"Erinnerung ist das Geheimnis der Versöhnung", sagt ein altes jüdisches Sprichwort. Dass sich ein Land der dunklen Kapitel seiner Geschichte annimmt, sie aufarbeitet und öffentlich macht, ist gewiss eine ehrenwerte Sache. Ob freilich das Einheitsdenkmal in Berlin die geeignete Form für die Aufarbeitung jüngerer Vergangenheit ist, mag dahin gestellt bleiben. In der Provinz gibt es seit längerem Bestrebungen, mit derartigen Bauwerken sowohl Selbstwertgefühl als auch Deutungsmacht zu pflegen.
Nur bleibt auch die respektabelste Absicht vollends auf der Strecke, wenn jeder, der zu Geld gekommen ist, meint, seine Sicht von historischen Ereignissen sei die einzig wahre und gehöre in Beton gegossen. In Jena etwa will seit geraumer Zeit ein amerikanischer Stif
scher Stifter ein "Freiheitsdenkmal von nationalem Rang" errichten, das die Bezeichnung Denkmal für die Verfolgten der kommunistischen Diktatur von 1945 - 1989 tragen soll. Karl Heinz Johannsmeier, so sein Name, hat den Entwurf dafür auch gleich mitgeliefert. Der ehemalige Jenenser, der in den fünfziger Jahren aus politischen Gründen zunächst nach Westdeutschland und später in die USA auswanderte, möchte seiner alten Heimatstadt ein Geschenk machen. Er erwartet, dass noch in diesem Herbst eine endgültige Entscheidung reift.Die Beschenkten - der Oberbürgermeister und die Stadträte - haben ihn nicht abgewiesen, sind jedoch zerstritten. Die Grünen und die Linke lehnen das Denkmal wegen einer ideologisierenden Geschichtssicht und autoritärer Einflussnahme auf den innerstädtischen Raum rundweg ab - CDU und Opferverbände unterstützen den Stifter vorbehaltlos. Die SPD laviert wegen der Vorgeschichte des Mahnmals, denn bereits vor fünf Jahren hatte Johannsmeier seine Vorstellungen vorgetragen, an exponierter Stelle politische Verfolgung in der DDR zu erinnern und das über ein aus vier Glaskuben bestehendes Ensemble tun zu wollen. Thüringens Landesregierung und die Opferverbände erwärmten sich spontan für das Vorhaben - die Stadtväter Jenas hingegen reagierten zögerlich, gaben sich aber prinzipiell kooperationsbereit. Da der 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 bevor stand, glaubte man, damit Lorbeeren zu ernten. Möglichst schnell sollte das Projekt realisiert werden.Dann jedoch regte sich Widerspruch, er kam aus den Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus wie aus der Öffentlichkeit, die weniger das Motiv des Mahnmals als vielmehr der Akt seiner Implementierung störte. So wurde ein "Denkmalbegleitausschuss" gegründet, in dem Stadträte und Opferverbände vertreten waren, Historiker der Friedrich-Schiller-Universität aber erst spät gebeten wurden. Die wiederum kritisierten, was der Titel des Ausschusses nahe legte - es gebe eine Begleitung, aber keine inhaltliche Debatte, kein Wettbewerb um ein Konzept. Es fehle jegliche Definition, wer genau mit den Opfern gemeint sei. Die vom Stifter erwünschte Ähnlichkeit mit einem Holocaust-Memorial in den Vereinigten Staaten ziele zudem auf einen unmöglichen Vergleich.Die Meinung der Wissenschaft interessierte Johannsmeier indes nicht, auch im Stadtrat fielen harte Worte. Die Kritiker mussten sich sagen lassen: "Ein Volk von Sklaven kann nicht am demokratischen Entscheidungsprozess teilhaben", so Jürgen Haschke aus der Fraktion Bürger für Jena. Schließlich wurde im Beisein des Thüringer Ministerpräsidenten am 17. Juni 2003 der Grundstein für das von Johannsmeier vorgeschlagene Denkmal hinter dem mittelalterlichen Rathaus gelegt, auch wenn die Diskussion darüber noch längst nicht abgeschlossen war.Die Stadt sah sich daraufhin veranlasst, nun doch einen beschränkten künstlerischen Wettbewerb auszuloben, der allerdings kaum den Namen verdiente. Für die vier vom Stifter vorgegebenen Glasstelen, eine davon über sechs Meter hoch, sollte ein graphischer Entwurf gefunden werden, um Einzelschicksale durch Namen oder Symbole zu verdeutlichen. Wertbegriffe wie Freiheit, Zivilcourage, Menschenwürde und Wahrhaftigkeit sollten in die Ausführung einbezogen werden. Freilich waren die Ausschreibung wie die berufene Jury kaum mehr als eine Farce - dem Stifter blieb das letzte Wort. Wovon der umgehend Gebrauch machte, als die Ergebnisse vorlagen. Noch während die Weimarer Künstlerin Sibylle Mania zur Gewinnerin gekürt wurde, verweigerte Karl Heinz Johannsmeier jede Zusammenarbeit, da er in ihrem Vorschlag seine Intentionen vermisste. Der Stadtrat riskierte, um den Stifter nicht zu vertreiben, die Flucht nach vorn, ließ über Johannsmeiers Gestaltungsvariante abstimmen und musste eine Niederlage einstecken - die Opposition setzte sich durch, als auch die in Jena mitregierende SPD mit Nein votierte. Das Denkmal ward abgelehnt und Stadtratsvorsitzender Gustav-Adolf Biewald (CDU) zum Rücktritt genötigt. Der Grund: Eine E-Mail an Johannsmeier, in der Biewald seine Schwierigkeiten mit dem demokratischen Reglement bekannt und geschrieben hatte "... wollen wir Lumpen einen Sieg gönnen?" Der Stifter verabschiedete sich aus Jena, weil er den Glauben an die Selbstreinigungskraft der Ostdeutschen verloren hatte.Seit dem Frühjahr 2007 erfährt die Geschichte nun eine Neuauflage. Der betagte Stifter ist wieder da und hat seine Denkmalidee dem nun regierenden Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) anempfohlen. An seiner Haltung hat Karl Heinz Johannsmeier nichts geändert, es gelten die gleichen Spielregeln wie beim letzten Mal. Warum, fragt man sich, erträgt eine Stadt, die weltweit als "Leuchtturm" und "Optical Valley" von sich reden macht, eine derartige Provinzposse, deren Ende absehbar ist: Entweder zieht der Stifter erneut verprellt von dannen oder es wird im vermeintlichen Kampf gegen altes Unrecht neues geschaffen.