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Sobald ein Thema eigene Dynamik, sein eigenes Tempo gewinnt, wird es spannend. Und wenn erst der mainstream aussteigt, wird es höchste Zeit, sich zu kümmern.

Also Iran. H. M. Broder meldet sich in einem Gespräch mit dem Deutungsadel zu Worte und bringt, was Mohr anformuliert [zu lesen im Spiegelmohrblog], zu Position: Die europäischen Nationen sollen in einer konzertierten Aktion ihre Botschafter zurückberufen.

Aha. Die Irrläufer im Rückzugsgefecht. In aufrechter Haltung und stramm und mit geschwellter Brust - sowas hat Tradition in Deutschland. Einsicht? Selbstkritik gar? Ah geh! Ach woher denn! Und glaube niemand, sie träten beim nächsten Anlass zurückhaltend auf!

Übrigens, der Ordnung halber: Die inhaltliche Position, wie sie IDA L. im selben Blog formuliert, ist unstrittig. Darüber hinaus ist nur ehrlich, zuzugeben, dass wir über die wirklichen Abläufe im Iran nicht zuverlässig informiert sind. Wer würde sich anmaßen, zu behaupten, er kenne Daland oder Hierland? Wir haben ein Sammelsurium von Informationen zur Hand, die einer von politischen Macht- und Herrschaftsinteressen gesteuerten Selektion durch Nachrichtenagenturen unterliegen, neuere Stichworte sind embedded journalism und AlJazeera, ist alles bekannt. [Und übrigens, Deutungsadel, erklär doch mal, weshalb bei euch die Lager der Taliban Hochburgen heißen, die der NATO-Truppen aber Stützpunkte. Nur mal so.]

Die Weiterungen des Iran-Gesprächs sind vielversprechend. Die USA werden genannt, es ist nicht genau festzustellen, von wem, aber nun sind sie einmal dabei. Auch über die Zustände in den USA sind wir selektiv informiert; es gibt hier ein Philadelphia-Blog, das derartig selektiven Informations-Output eindrucksvoll aufzeigt. Was gezeigt wird, hat wenig zu tun mit Philadelphia.

Mir geht es um das Thema Armut. Die hiesigen Armutsberichte liefern eine Menge Daten. Aber Armut verstehen? In gewissem Sinn ein Damaskuserlebnis war für mich eine Reportage über Armut in Mecklenburg; da wurde mir nahegebracht, was Armut und Not sind, auf eine Weise, die das Auflisten von Daten und Fakten nicht leistet, es gibt solche Texte, nur sind sie selten. [Übrigens: Die Texte von poor on ruhr sind eine Bereicherung.]

Vor einigen Jahren besuchte ein Freund im Auftrag eines TV-Literaturmagazins Autoren in den USA; er sagt, wir haben keine Vorstellung davon, was Armut ist und unter welchen Bedingungen die Menschen in den ländlichen Regionen vor allem der Südstaaten leben [müssen]. Das Schlimmste sei, dass die Menschen davon überzeugt sind, sie hätten selbst schuld an ihrer Situation. [Diese Schiene bzw. ihr Unterbau wird unermüdlich auch bei uns ausgelegt, parallel zu Hartz IV/Agenda 2010]

Ein positiv definiertes Verhältnis zu den USA wendet sich diesen Themen zu, dem Alltag der Menschen: Rassismus, Integrationspolitik, Diskriminierung von Frauen, Armut - Armut, Armut, Armut. Wo lesen wir Reportagen darüber? Kommen sie nur hier nicht an? Journalisten reisen gern im Tross der Politiker? Wie schön, man wähnt sich unter seinesgleichen. Ein wichtiger Termin jagt den anderen!

Es ist die Selektion, es ist der mainstream, der uns auf celebrities orientiert sowie auf die übliche Auswahl politischer Amts- und Würdenträger. Nett auch immer mal wieder die bemühten Versuche um gesellschaftliche Aufwertung der Porno-Szene. Begleiterscheinungen des Rechts auf freie Information und Meinungsäußerung? Nein - der gewollte, destabilisierende Normalzustand, ein gnadenlos geschwätziges Tohuwabohu.

Vorsichtig formuliert, sollten die Gewichtungen neu justiert werden: nicht die Traumwelten preisen, nicht die bunten Seifenblasen, sondern jene Zustände wahrnehmen, die demnächst auf uns übergreifen, die drohenden Alpträume, und der damit verbundene Appell hieße, dafür die Augen zu öffnen, hieße, aus den Fehlern und Pannen anderer, z. B. der USA, zu lernen.

Tja, Deutungsadel, Denken hilft. Rechtzeitig, wenn's noch möglich ist. Hans-guck-in-die-Luft? Hat euch den nicht eure Mutter noch vorgelesen? Aus Struwwelpeter habt ihr ja gelernt, ihr Nadelstreifen. Nun lernt mal diesen.

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Geschrieben von

Dreizehn

Lebe in einem Winkel der Stadt, lese, schreibe gelegentlich.

Dreizehn

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