#MeTwo und Mesut Özil haben so einige Emotionen hochkochen lassen. Die Debatte um Rassismus und nationale Identität erinnert mich an eine Whatsapp-Gruppe „RealTalk“, in der auch ich als ehrenamtliches Mitglied dabei bin. Die überwiegende Mehrheit der Gruppenmitglieder schweigt und liest mit, bildet sich selbst eine Meinung oder hält die Diskutierenden für dumm genug, ihre Zeit mit lächerlichen Alltagsthemen zu vergeuden. Zwei Randgruppen sehen die Dinge Schwarz-Weiß. Eine kleine Minderheit vertritt eine differenzierte Meinung. Der Rest schweigt und genießt.
Wer neu in die Gruppe eintritt, erlebt diese Diskussionen als extrem. Dieser Eindruck ist aber dahingehend falsch, weil 80% der Mitglieder ihren Beitrag allein durch Schweigen leisten und in jeder Richtung als Dunkelziffer gelten können. Deutschland könnte aktuell nicht besser repräsentiert werden als diese Gruppe es tut.
Eine Randgruppe in dieser Gesellschaft ist rassistisch. Die andere Randgruppe fühlt sich eindeutig nicht mit dieser Gesellschaft identifiziert. Beide Randgruppen teilen die Werte dieser Gesellschaft nicht. Von der überwiegenden Mehrheit erhebt eine Minderheit ihre Stimme gegen die eine oder die andere Randgruppe und der Rest schweigt.
Auf die aktuelle Diskussion übertragen sieht es in etwa so aus: Mesut Özil erklärt seinen Rücktritt aus der Mannschaft und wirft zum ersten Mal in seiner Karriere Rassismus vor. Es geht eine Debatte los über Mesut Özil und sein Verhalten, etwas später endlich auch über Rassismus durch #MeTwo. Die Frage ist, warum hat Mesut Özil vielen Menschen mit Migrationshintergrund aus der Seele gesprochen? Warum gab es von der Mannschaft bisher nur ein verhaltenes Schweigen? Warum gibt es in Deutschland den Alltagsrassismus in dieser Form?
Die eigentliche Diskussion, die über Rassismus und dessen Bekämpfung gehen sollte, flammte erstmal gar nicht auf. Es ging um das Fehlverhalten von Özil und des DFB, um Erdogan und Nationalhymne. Der Rassismus blieb auf der Strecke. Man versuchte, das Thema zu ersticken. Majestätisch wurden Diskussionen über die beteiligten Personen geführt, mal meldete sich der eine aus dem Schlaf aufgewachte zu Wort, mal der andere aus der Kneipe. Das Hauptthema Rassismus nahm einige Zeit später an Bedeutung zu, u.a. durch #MeTwo. Auch dort sollten wir die Hasskommentare mal durchlesen. Es ist eine einmalige Ansammlung von menschenverachtendem Irrsinn. Die Rassisten versuchen, diese einzelnen Schicksäle ins Lächerliche zu ziehen. Wird es nun dem "normalen Deutschen" nicht klar, dass es sowas auch im Alltag dieser Menschen gibt?
Der Alltagsrassismus ist nicht nur gegenwärtig, er bleibt auch noch ohne Konsequenzen. Der rassistisch agierende Vermieter erkennt nicht mal seinen Rassismus und wird auch keine Konsequenzen befürchten. Er wird weiterhin seine Wohnung verweigern. Der rassistische Arbeitgeber wird weiterhin mit seinen Vorurteilen leben und wird dafür nicht belangt werden. Wird es so akzeptiert werden? Dienen die ganzen Studien, die einen Rassismus in Deutschland belegen, nur zum Spaß einer emotionalen Debatte? Wird Ali im Vergleich zu Stefan weiterhin nur Glück haben müssen, um weiterzukommen? **
Die schweigende Mehrheit darf von mir aus weiter schweigen. Sie darf nur nicht hilflos nichts tun. Sie muss ihre Zivilcourage zeigen. Sie muss stillschweigend eine gesellschaftliche Umwandlung zum freundlichen und friedlichen Miteinander einleiten. Sie darf sich der Propaganda der populistischen Parteien nicht hingeben und ihre Rhetorik annehmen, die den Rassismus nicht nur salonfähig macht, sondern eine gewisse gesellschaftliche Toleranz dafür herbeiruft.
Es wird allmählich ein allgemeiner Eindruck erweckt, die deutsche Gesellschaft sei gar nicht mehr so tolerant wie sie sein sollte. Die Debattierenden vertreten die Extremmeinungen und bekommen Plattformen auf der Medienbühne. Die Hasskommentare auf liberale Stimmen nehmen ein besorgniserregendes Ausmaß an. Sogar die Staatssekretären Sawsan Chebli fragt sich am 22. Juli „Werden wir jemals dazugehören?“ An dem Tag war sie sicherlich nicht die einzige. Ein Neurochirurg hat sich das auch einige Male gefragt (Siehe vorherige Beiträge). Ein Orthopäde ist der Meinung, er wird nie dazugehören. Ein Unternehmer will schon auswandern. Ein Grafiker verarbeitet seine Depression über dieses Thema mit neuen Grafikideen usw..
Was soll nun aber die Diskussion um #MeTwo bringen? Werden wir neue Gesetze bekommen? Werden wir härter gegen die Rassisten vorgehen? Werden den Rassisten Ketten angelegt? Oder wird ihnen die Meinung untersagt? Nein. Wenn das geschieht, dann hat vielleicht nur die Elite des Staates ein Problem erkannt. Die Mitte der Gesellschaft wird es weiter nicht erkennen. Es reicht doch nur ein kleines bisschen an Empathie, um den Rassismus konsequenter zu bekämpfen. Wir müssen uns nur in die Lage dieser Menschen versetzen, die den Rassismus fast täglich ertragen müssen. Von mir aus darf die Mehrheit schweigen bei Debatten. Sie darf aber nicht schweigen, wenn im Bus eine Kopftuchträgerin beleidigt wird, wenn in einem Unternehmen keine „Ausländer“ aufsteigen dürfen oder wenn das Telefonat bei der Wohnungssuche immer negativ endet. Dass die Rassisten Feiglinge sind, zeigen ihre kriminelle Taten. In den sozialen Medien sind sie auch aus diesem Grund hinter den Pseudonymen versteckt. Die Mitte der Gesellschaft darf im zivilen Leben diese Feigheit nicht besitzen. Sie muss diejenigen beschützen, die rassistisch angegriffen und benachteiligt werden. Sie muss es tun, sonst könnten wir auch die Gesellschaft in eine WhatsApp-Gruppe umbenennen und unseren kurzweiligen Spaß haben.
** Ich möchte hier allen meinen Freunden seit der Kindheit danken, die so liebevoll und offenherzig mit mir und meiner Familie umgingen und umgehen. Ich erlebte sowas „krasses“ nicht in dieser Form wie andere Menschen in #MeTwo, aber nachvollziehen kann ich das sehr gut. Bis auf einige Ausnahmen war ich umgeben von herzreinen Menschen, meinen Deutschen. Die #ausgehetzt-Demo in Bayern ist eben solch ein großartiger Schritt gewesen, mein ganzer Stolz.
Kommentare 7
Ich weiss immer noch nicht und immer mehr nicht mehr, was dieses Geschreibe von dem sog. Allltagsrassismus soll.
Ich mag den einen, den anderen weniger oder gar nicht. Ich rede lieber mit dem einen als mit dem anderen. Guten Tag und guten Weg für die, die mir nichts bedeuten.........mehr nicht.
Warum z.B. muss ich an jemanden vermieten, den ich nicht mag. Leben ist subjektiv. Wer Signale aussendet, muss mit dem Empfang derer subjektiv umgehen lernen.
Solange niemanden ein Ungemavh angetan wird, weil man ihn nicht leiden kann, ist das das tägliche Leben. ......für alle.
auch überraschend-positive kontakte mit personen
fremden milieus bestätigen den überraschten zunächst nur darin,
daß er von ressentiments frei zu sein scheint.
und erlauben ihm, sein miß-trauen gegen "das milieu" aufrecht-zu-erhalten.
Zu diesem klugen Kommentar meine Zustimmung. Und ich unterstreiche: " ...... f ü r a l l e."
"Werden wir härter gegen die Rassisten vorgehen? Werden den Rassisten Ketten angelegt?"
Das liest sich erstens so, als wäre jeder einzelne von uns ein Gesetz- oder Verordnungsgeber, der das nach eigenem Urteil entscheidet, und als wäre zweitens Rassismus ein Beruf, also ein Dauerzustand (in den "sozialen Medien" mag dieser Eindruck wohl mal entstehen). Aber so pur ist die Gesellschaft weder im Guten noch im Bösen, und darum bringen es auch Appelle an die "Mitte" nicht.
Wer diskriminiert wird, braucht nicht die Mitte der Gesellschaft, sondern Freunde, die ihn besser kennen als der Rassist, und die ihm konkret beistehen.
Die Mitte der Gesellschaft lässt sich in der Zwischenzeit propagandistisch behandeln. Das ist zwar nicht gut für sie, und erst recht nicht gut für den Einzelnen, aber so ist sie. Manchmal bringt Propaganda die "Öffentlichkeit" auf hundertachtzig, und manchmal stellt sie sie ruhig.
Aber Propaganda macht niemanden zu einem anständigeren oder weniger vorurteilsbeladenen Menschen. Das liegt in ihrer Natur: sie kann auf Einzelschicksale keine Rücksicht nehmen.
@JR's China BlogMein Appell gilt klar weiterhin der Mitte der Gesellschaft, denn genau diese ist verantwortlich für die Toleranz gegenüber Ungerechtigkeiten in einer Demokratie. Vorausgesetzt ist, dass die Mitte einer Gesellschaft eben die Mehrheit bildet; davon bin ich aber auch ausgegangen. Beispielsweise ist die Diskriminierung in Pakistan aufgrund der religiösen Zugehörigkeit auf nationaler Ebene stillschweigend akzeptiert worden und spiegelt sich in mancherlei Gesetz auch wider. Das liegt sicherlich nicht an die Regierung alleine, sondern an die Mitte und Mehrheit der Gesellschaft, die dies einfach toleriert. In Deutschland ist es eben nicht so, weil die Mitte dies noch nicht akzeptiert und toleriert.
"Wer diskriminiert wird, braucht nicht die Mitte der Gesellschaft, sondern Freunde, die ihn besser kennen als der Rassist, und die ihm konkret beistehen."Demnach dürfen also die Außenseiter diskriminiert werden, weil sie nun mal keine Freunde haben? Oder diejenigen dürfen diskriminiert werden, deren Freunde schwach sind? Ich glaube nicht, dass Sie das so sehen.
@Gugel und co. Schlagen Sie mal bitte die Definition von Rassismus und Diskriminierung nach.
Danke für den Hinweis. War Aber nicht nötig. Kenne ich.
Kenne aber auch das Gummiband im Memmi- Rassismus, das genau die immer ziehen, die zu ihrem " Debattenvorteil" den Begriff auf ihre Seite ziehen. Nur die Nagelprobe im täglichen Leben zeigt, ob ein Rassismus dem Handeln gegenüber einem Anderen erfüllt ist. Alles andere ist Verzäll um Stimmung zu machen. so wie ich ihren Beitrag hier betrachte.
Ich glaube nicht, dass Sie das so sehen.
Das können Sie gar nicht wissen, Herr Dr. Baloch. Meinen Kommentar glauben Sie ja richtig wiedergegeben zu haben - warum soll dann Ihre Schlussfolgerung daraus nicht stimmen?
Ich habe allerdings nicht geschrieben, was ich will, sondern das, was meiner Erfahrung nach ist. Die meisten Menschen in meiner Umgebung sind überfordert, oder fühlen sich jedenfalls überfordert, vom Schul- bis ins Rentenalter. Und unabhängig von dem, was die Mitte - Ihrer Ansicht nach - nicht akzeptiert oder toleriert: sie tut im Zweifel nicht viel - sich auf sie zu verlassen halte ich für einen Fehler, zumal ihr Alltagsrassismus so wenig fremd ist wie den "Rändern" der Gesellschaft.
Wenn Sie Mitglieder des abstiegsbedrohten Mittelstands fragen, ob der Satz Thatchers, dem zufolge es keine Gesellschaft gebe, sondern nur eigene Verantwortung für sich, die eigene Familie und (wenn noch etwas übrig bleibt) für den Nächsten, werden Sie dort mehr Zustimmung als Ablehnung hören. Ich bin mir ziemlich sicher, der Satz Thatchers gefällt eben darum so vielen, weil er die Verpflichtung den Nächsten gegenüber zu etwas Fakultativem macht, und eben nicht zu etwas Verpflichtendem.
Darum versuchen ja diejenigen, die sich verbandsweise oder professionell mit Diskriminierung oder Aggression gegen "Andere" auseinandersetzen, solche Beziehungsgefüge herzustellen, oder zu ihrer Herstellung aufzurufen: "sprechen Sie den Täter an, sprechen Sie Mitreisende an, suchen Sie Mitstreiter," etc.. Der zivilgesellschaftliche Zeitgenosse soll etwas zu seiner Sache machen, was bis dahin (das ergibt sich m. E. aus solchen Formen der Aktivierung) gar nicht seine Sache ist.
Auf ein "Wort zum Sonntag" wartet die angefressene Mitte noch gerade. Und der (zweifellos umso wichtigere) Teil der Gesellschaft, der aus sich heraus etwas unternimmt, braucht keins. Aber was hat der mit der "Mitte" zu tun?