Besondere Beziehung

DAS EHEVENTIL Chinesische Zweitfrauen als kleine Rache taiwanesischer Geschäftsleute im »Reich der Mitte«

Taiwan solle nicht mit dem Feuer spielen, warnte ein hochrangiger Politiker in Beijing jüngst den kleinen Inselstaat, als der taiwanesische Präsident Lee Teng-hui von der »besonderen Beziehung zwischen zwei Staaten« gesprochen hatte. Sowohl die Volksrepublik wie auch Taiwan streben die Vereinigung der kleinsten chinesischen Provinz mit dem Festland an - allerdings will dabei jede Seite auf der anderen das eigene politische System implantieren. Man kennt diese heikle Konstellation aus Nord- und Südkorea, und erinnert sich hierzulande an die Zeit vor dem Mauerfall: jedes Wort wird auf die diplomatische Goldwaage gelegt. Das läßt die offiziellen politischen Beziehungen zwischen Taiwan und China zu einem rechten Eiertanz werden, und schnell entsteht der Eindruck, daß die Taiwan-Straße ein nasses Äquivalent zur ehemaligen deutsch-deutschen Mauer ist. Der Vergleich ist nicht ganz falsch, erhellender jedoch ist der Blick auf die Durchlässigkeiten dieser Grenze. Und die ist nicht so starr, wie man denkt.

Seit 1987 regelt ein Abkommen mögliche Privatbesuche, vier Jahre später beendete die taiwanesische Regierung offiziell die sogenannte »Phase der Nationalmobilmachung zur Unterdrückung der kommunistischen Rebellion«. Damit waren die Voraussetzungen auch für wirtschaftliche Beziehungen geschaffen. Inzwischen haben taiwanesische Geschäftsleute über 25 Milliarden US$ in der Volksrepublik investiert, vor allem in arbeitsintensiven Bereichen wie etwa Porzellan-oder Textilfabriken. Die Profite sind erheblich, denn Taiwan ist längst kein Billiglohnland mehr. Und so jetten taiwanesische Geschäftsleute munter hin und her, während jeder Politikerbesuch monatelang vorbereitet werden muß. Die Geschäftsleute dagegen reisen ohne den historischen Ballast im Gepäck: sie gelten zumeist als zuverlässige Investoren, die zudem mit der Sprache und Kultur ihrer Geschäftspartner bestens vertraut sind. Die Natur dieser Wirtschaftsbeziehungen erfordert es, daß sich viele Taiwanesen für Wochen und Monate in der Volksrepublik aufhalten. Dabei entstehen selbstredend auch private Kontakte, die manchmal an alte Familienbande anknüpfen, neue Freundschaften entstehen lassen oder auch intimerer Natur sind. Daß taiwanesische Männer während ihrer Chinaaufenthalte häufig Prostituierte besuchen, ist ein offenes Geheimnis, das zwar den daheimgebliebenen Ehefrauen Kopfschmerzen bereitet, aber weiter kein Aufsehen erregt. Doch jetzt kam heraus, daß sich immer mehr taiwanesische Geschäftsleute darüber hinaus in der Volksrepublik Zweit ehefrauen zulegen. In der taiwanesischen Presse und im Fernsehen verursachte dieses Verhalten in letzter Zeit großes Aufsehen. Chen Mei-hua von der taiwanesischen Frauenrechtsbewegung »Awakening« bringt die öffentliche Kritik auf den Punkt: »Die Taiwanesen, die als Investoren in die Volksrepublik reisen, sind in aller Regel mittleren Alters und sehr reich, zumindest sehr viel reicher als die Chinesen. Und sie reisen mit der ›Ich-bin-der-Chef-Mentalität‹. Um diesen Status auch wirklich unter Beweis zu stellen, prassen sie mit ihrem Geld und tun so, als könnten sie dafür alles haben, eben auch Zweit ehefrauen. Ich würde das als ›taiwanesischen Chauvinismus‹ bezeichnen.«

So eine Zweitehefrau ist ähnlich wie der Mercedes oder die Rollexuhr eine prestigeträchtige Angelegenheit. Nur wer über das entsprechende Geld verfügt, für sie ein Haus oder Appartment zu bezahlen, kann sich einen solchen »Luxus« leisten. In Taiwan würde das die finanziellen Mittel der meisten Männer übersteigen, aber in China ist alles so schön billig und ermöglicht Komfort und Freuden, die an traditionelle Verhaltensmuster anknüpfen. Auch im alten China galten Zweitehefrauen als Zeichen für Luxus und Wohlstand. Als Reaktion darauf wurden im China des 20. Jahrhunderts Zweitehen und Kuppellei per Gesetz verboten, auch in Taiwan gibt es entsprechende Regelungen.

Läßt man die individuellen Varianten dieser Zweitehen einmal außer Acht, scheint es sich bei diesem Phänomen vor allem um eine dubiose Form männlichen Protestverhaltens zu handeln. Das kleine Taiwan - China ist 265 mal größer und hat 58 mal mehr Einwohner - hat es durch Fleiß, Entbehrungen und Unternehmensgeschick geschafft, innerhalb weniger Jahre zu einer der führenden Wirtschaftsnationen zu werden. Aber niemand nimmt das richtig wahr: der Schatten des Riesenreichs verhindert es, daß die Weltbank oder der IWF die Leistung Taiwans entsprechend würdigen. Die meisten Staaten verweigern Taiwan sogar die diplomatische Anerkennung - aus Angst, es sich mit der chinesischen Regierung zu verderben. Die USA zum Beispiel, die insgesamt mehr Wirtschaftsgüter ins kleine Taiwan als in die riesige VR China exportieren, ignorieren die Insel auf dem diplomatischen Parkett völlig. Das sorgt insbesondere im offiziellen Taiwan für unausgesprochene Frustrationen, deren Ausmaß man nur ahnen kann. Ein bißchen erinnert die Situation an den Musterschüler, dem das Zeugnis verweigert wird, weil man den Wutanfall des rebellischen Tischnachbarn fürchtet. Eine Zweitehefrau in China muß vielen taiwanesischen Männern wie eine geradezu ideale Kompensation dieser nationalen Demütigung erscheinen - neben den anderen Vorteilen, die solche Arrangements bieten. Chen Mei-hua erklärt: »Wenn sich ein Taiwanese in China eine Zweitehefrau zulegt, kann er nicht belangt werden, unsere Gesetze gelten dort nicht. Viele Frauen hier wissen nicht einmal, ob ihr Mann eine zweite Ehefrau hat. Und wenn sie es erfahren, können sie eigentlich nichts dagegen unternehmen. Was könnten sie schon ausrichten, selbst wenn sie auf eigene Faust nach China fahren würden? Wenn Frauen in einer solchen Lage unsere hotline anrufen und um Rat bitten, können wir eigentlich keine Hilfe anbieten. Natürlich sind nicht allein die Taiwanesinnen betroffen: das Verhalten dieser Geschäftsleute sorgt neuerdings für viel Leid insbesondere unter den Frauen auf beiden Seiten der Meerenge.«

Die Zweitehen sind sicher nicht das schlimmste Kapitel der komplizierten Beziehungen zwischen Taiwan und China. Aber sie lassen in Abgründe blicken, die für manchen beunruhigender sind als das diplomatische Säbelrasseln nach Präsident Lees Feststellung, daß es sich bei China und Taiwan um zwei Staaten mit einer besonderen Beziehung handelt.

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