Stadt Sand Fluss

Hamburg zu Fuß Seit Doris Brandt mit ihrem Kinderwagen durch Hamburg spaziert, hat sie einen neuen Blick auf die Stadt. Diesmal besucht sie Beach-Cafés und sehnt sich nach echtem Sand
Sieht aus wie auf Malle? Ist aber Hamburgs City Beach Club
Sieht aus wie auf Malle? Ist aber Hamburgs City Beach Club

Foto: Moe

Vor einigen Jahren noch war Sand Sand. Er lag zumeist in Form von Strand am Meer, an Flüssen, an Seen. Heute ist er auch ein Produkt der Großstadt-Gastronomie. Fein gesiebter weiß blendender Sand wird in die Stadt geschaufelt, um diese dann zu überhäufen mit Baccardi-Feeling, Carpe-Diem, der Leichtigkeit des Seins und Arizona Pomegranate Tea zu 4 Euro 50 die Flasche. Abends mit Fackellicht.

Hamburg und Umgebung bringt es diesen Sommer auf fünfzehn offizielle Beachclubs, die sich mit Attributen rühmen, jeweils der höchste, zentralste, älteste, chilligste, schickste, natürlichste der Stadt zu sein. Nur die engsten der Stadt kehren ihr Markenzeichen nicht ganz so prominent heraus.

Dennoch gibt es diese natürlich. Nachdem die ursprüngliche Fläche der ersten drei Beachclubs Hamburgs bebaut wurde, zogen diese auf ein Parkdeck nahe der Landungsbrücken. Auf einer eher schmalen Handtuch-förmigen Fläche, unter der Reisebusse parken, „chillen“ dicht an dicht Gruppen in atmungsaktiver Mikrofaser und mit Hardrock-Café-Tüten bestückt, die sich Bier mit Guaven-Geschmack teilen und ihre heiß gelaufenen Füße im Miniatur-Pool baden. Sie genießen eine arrangierte Strandatmosphäre, die samt Karibik-Sand, absichtlich schluffig zusammengehämmerten Strandgut-Tresen und einem ausrangierten Surfbrett auf einem Parkdeck zusammengepfercht wurde.

Baby, balla balla

Es scheint, als ob sich jede urbane Gastronomie mit Außenbestuhlung selbst zum Beachclub-Dasein nötigen will. Palmen, Strand-Sofas, Liegestühle auf noch so kleiner Fläche. Hätte ich eine Manufaktur für wasserbeständiges Gastro-Lounge-Mobiliar wäre ich reich. Sand muss indes nicht unbedingt sein. Das Hamburger Dollhouse, eine Hochburg für Junggesellenabschiede und Gogo-Dancing, wirbt jetzt mit dem heißesten Indoor-Beachclub der Stadt. Nicht zu verwechseln mit dem größten Indoor-Beachclub der Stadt, dem Ballamann Kiez Beach. Authentizität hat viele Facetten.

Einer der neuesten Beach-Clubs eröffnete jüngst in den Wallanlagen. Vis-a-Vis von der Rollschuhbahn führte und fristete das Park-Café, ein Relikt aus den Achtzigern, bis vor Kurzem sein Dasein. Ältere Damen mit Hut auf dem Kopf und Erfrischungstüchern in der Handtasche tranken Kännchen-Kaffee. Die Plastik-Tische kippelten, so dass die Bedienung mit Schnauzer und Halbglatze häufig Bierdeckel zwischen Tischbein und Waschbeton rammen musste. Seit Frühjahr steht hier ein neues Park-Café mit dem Untertitel „Chillen am See“. Ein Schild in schickem Retro-Design. Die bemoosten Beton-Kübel für gelb-lila-farbige Stiefmütterchen-Variationen wichen Palmen-Kübeln, der kleine Fertigbau-Bungalow einem Fertig-Pavillon aus Plexiglas und Holz-Dielen. Die Waschbeton-Platten wurden mithilfe von feingesiebtem Strand-Sand überschüttet.

In den ersten Wochen steckten noch einige wenige Damen mit Hut auf weißgetünchten Holzbänken sitzend ihre abgerundeten Gesundheitsschuhe in den knöcheltiefen Sand und versuchten verunsichert, den Milchschaum ihres Latte Macchiatos für drei Euro plattzudrücken. Jetzt sind sie weg. Trotz meines leicht ambivalenten Verhältnisses zu dieser Sand-Kultur im Allgemeinen und dem neuen Park-Café im Besonderen versuche ich zu „chillen“. Gershwins "Summertime" raunt dezent durch Miniatur-Schaufelbacker, und meine Tochter freut sich über eine riesige Sandkiste.

Wo sind die Kännchen-Trinkerinnen?

Während ich an meiner Fritz-Cola nuckle und einhändig eine Sandburg baue, frage ich mich, wo die denn hin sind. Die betagteren Benutzerinnen von Erfrischungstüchern. Es wäre ein großer Zufall, wenn alle Angehörigen der alten Park-Café-Generation synchron im letzten April das Zeitliche gesegnet hätten. Ich schaue mich um. Nein, auch keine älteren Damen, die als Zeichen der Integration ihre Hüte abgenommen und jetzt „Blue Jeans“ tragen. Das Publikum ist zumeist im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts geboren und übt sich trotz Sand-essendem Nachwuchs im Wett-Entspannen.

Sand, ein zentrales Thema in unserem Leben. Sandkiste am Anfang und Sandkiste am Ende des Lebens. Dazwischen Strandurlaube, Gartenarbeit, warme Sandbäder bei Rückenbeschwerden. Sand scheint aber eben auch etwas zu überschütten. Nicht nur Waschbeton sondern auch betagte Kännchen-Trinkerinnen, und das vor der ultimativ lebensletzten Sandkiste.

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