Der Notfall-Termin eines Straßenverkehrsamtes

Bochum Sie brauchen einen Notfall-Termin, dafür brauchen Sie eine Unentbehrlichkeitsbescheinigung, die nicht mit der Unabkömmlichkeitsbescheinigung zu verwechseln ist.

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Als Arzt musste man ja nicht direkt in Panik geraten, sobald eine Pandemie ausgerufen wurde. So kam es auch, dass wir als eine Ärztefamilie zwar nicht panisch aber besorgt mit dieser Situation umgingen, als tatsächlich kein Toilettenpapier zu kaufen war. Spätestens dann wurde uns die Wichtigkeit der Panik klar. Es war aber zu spät. Also ging ich weiter zur Arbeit und nach der Arbeit auf Toilettenpapiersuche in den Menschenschlangen vor den Läden. Zwar durfte ich den Menschen helfen, die in den Krankenhäusern kamen, mir konnte aber anschließend keiner helfen bei so banalen Dingen des Alltags. Die Story betrifft viele der armseligen und harmlosen Menschen, für die geklatscht wird, sie aber sonst mehrfach beansprucht werden.

In einem solchen Moment der nachdenklichen Ruhe teilte mir meine bessere Hälfte* mit, dass sie ab dem 01.05.2020 eine neue Stelle antritt. Wie konnte sie denn an einem Feiertag arbeiten gehen? Diese Frage hat sie überhört, schaute mich böse an und sagte: „Freust du dich denn nicht?“

Zugegeben, die Freuden des Lebens sind mir fremd geworden: Ich bin Vater vieler Kinder, ein Neurochirurg und kein guter Entertainer. Ich gratulierte aber meine Frau zu dieser Errungenschaft. Jetzt könnte ich auch damit angeben, dass ich eine Ärztin persönlich kenne. Aber gleich kam schon der Befehl, dass wir ein 2. Auto kaufen müssen. Für viele, die es nicht verstehen können, warum wir direkt ein 2. Auto kaufen müssen. Aus meiner Stadt in NRW raus schaffen Sie nur mit dem Auto in einem humanen Zeitrahmen. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind nur öffentlich, eine weitere Eigenschaft konnte ich im Rahmen der Effizienz nie mit ihnen verbinden. Würden wir kein Auto kaufen, so müsste ich (weil das andere Auto dann von meiner Frau automatisch und ohne Widerrede in Anspruch genommen wird) für 8 Stunden Arbeit 6 Stunden mit diesen öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Zu Fuß hätte ich dann 6,5 Stunden gebraucht.

Auf alle Fälle haben wir einen Kleinwagen gekauft. Obwohl rechtzeitig gekauft, mussten noch Reparaturen erfolgen. Bis wir die Papiere vom Auto hatten, war der Mai schon da. Jetzt wollten wir das Auto zulassen. Diese Aufgabe wurde mir übertragen. Sie können sich vorstellen, was das für eine Bürde war, für meine Frau ein Auto zulassen zu lassen (oder zuzulassen lassen?).

Und nun fängt meine Odyssee erst recht an. Erstes Telefonat mit den Behörden ist kein Telefonat. Daraus werden Sie nie schlauer. Sie bekommen nur Infos, die sie schon haben und eine Aufforderung, diese Infos nochmals zu bearbeiten und anzurufen. Es erfolgte 2. Anruf. Ich solle eine E-Mail mit dem Sachverhalt an das Straßenverkehrsamt senden, da aktuell nur Notfälle bearbeitet werden. Der Begriff Notfall gefällt den Ärzten sehr. Es beinhaltet automatisch eine schnelle Abwicklung und eine Reaktion innerhalb von Minuten. Und so hoffte ich auch, dass in einem Notfall, den wir ja tatsächlich hatten, dementsprechend auch ein Termin schnellst möglich zugeteilt wird.

Während in einem medizinischen Notfall um Leben und Tod oder um Funktionserhalt der Organe geht, handelt es sich bei einem Zulassungsnotfall erstmal um Bescheinigungen und bürokratischen Krimskrams. Die Zeit spielt keine Rolle. Der Zulassungsnotfall berechtigt Sie nur zu etwas mehr Formularen, die nicht auf der Website vorhanden sind, nicht verlinkt werden und als oberstes Gut vor der Öffentlichkeit versteckt werden müssen. Ein solches Formular erhielt ich nach mehreren Telefonaten als Antwort auf meine ursprüngliche Email. Es handelte sich dieses Mal um die sogenannte Unentbehrlichkeitsbescheinigung seitens des Arbeitgebers.

Ich möchte hier erstmal betonen, dass die Unentbehrlichkeitsbescheinigung nicht mit der Unabkömmlichkeitsbescheinigung zu verwechseln ist. Diese Unabkömmlichkeitsbescheinigung haben fast alle Ärzte in den Kliniken von ihrem Arbeitgeber* bereits anfangs des Lockdowns bekommen. Unabkömmlich zu sein heißt aber nicht, dass Sie automatisch auch unentbehrlich sind. Um mit der Bescheinigung der Unabkömmlichkeit angeben zu können, musste ich erst die Unentbehrlichkeitsbescheinigung holen, damit ich mit dem Auto irgendwo fahren darf. So habe ich zumindest nach der Behördenlogik den tieferen Sinn verstanden. Es erfolgte erneut ein Telefonat mit der Behörde. Die Damen im Call-Center und ich kannten uns mittlerweile, wären fast per Du geworden und hätten uns auf Kaffee getroffen. Souverän und freundlich konnten sie dieses Mal meinen Frust, meinen Ärger und die Wut abfangen. Stoisch sagte die Dame am Telefon gegen Ende des Gesprächs: „Sie haben Ihren Frust rausgelassen, jetzt besorgen Sie uns bitte die Unentbehrlichkeitsbescheinigung“.

Auf die Frage, ob ich das Auto auf den Namen meiner Frau zulassen kann, antwortete die Dame, dass in diesem Fall meine Ehefrau diese Unentbehrlichkeitsbescheinigung vorlegen müsse. Auch diese Bescheinigung müsse der Arbeitgeber ausstellen. Von mir ausgestellte Bescheinigung, dass meine Ehefrau für mich unentbehrlich ist, wollte die Dame nicht akzeptieren.

Ich war fasziniert von dieser Unnachgiebigkeit. Würden die Metallimplantate so unnachgiebig sein, so hätten wir im Patienten keinen Materialbruch. Ich war so sehr verzaubert von der Praxis dieser Behörde, dass ich mein ganzes Lob in Form der 2. Email verfasste, die neben dem Inhalt der ersten Email nur noch Worte über meine Faszination, Bewunderung, Ehrfurcht und mein Geständnis der Niederlage beinhaltete. Ich versprach jede Menge Bescheinigungen zu liefern. Gleichzeitig habe ich festvorgenommen, meinen Arbeitgeber das Leben schwer zu machen, sollte er mir diese Bescheinigungen nicht ausstellen. Ich habe meinem Arbeitgeber gedroht, dass ich zwischen Patientengesprächen, Visiten und Operationen trotz Telefonaten und Email-Verkehr mit den Behörden immer noch Kapazitäten habe, um einen großen Rechtsstreit anzuzetteln. Mein eiserner Wille schlug durch.

Inzwischen reagierte die Behörde auf meine 2. Email mit einer Email. Ich solle anrufen. Also rief ich wieder an, hörte den Kommentar, dass die Lektüre meiner Email 7 Minuten gedauert hätte, so lang sei sie gewesen. Ich ließ das unkommentiert. Ich hatte 30 Minuten gebraucht, um die gleichen Informationen aus der ersten Email mit Lobpreisungen und Tippfehler zu schmücken. Aber ich versicherte den Herrn am Telefon, dass ich jetzt alle erforderlichen Bescheinigungen habe, diese auch einrahmen lassen kann, wenn die Behörde es möchte und samt allen Unterlagen zu ihnen kommen kann. Er bremste mich ab und gab mir einen Termin für den kommenden Montag. Damit würden nach dem ersten Telefonat bis zum NOTFALL-Termin 6 Tage vergehen. Genug Zeit für mich, für diesen Tag den Urlaub einzureichen und alle Unterlagen auf etwaige Rechtschreibfehler und Zahlenverdreher zu überprüfen. Am Montag könnte ja ein Buchstabe falsch platziert sein.

In der Zwischenzeit rief mich mein Assistenzarzt an, ein Patient stellt sich notfallmässig vor. Ich, der schnell die guten Eigenschaften der anständigen Menschen übernehme, fragte tiefenentspannt entsprechend der Behördenpraxis: „Hat er einen Notfall-Termin?“

*Meine Ehefrau ist für mich unentbehrlich, alles andere ist über sie und den Arbeitgeber überspitzt dargestellt (selbstverständlich ;-) ).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dr. Mohammed Sarfraz Baloch

Ein Neurochirurg mit Herz • Deutschland ist meine Heimat • Abteilungsleiter • Saving lives & helping people • Deutscher Muslim • Schreibe privat •

Dr. Mohammed Sarfraz Baloch

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