Veredlung hinter freien Mauern

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wie in jedem Jahr wurde am letzen Wochenende auch in Hamburg zum Tag des offenen Denkmals geladen. Neben geschichtsträchtigen Stätten wie dem sagenumwogenden Pesthof-Keller auf St. Paulioder dem ersten Elektrizitätswerk der Stadt öffnete auch die Freimaurer-Loge ihre feudalen Türen.

Aus reiner Neugier, mein spärliches Wissen über Freimaurer und Tempelarbeit hatte ich bisher aus einer Simpsons-Folge und einem Dan Brown-Thriller gewonnen, stehe ich nun am Tag der offenen Tür vor einer verschlossenen. Resolut stellt sich mir ein älterer Herr im festlichen Anzug und schloweißem Haupthaar in den Weg. Er verweist mich auf eine kleine Einführung vor dem Logenhaus, bevor ich mich der Gruppe für die nächste Führung anschließen könne.

So lausche ich angestrengt mit circa 50 weiteren Wissbegierigen unter einem eigens für diesen Tag aufgestellten Partyzelt der Einführungsrede eines sogenannten Bruders. Angestrengt deshalb, weil im Minutentakt rödelnde Züge den nahegelegenen Dammtor-Bahnhof verlassen und weil eine ältere Dame neben mir, die wohl nicht ganz freiwillig an dieser Veranstaltung teilnimmt,erbost auf ihre Tochter einredet, sie wolle sofort nach Hause und diesen Mumpitz nicht mitmachen. Es gelingt mir dennoch, ein paar essentielle Aussagen akustisch herauszufiltern.Oberstes Ziel jederFreimaurer Bruder- und Schwesternschaft sei die menschliche Selbstveredlung, die man durch jahrelange Tempelarbeit und dem Durchleben von verschiedenen Erkenntnisstufen erreicht. Das Streben nach Selbstveredelung spiegelt sich auch kunstvoll in der Fassade des Logenhauses der „Provinzialloge von Niedersachsen“, so der offizielle Name des Logenhauses, wider. Klobige Steine im unteren Bereich stellen den rauhen, ungeschliffenen Charakter dar, die ebenfallsin die Fassade eingelassenen Hammer klopfen die Steine glatt und die Kellen weiter oben können den Charakter und die Steine wieder kitten, wenn der Hammer einmal über die Stränge geschlagen hat.

Die Loge öffnet nun doch ihre Pforten. Unter dem neoklassizistischen Gewölbe der Eingangshalle riecht es nach Irish Moos und Kaffee. Ob aus veredelten oder nicht veredelten Kaffeebohnen entzieht sich meiner Kenntnis. Ein weiterer Bruder informiert uns über den weiteren Verlauf der Führung. Dem Vortrag im kleinen Mozartsaalfolgt ein Besuch im Heiligen Tempel mit einer kleinen Darstellung der Tempelarbeit. Anschließend haben alle Besucher die Möglichkeit, sich im persönlichen Gespräch tiefer mit den Freimaurern und einem eventuellen Beitritt auseinander zu setzen. Nachwuchssorgen?

Während des Vortrags erfahre ich über die Ursprünge des Freimaurertums, die in derZunft der Steinmetze liegt, über Verfolgung durch die katholischen Kirche, über die eigene Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen. Die Freimaurerloge wurde während des Nationalsozialismus geschlossen, nach dem Krieg kurz von den britischen Alliierten bewohnt und dann wieder als Logenhaus freigegeben. Icherfahre, was die Freimaurer nicht sind: keine Sekte, keine Kirche, keine wirtschaftliche Institution.Ich erfahre nicht, was die Freimaurer sind. Alle Religionen sind willkommen. Man lebt jedoch nach den Lehren Jesu Christi. Man ist keine religiöse Vereinigung, aberJohannes der Täufer ist eines der Leitmotive. Zum Logenhaus führen sieben Stufen:drei fürs Göttliche und vier fürs Weltliche. Das überall gegenwärtige gleichschenklige Dreieckist Symbol der Dreifaltigkeit. Mehr istaus den Brüdern nicht herauszubekommen. Die Rituale sind nach wie vor ihr großes Geheimnis. Ein Bruderweist immerhin darauf hin, dass Freimaurer keine Jungfrauen essen. Immerhin. Die heute hier Anwesenden tragen schwarze Festtags-Anzüge und hüllen sich in eine Mischung aus Mystik und distanzierter Höflichkeit.

Vor dem Eintritt in den heiligen Tempel werden wir mit aller Deutlichkeit hingewiesen, Handys und Fotoapparate ausgeschaltet zu lassen. Ein kleiner dicker Mann mit einem kunstvoll gedrechselten Holzstab in seiner Körpergröße holt uns ab und versucht würdevollschreiten. Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Zeremonienmeister. Nach drei lauten Schlägen gegen die schwere Tempeltür wird uns Einlass gebeten. Geordnet trottet die Gruppe hinein, um auf hohen mit grünen Leder überzogenen Lehnbänken Platz zu nehmen. Der große mit Säulen durchzogene Raum ist durch Kerzen erleuchtet und riecht nach Bohnerwachs und ein wenig nach Schule.Auf einem kleinen Podest nimmt der uns schon erwartende LogenmeisterPlatz. Nachdem der Zeremonienmeister die Vollzähligkeit der Gruppe verkündet hat, breitet sich ein Schweigen im Raum aus. Mozart, seines Zeichen Freimaurer, erklingt aus versteckten Lautsprecherboxen. Ich starre an die Decke, die dem Hamburger Sternenhimmel vom Einweihungstag des Logenhauses im Jahre 1910 nachempfunden ist. Nachdem Mozart verhallt ist, erzählt der Logenmeister nochmals über Veredelung und Selbsterkenntnis. Die Rituale bleiben auch hier im Verborgenen.Nachdem Mozart ein zweites Mal zum Besten gegeben wurde, sind wir entlassen.

Die Führung ist vorbei. Auf das persönliche Gespräch mit den Brüdern verzichte ich. Von Selbsterkenntnis bin ich weit entfernt. Ich denke anden Geheimbund „Schwarze Hand“, in dem ich als Achtjährige Mitglied war. Unsere Loge war eine alte Waschküche geschmückt mit einem Filmplakat vom Weißen Hai. Auch keine wirklichen Parallelen. Ich verlasse das ehrwürdige Haus und sinniere über den für mich etwas verwirrenden Nachmittag. Draußen vor den drei göttlichen und vier weltlichen Stufenüberwiegt das Weltliche. Die missmutige alte Dame von vorhin hat die Führung wohl schon früher eigenmächtig verlassen und wartet pöbelnd unter dem Partyzelt auf ihre Tochter.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden