Wenn liberale Theorie zu linker Politik wird

Gerechtigkeit Der liberale Philosoph John Rawls sorgte mit seiner "Theorie der Gerechtigkeit" 1971 für Aufsehen. Heute wird das Konzept von der Linken im Wahlkampf aufgegriffen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ein Manager dürfe nicht mehr als das Zwanzigfache des niedrigsten Gehalts im Unternehmen verdienen, fordert die Linke
Ein Manager dürfe nicht mehr als das Zwanzigfache des niedrigsten Gehalts im Unternehmen verdienen, fordert die Linke

Foto: Spencer Platt/Getty Images

"Ungleichheit kann gerecht sein" - was zuerst wie ein typisch wirtschaftsliberales Paradigma klingt, um die immer weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich und die dadurch entstehende Ungerechtigkeit der heutigen Gesellschaft zu rechtfertigen, ist die Quintessenz von John Rawls Theorie der Gerechtigkeit aus dem Jahr 1971. Dabei sorgte er vor allem bei Linken für Aufsehen, da seine Defintionen von Gerechtigkeit und Ungleichheit nicht der der gängigen liberalen Tradition entspricht, in der er zu Hause ist. Dass die Theorie in Form der Begrenzung von Managergehältern, bewusst oder unbewusst, im Wahlprogramm der Linken aufgegriffen wird, ist dafür bezeichnend.

Theoretisch...

Gerechtigkeit ist für Rawls Verteilungsgerechtigkeit. Seiner Meinung nach gibt es Grundgüter, die jede Konzeption eines "guten Lebens" benötigt. Um diese Grundgüter zu benennen, konstruiert er einen fiktiven, vorgesellschaftlichen Naturzustand, wie es ähnlich Thomas Hobbes schon vor ihm getan hat. Ging es Hobbes jedoch um die Legitimierung staatlicher Gewalt und Ordnung, war es Rawls Anliegen, die Ungleichheit, die dem Kapitalismus aufgrund seiner Systematik innewohnt, mit sozialer Gerechtigkeit zu verknüpfen. In diesem Urzustand sollen die Menschen überlegen, wie eine gerechte Gesellschaft auszusehen hat: Was ist ein gerechter Lohn? Welche Güter werden wie verteilt? Wer hat welche Rechte?

Um dabei nicht voreingenommen zu sein, entwirft Rawls in seinem Gedankenexperiment den sogenannten "Schleier des Nichtwissens". Dieser führt dazu, dass niemand seine Stellung in der späteren Gesellschaft kennen wird. Ohne also zu wissen welcher Klasse man angehört, welches Geschlecht man haben wird, in welcher Familie man aufwächst, welche Hautfarbe und welche Talente man besitzt, sollen die oben genannten Fragen beantwortet werden. Es werden Spielregeln entworfen, ohne zu wissen welche Position man in der späteren Gesellschaft innehat. In diesem Urzustand, so Rawls, werden sich die Menschen auf wenige, universelle Prinzipien einigen, bei denen es den am schlechtesten gestellten Menschen möglichst gut geht - man könnte ja immer selbst der- oder diejenige sein. Das Eigeninteresse und die Entscheidung aus der eigenen Position heraus, werden damit relativert. Ein so simpler und doch genialer Gedanke.

Daraus leitet Rawls sein sogenanntes Differenzprinzip ab: Selbst Ungleichheiten können gerecht sein. Doch nur dann, wenn sie auch denjenigen zu Gute kommen, die am Wenigsten besitzen. Soweit die Theorie.

Obergrenze mal anders!

Im Wahlprogramm der Linken steht: "Wir wollen verbindliche Obergrenzen für Manager- und Vorstandsgehälter: Sie dürfen nicht mehr als das Zwanzigfache des niedrigsten Gehalts im Unternehmen betragen"

Es klingt wie die praktische Übersetzung von Rawls Gedankenexperiments. Denn dadurch kann sich der Manager gut und gerne einen Milliongehalt auszahlen lassen, weil durch die Relation zu der niedrigsten Gehaltsstufe trotzdem auch die Putzkraft im Unternehmen besser verdienen wird. Die unhaltsame Gier nach Geld in der Chefetage, kommt somit auch den untersten Gehaltsstufen des Unternehmens zu Gute. Natürlich kann man sich über die genauen Zahlen streiten: Soll es das 30 fache oder doch nur das 12 fache sein, wie es die Jusos in der Schweiz gefordert haben? Da werden die Meinungen wohl auseinander gehen. Letztendlich geht es aber um etwas anderes:

Die von liberaler Seite viel beschworene Leistungsgesellschaft würde wieder ihrem eigenen Anspruch würdig werden. Gerade in Bezug auf das Versagen von Managern wie Winterkorn, der für seine dubiose Verwicklung in den Abgasskandal von VW eine Tagesrente von absurden 3100 € pro Tag bekommt. Zu Zeiten der Finanzkrise gibt es unzählig ähnliche Beispiele, bei denen exorbitante Abfindungen bei offensichtlichem Versagen gezahlt wurden. Hat das noch etwas mit Leistung zu tun? Es gilt in diesem Wahlkampf, Wirtschaftsliberale mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Ein Vorschlag, wie ihn die Linke derzeit macht, kann mit Rawls Theorie untermauert werden. Dann würden die vorschnellen "Kommunismus!" Rufe verklingen und man setzt sich möglicherweise ernsthaft mit dieser Idee auseinander. Wer kann schon so einfach einer Theorie der eigenen Denkschule widersprechen, ohne sich damit richtig auseinandergesetzt zu haben?

Man muss sich der Sonderstellung Rawls im Liberalismus natürlich immer bewusst sein. Es ist nicht der Marktliberalismus und es ist sogar mehr als der politische Liberalismus. In den Worten des Philosophen und selbsternannten Sozialisten Axel Honneth, bezeichnet er diesen als "einen sozialistischen Veteran im Felde des Liberalismus". Man hätte es in diesem Fall wohl auch bei der Bezeichnung Sozialdemokraten belassen können. Doch würde die SPD eine solche Forderung stellen? Wohl kaum. Schade eigentlich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

dreher

Student an der Universität Stuttgart.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden