Bürgerversicherung und Sozialphilosophie

Gerechtigkeit Die Bürgerversicherung ist das sozialpolitische Thema der Stunde. Ein Blick in die jüngste Vergangenheit der Gerechtigkeitsphilosophie liefert eine eindeutige Antwort

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Bei der Gesundheitsversorgung sollten alle Menschen gleich sein
Bei der Gesundheitsversorgung sollten alle Menschen gleich sein

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

In der aktuellen Debatte um die Bürgervesicherung, gibt es viele Möglichkeiten diese zu legitimieren und Gründe für eine solche anzubringen. Abgesehen von finanziellen und materiellen Gesichtspunkten, ist es vor allem der Gerichtigkeitsgedanke, welcher den Kern der Bürgerversicherung ausmacht und in der Abschaffung der Zwei-Klassen Medizin fußt. Dabei lässt sich auf das Werk "Sphären der Gerechtigkeit" des US-amerikanischen Sozial- und Moralphilosophen Michael Walzer aus dem Jahr 1983 zurückgreifen. Darin liefert dieser eine umfassende Theorie der Gerechtigkeit, welche sich wunderbar auf das aktuelle Versicherungssystem der Bundesrepublik anwenden lässt, um die Ungerechtigkeiten deutlich zu machen.

Graue Theorie...

Walzer geht davon aus, dass der Wert von Gütern sozial konstruiert ist. Das bedeutet, dass in unterschiedlichen Gemeinschaften gleiche Güter, aufgrund von kulturellen und historisch gewachsenen Eigenheiten, einen unterschiedlichen Wert besitzen. Beispielsweise besitzt eine Kuh in Indien, da sie als heilig gilt, einen höheren Wert als in Deutschland. Aus dieser Tatsache leitet Walzer ab, dass Gerechtigkeit nicht universell gesehen werden kann, sondern immer kontextspezifisch gedacht werden muss. Alle Verteilungen sind gerecht oder ungerecht in Relation zur gesellschaftlichen Bedeutung der zur Verteilung gelangenden Güter. Als Folge dessen, überträgt Walzer dieses Prinzip auf die Gesellschaft und geht davon aus, dass es verschiedene gesellschaftliche Sphären gibt, in denen jeweils eigene Standards von Gerechtkeit herrschen. Zum Beispiel existiert in der Spähre "Lohn" das Verteilungsprinzip "Verdienst". Das Gut "Lohn" in Form von Geld, wird nach dem Prinzip "Verdienst" ausgezahlt. Man soll also Leistung erbringen und wird danach bezahlt. In der Sphäre "Medizinische Versorgung" herrscht das Prinzip "Bedürfnis". Wer krank ist, sollte auch eine anständige medizinische Behandlung gewährleistet bekommen und muss sich diese nicht verdienen. Soweit so gut.

Was Walzer jedoch hinzufügt ist von besonderer Wichtigkeit. Die Sphären müssen strikt getrennt sein, da ein Vorteil in der einen Sphäre kein Vorteil in der anderen Sphäre erbringen darf. Walzer formuliert es folgendermaßen: kein soziales Gut X sollte ungeachtet seiner Bedeutung an Männer und Frauen, die im Besitz eines anderen Gutes Y sind, einzig und alleine deshalb verteilt werden, weil sie dieses Y besitzen.

Bürgerversicherung als Übersetzung Walzers Theorie?

Bezogen auf unser Beispiel bedeuetet das, dass der Besitz von Geld aus der Sphäre "Lohn", keinen Einfluss auf die Sphäre "Medizinische Versorgung" haben darf. Die beiden Verteilungslogiken existieren nur in ihrer jeweiligen Sphäre. Im Gegensatz zur universellen Gleichheit, lässt sich Walzers Konzept als "komplexe" Gleichheit beschreiben.

Es wird jetzt wahrscheinlich deutlich, weshalb gerade diese Theorie als Legitimierung einer Bürgerversicherung gelten kann. Durch das aktuelle System der Zwei-Klassen Medizin, erhalten Privatversicherte einen Vorteil in der medizinischen Behandlung, allein deshalb, weil sie es sich schlicht und ergreifend leisten können. Dagegen müssen gesetzlichversicherte Personen mit längeren Wartezeiten und schwieriger Terminfindung kämpfen. Außerdem sind gesetzlich Versicherte dem möglichen Gewinnstreben der Ärtze ausgeliefert, weil zwei unterschiedliche Tabellen existieren, nach denen medizinische Behandlungen abgerechnet werden. Ärzte haben den Anreiz, Privatversicherte schneller und intensiver zu behandeln, da diese mehr Geld einbringen. Als Folge dessen belegen zahlreiche Studien eine unterschiedliche Lebenserwartung zum Nachteil der gesetzlich versicherten Patienten. Dabei ist der Faktor "Versicherungsart" natürlich nicht die Haupterklärungsvariable, hat jedoch emprisich belegt einen Einfluss. Eine Bürgervesicherung würde dafür sorgen, dass ausnahmslos alle Bürger und unter Einbeziehung aller Einkunftsarten Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung leisten und gleichermaßen alle Bürger im Versicherungsfall daraus gleichwertige Leistungen in Anspruch nehmen können. Das führt zu einem höheren Mindestniveau an Versorgung und einer Stärkung der gesetzlichen Krankenversicherung, was zu einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung für die überwiegende Mehrzahl der Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik bedeuten würde. Gesundheitsversorgung sollte keine Frage des Geldbeutels sein!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

dreher

Student an der Universität Stuttgart.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden