Zurücklehnen und nichts tun

CDU Die Kandidatur von Friedrich Merz wird in Kreisen der SPD überraschend wohlwollend aufgefasst. Dahinter lässt sich Parteitaktik des SPD-Establishments vermuten.

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Wer hätte gedacht, dass Friedrich Merz ein sozialdemokratischer Hoffnungsträger ist?
Wer hätte gedacht, dass Friedrich Merz ein sozialdemokratischer Hoffnungsträger ist?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Personalie elektrisiert das politische Berlin: Friedrich Merz (CDU), von 1994 bis 2009 Mitglied des Bundestags, davon zwei Jahre Fraktionsvorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion (2000-2002), nachdem er von Angela Merkel wider Willen von diesem Posten abgelöst wurde. Das hinter seiner Kandidatur ein persönlicher Rachefeldzug steht, mag schon richtig sein und ist das gängige Narrativ in den Medienhäusern. Jedoch lässt sich sein Comeback nicht nur mit gekränktem Stolz, sondern vielmehr mit kühler rationaler Strategie erklären. Diese benötigt man vor allem, wenn man wie Merz, neben vielen anderen Nebentätigkeiten bei Großunternehmen, als Cheflobbyist des deutschen Ablegers des weltweit größten Vermögensverwalters Black Rock tätig ist. Er steht wie kaum ein anderer für den Sumpf von Politik und Wirtschaftslobbyismus. Merz gilt als überzeugter Neoliberaler, wurde bekannt für seinen Vorschlag, ein Steuerkonzept auf einem Bierdeckel zu erstellen, einen Hartz IV Satz von 132€ für ausreichend zu befürworten und generell den Sozialstaat einzudämmen anstatt auszuweiten. 2008 erschien sein Buch "Mehr Kapitalismus wagen", welches seine Ansichten noch einmal sehr gut zusammenfasst. Er bewirbt sich also mit eindeutigen politischen Positionen auf den Vorsitz der CDU und dem Ziel, diese wieder nach seinen Grundüberzeugungen auszurichten.

Seine Kandidatur polarisiert, und das natürlich auch außerhalb der Union. Während manche in ihm den neuen Hoffnungsträger des Konservatismus sehen – die Debatte um eine deutsche "Leitkultur" geht übrigens auch auf Merz zurück –, wird den anderen Angst und Bange bei der Vorstellung, einen CDU-Vorsitzenden mit den gerade geschilderten Ansichten im mächtigen Konrad Adenauer Haus sitzen zu haben. So weit so gut. Und dann gibt es doch tatsächlich Zuspruch für die Kandidatur von einer Seite, von der man sowas nicht erwarten würde. So lässt sich in Kreisen der SPD ein gewisses Wohlwollen über die Kandidatur feststellen. So sagte beispielsweise Ralf Stegner, seines Zeichens SPD-Vize, gegenüber dem Tagesspiegel folgendes: "Wenn jemand wie Merz CDU-Chef werden sollte, hätte das jedenfalls den Vorteil, dass sich Union und SPD klarer unterscheiden als heute. Das stärkt die Demokratie und minimiert das Potenzial der Rechtspopulisten".

Und ja, tatsächlich kann eine nach rechts (gesellschafts- wie wirtschaftspolitisch) driftende CDU zu einem Wiedererstarken der SPD führen, da sich viele sozial-konservative Wähler von der Union eventuell abwenden werden. Und das Schöne dabei ist, dass die SPD sich dafür gar nicht ändern muss! Zurücklehnen und nichts tun kann da die Devise lauten. All das lästige Gerede von inhaltlicher, struktureller und personeller Erneuerung wäre hinfällig, sobald die Umfragewerte wieder steigen und man bei den Landtagswahlen Erfolge feiert. Das Establishment der deutschen Sozialdemokratie würde plötzlich wieder als linke Alternative zur nach rechts gerückten Merz-CDU wahrgenommen. Neben einem Vorsitzenden Merz würde sogar Olaf Scholz als überzeugter Sozialdemokrat durchgehen. Doch objektiv würde sich nichts ändern, eine Abkehr von den Grundzügen der Agenda 2010, die mühsame, nervenaufreibende und vor allem kritische Beschäftigung mit der eigenen Politik der letzten Jahrzehnte wäre nicht mehr von Nöten. Obwohl genau das, das Gebot der Stunde sein sollte.

Natürlich kann auch alles ganz anders kommen, der Autor ist schließlich kein Hellseher. Trotzdem sollte man die Reaktionen der SPD bis zum Parteitag der CDU im Dezember genaustens beobachten. Wenn sich die wohlwollenden Äußerungen zu Friedrich Merz häufen und eigene inhaltliche Vorstöße ausbleiben, lassen sich diese leicht als parteitaktische Nebelkerzen entlarven. Oder wie soll man sonst Aussagen von SPD-Politikern interpretieren, die sich über einen Kandidaten auf den mächtigen CDU Vorsitz mit Anspruch auf das Kanzleramt freuen, der politisch diametral zu sozialdemokratischen Grundpositionen steht?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

dreher

Student an der Universität Stuttgart.

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