Der Autor und Journalist Martin Reichert möchte nichts Geringeres, als den Kampf der Geschlechter beilegen. Zu diesem Zweck hat er ein Buch geschrieben. Vertragt euch! Auf Friedensmission zwischen Mann und Frau (Fischer Verlag) beschreibt seine Treffen mit fast zwei Dutzend Kriegsteilnehmern. Reichert selbst liebt Männer und sieht sich deshalb als neutraler Beobachter. Bei einem Cappuccino inklusive obligatorischem Karamellkeks erklärt er die Beweggründe seines Einsatzes.
Der Freitag: Herr Reichert, Sie haben sich zum Ziel gesetzt, in 24 Stunden die Welt zu retten, indem Sie den Kampf der Geschlechter ein für allemal befrieden. Knapp kalkulierter Zeitrahmen für so ein großes Ziel, oder?
Martin Reichert: Die Konflikte zwischen Mann und Frau sind natürlich so alt wie die Menschheit, insofern ist das augenzwinkernd zu verstehen. Ich schreibe ja in der Einleitung: „Um den Klimawandel müssen sich andere kümmern, ich kümmere mich jetzt um die Beendigung des Kriegs der Geschlechter.“ Das ist natürlich nicht ganz so ernst gemeint.
Heißt das im Umkehrschluss, dass es bei homosexuellen Paaren nicht ewig wiederkehrende Beziehungsprobleme gibt?
Man kann sicher Parallelen ziehen, trotzdem gibt es auch Verschiebungen. Man kann das nicht eins zu eins übertragen. Das habe ich am Anfang meiner ‚schwulen Karriere‘ gemerkt. Man macht es natürlich zunächst trotzdem, denn wie geht Liebe, wie geht Beziehung? Man lernt das von Mama und Papa. Ich hatte früher auch Beziehungen mit Frauen. Als ich dann mit einem Mann zusammen war, habe ich gemerkt, du kannst nicht einfach die gleichen Tricks bei Männern anwenden, die bei Frauen funktionieren mögen.
Warum denn nicht?
Die klassische Rollenverteilung haut nicht hin. Die berühmte Frage, die Schwulen immer gestellt wird: „Wer ist bei euch Mann oder Frau?“, ist Quatsch. Was das emotionale Gedöns betrifft, gibt es aber natürlich viele Gemeinsamkeiten zwischen hetero- und homosexuellen Beziehungen. Es gibt bei Schwulen auch Diskussionen um Treue. Zwar wird meist lockerer damit umgegangen, aber Ängste, Langeweile, Machtkämpfe – das alles bleibt. Ein Unterschied ist, dass Kinderkriegen als Beziehungskitt entfällt, aber das machen auch nicht alle Heteros. Trotzdem kommt es in ihren Gesprächen immer vor. Auch Paare, die keine Kinder haben, arbeiten sich daran ab.
Ihre Mutter sagt zum Schluss im Buch: „Das ist doch kein wirklicher Krieg – was sich liebt, das neckt sich, so war das schon immer.“ Wo würden Sie in einer Beziehung die Trennlinie ziehen zwischen Spaß und Schluss mit lustig?
Wenn dem Gegenüber die Würde abgesprochen wird – und das gilt auf jeden Fall für beide Geschlechter. Auch das Sich-lustig-Machen über Männer, ihnen ihre Würde zu rauben, gefällt mir nicht. Dieser Siebziger-Jahre-Steinzeit-Feminismus etwa, nach dem Motto: „Alles was Mann ist, ist prinzipiell böse, lächerlich und schlecht.“
Gibt es aber auch andersherum ...
Die Kehrseite der Medaille sind natürlich frauenverachtende Witze. So oder so: Ich kann einfach den Hass nicht nachvollziehen, der hinter solchem Verhalten steckt. Ich mag prinzipiell Männer, aber ich mag ja auch Frauen und hab mit ihnen keine offene Rechnung, wieso sollte ich sie hassen? Ich habe da kein Machtproblem oder so. Aber wie stark man damit konfrontiert ist, hängt sicher auch davon ab, in welchen sozialen Räumen man sich bewegt.
Als Ausgangssituation Ihres Buchs beschreiben Sie, dass sich beziehungsgeplagte Männer wie Frauen gleichermaßen an Ihrer Schulter ausheulen. Mögen Sie so etwas oder geht Ihnen das auch auf den Keks?
Ich schreibe immer wieder gern über Klischees – und der schwule beste Freund ist natürlich genau ein solches.
Wie sieht das dann konkret aus?
Es gibt Frauen, die wenden sich an Schwule, gerade weil diese nicht sexuell an ihnen interessiert sind. Es sind Männer, aber sie müssen als Frau keine Angst vor ihnen haben. Neu ist allerdings, dass Hetero-Jungs ihre Berührungsängste verloren haben. Ich finde das super. Das bedeutet ja nicht, dass sie bereitwillig mit einem in die Kiste steigen, aber dass sie nicht mehr panisch Reißaus nehmen und ständig doofe Witze machen, sondern sie wollen sich dann auch über ihr Mannsein mit mir unterhalten, wenn sie Liebeskummer haben. Sie wollen wirklich einen Rat. Und kommen dann zu mir, auch Paare, und zwar unabhängig voneinander ...
Wie fühlt sich das an?
Grotesk, natürlich möchte man denen manchmal einfach nur raten: ‚Sag doch mal das, was du mir gerade sagst, deinem Gegenüber!‘ Aber das ist der Kern des Ganzen, ich bin für Hetero-Paare neutral. Etwas anderes ist es, wenn es um schwule Beziehungen geht. Da bin ich genauso Opfer wie jeder andere auch. Ich hab eine Trennung hinter mir, die hat auch mich massiv aus der Bahn geworfen.
Wie würden Sie Liebe definieren?
Ich habe gelernt, dass wir nichts wissen. Deshalb rufe ich am Ende des Buches ja meine Mutter an – weil ich nicht mehr weiter weiß, da ich selbst immer noch unter Liebeskummer leide. Also: Was ist Liebe? Neulich habe ich mit schwulen Priestern über die christliche Definition gesprochen, die fand ich ganz schön.
Und zwar?
Liebe ist ein Geschenk, das man einem anderen Menschen macht. Der kann sich aussuchen, ob er es haben möchte oder nicht. Und er kann es auch wieder zurückgeben. Ich bin überhaupt nicht religiös, aber in meiner Prägung wahrscheinlich dann doch ein bisschen. Wahrscheinlich ist Liebe das Schönste, was Menschen geben können. Es ist auch toll, dass Menschen singen können oder so. Aber das kann man nicht vergleichen.
Identitätssuche und die Auseinandersetzung mit Rollenbildern und Klischees ist ein zentrales Thema in Ihren Büchern. Was ist so spannend daran?
Ich halte die Identität für eine unserer wichtigsten Baustellen. Materiell geht’s einem in der Regel ja gut, man hat dann viel Zeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist die Identität für mich eine Megabaustelle gewesen, mein Coming-out hatte eine richtige Identitätskrise zur Folge. Dadurch entwickelt man noch mal eine andere Sensibilität. Das ist auch der Punkt, wo ich bei anderen andocken kann, weil ich mir einbilde, dass ich da ein Gespür dafür habe. Wenn ich darüber schreibe, versuche ich eine Spiegelung zu erzeugen, mit der sich der Leser abgleichen kann.
Martin Reichert, Jahrgang 1973, lebt als Journalist und Autor in Berlin-Neukölln. Der ehemalige Zivildienstleistende versucht, im Kampf der Geschlechter zu vermitteln, denn als schwuler Mann wurde er oft zum Kummerkasten für heterosexuelle Männer und Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.