Die Lüge der Freiheit

Autoritarismus Der Kapitalismus wird meist als freiheitliche Idee gepriesen, ist in Teilen jedoch zutiefst autoritär. Wieso eine Demokratisierung des Wirtschaftssystems Not tut

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Bis aufs letzte Hemd.
Bis aufs letzte Hemd.

Foto: Eddi/flickr (CC BY 2.0)

Marktwirtschaft führt zu Demokratie. Diese, in der Politikwissenschaft häufig vertretene These, wirkt auf den ersten Blick plausibel. In den letzten 300 Jahren machte es tatsächlich den Anschein, dass mit dem aufstrebenden Bürgertum, welches sich gegen die verkrusteten Strukturen des Absolutismus durchsetzte, eine Demokratisierung der Gesellschaft einher ging. Freiheitsrechte wurden nach Vorbild der großen liberalen Denker der Aufklärung wie Locke und Kant implementiert, die Republik als Staatsform entstand, der Absolutismus musste dem Parlamentarismus schrittweise weichen. All das geschah in Verbindung mit der tiefgreifensten aller Veränderungen, welche bekanntermaßen Marx schon beschrieb: Die Ablösung des Feudalismus durch den Kapitalismus. Das klingt nach einer unglaublichen Erfolgsstory, welche sie in Teilen auch ist. Die Freiheit des Marktes übertrug sich auf die Freiheit der Bürger. Doch stimmt das wirklich?

So sehr der Kapitalismus das Loblied der Freiheit singt, so autoriär ist er teilweise im Inneren. Das politische System wurde demokratisiert, das Wirtschaftssystem nicht. Letzteres verharrt in alten Strukturen, die wie aus der Zeit gefallen scheinen: Strikte Hierarchien, kaum Mitbestimmungsrechte, teilweise ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, sowie Sanktionierungen, wenn man sich dagegen wehrt.

Letzteres wurde am Beispiel von H&M im Freitag vom 26.Oktober dargestellt. Dabei berichtet Elmar Wigand (Vorstandsmitglied von aktion./. arbeitsunrecht e.V.) von systematischer Bekämpfung von Betriebsräten und gewerkschaftlicher Organisierung. Praktisch sieht das so aus: Betriebsräte bekommen keine Aufstockungen von Arbeitszeit, schlechte Schichten, Androhungen von Entgeldkürzungen und so weiter. All das geschieht Hand in Hand mit der deutschen Arbeitsrechtabteilung von DLA Piper, die Salven an Abmahnungen und Kündigungsversuche gegen unliebsame Betriebsratsmitglieder abfeuert. Die Message ist klar: Wehe du wirst zu aufmüpfig, sonst wird es ungemütlich!

Genau dort besteht der Kardinalfehler im kapitalistischen System. Wo jeder Staatsbürger im politischen System vor dem Gesetz gleich ist und die selben Rechte besitzt, ist es im Wirtschaftssystem umgekehrt. Es gibt eine strikte Ungleichheit an Rechten und Einflussmöglichkeiten, was zu einer Situation führt, in der Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht auf Augenhöhe miteinander verhandeln - zugunsten der Kapitalseite. Dieser Zustand ist autoritär! Und das, obwohl das Bürgertum damals wie heute freiheitliche Ideale vertritt. Doch wie es den Anschein macht, nur bezogen auf den Staat. Dieser soll so schlank wie möglich sein und falls er doch mal versucht in Wirtschaftsprozesse einzugreifen, wird von liberaler Seite sofort die Fahne der Freiheit hochgehoben um den "autoriär" handelnden Staat auf sein angebliches Fehlverhalten aufmerksam zu machen.

Anarchokapitalismus? Kann es gar nicht geben!

Besonders stark wird dieser Ansatz von libertärer Seite vertreten. Auch unter dem Namen Anarchokapitalismus bekannt, vertreten Anhänger dieser Theorie die Auffassung, dass der Staat ein illegitimes politisches System ist, das Gesellschaftsmitglieder in ihrer Freiheit beschränkt und unrechtmäßig Gewalt gegen sie ausübt. Diese grundlegend anarchistische Haltung wird mit dem freien Markt verbunden und der konsequenten Abschaffung des Staates - im Unterschied zum Minimalstaat wie ihn beispielsweise die FDP vertritt. Vor allem in den U.S.A. findet diese Theorie großen Anklang. Aktuell in Form der Regierung Trumps, die sich vorgenommen hat das "Big Government" und somit den Staat auf ein Minimalpensum zu schrumpfen, was verheerende Folgen nach sich zieht. So viel Freiheit wie möglich ist das Motto - natürlich nur für Wohlhabende, welche auf den Staat nicht angewiesen sind. Dieser freiheitliche Anspruch steht jedoch im diametralen Widerspruch zu der Logik und Funktionsweise des Kapitalismus. Herrschaftsfrei ist dieser wie beschrieben keineswegs, Hierarchien gehören zwangsläufig dazu und Gewalt ist in Form von psychischer (siehe oben) bishin zu struktureller Gewalt (Johan Galtung lässt grüßen) im System verankert. Anarchismus kann demnach keineswegs mit Kapitalismus einhergehen.

Was es also braucht ist eine tiefgreifende Demokratisierung der Wirtschaft. Damit ist nicht die Verstaatlichung nach sowjetischen Vorbild gemeint, sondern die Übertragung des Prinzips der Demokratie auf das Wirtschaftssystem - wir reden hier von starken Mitbestimmungsrechten bishin zur "autogestion" (Selbstverwaltung). Darunter versteht man, den Abbau von Herrschaft und Hierarchien und die damit verbundene Freisetzung der Kreativität der Arbeiter*innen durch Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Betriebe. "Autogestion" war die entscheidene Losung für die Geschehnisse des Pariser Mai 1968, unter der sich die anti-autoritäre Protestbewegung der Studierenden mit der Arbeiterklasse einte und das politische System in Frankreich kurz vor den Zusammenbruch führte. Der Demokratisierung der Universitäten sollte eine Demokratisierung der Bertriebe folgen. Das Prinzip ist auch heute aktueller denn je! Zusätzlich benötigt es selbstverständlich eine Rekommunalisierung bestimmter Sektoren wie beispielsweise Krankenhäuser oder den Wohnungsmarkt. Hier braucht es keinen Markt, der offensichtlich nicht funktioniert, sondern ein demokratisch legitimiertes und kontrolliertes Engagement des Staates, um die Freiheit und Rechte (z.B. das Recht auf Wohnen) für alle (!) zu garantieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

dreher

Student an der Universität Stuttgart.

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