halbnackte Doof-Tussies räkeln. Diese „Easy Rider American Dream“ – Schosse hat nämlich einen so langen Bart, dagegen sind die Jungs von ZZ-Top glatt rasiert.

Nein, ich möchte auch nicht von Steppenwolf-Coverbands beschallt werden.

Nein, ich profitiere nicht von diesen Großevents, wie immer gerne behauptet, da ich weder Hotel, Kneipe noch Tankstelle besitze

und

Nein, ich bin nicht die einzige die so denkt.

Amen

Auf der Michelwiese finde ich eine übrig gebliebene Klatschhand und überlege, ob der Hersteller auch einzelne überdimensionale Finger produziert.

Liebe FC!

Danke. Jetzt geht es mir besser. Ich verspreche, dass dies mein letzter Beitrag über diese beiden Veranstaltungen sein wird.

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