Im Dunkeln

Hinterzimmer Darkrooms sind die hedonistische Manifestation des Rechts, jederzeit mit jedem Sex haben zu können – und für Schwule mehr als Orte für schnellen, anonymen Sex
Ganz dunkel oder spärlich beleuchtet: Darkrooms locken mit dem Reiz des Verborgenen und Verbotenen
Ganz dunkel oder spärlich beleuchtet: Darkrooms locken mit dem Reiz des Verborgenen und Verbotenen

Foto: Der Freitag

An diesem Wochenende findet in Berlin wieder der Christopher Street Day statt, ein Gedenk- und Festtag gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Homosexuellen und allen anderen, die nicht in die Norm passen. Eine bunte Party des Miteinander. Doch es gibt auch dort Bereiche, wo Männer gerne unter Männern bleiben. Orte, die Heteros meist nur vom Hörensagen kennen, wie den Darkroom. Er ist ein Ort für Sexualkontakt. Anonym und unverbindlich, in jeder größeren Stadt weltweit zu finden. Ob mit Ausschanklizenz oder versteckt in einer Privatwohnung, zappenduster oder mit stilvoller Beleuchtung, schmuddelig oder schick.

Auch in Zeiten von Swingerclubs und Internetforen zur Vermittlung von schnellem Sex übt die scheinbare Mühelosigkeit, mit der schwule Männer sich dort ihren Höhepunkt verschaffen, auf viele Heterosexuelle immer noch eine große Faszination aus. Ein gewisser Neid, aber auch Angst und Vorurteile liegen nah beieinander.

Doch nicht jeder schwule Mann nimmt dieses Angebot auch in Anspruch, und gerade die jüngere Generation reflektiert stark, warum sie es tut oder eben auch nicht. Greg, ein exzentrischer Kunststudent, findet den Aspekt der doppelten Identität spannend: Unschuldig aussehende Jungs, die tagsüber auf der Parkbank Adorno lesen und dann abends in den Darkrooms einschlägiger Berliner Institutionen wie der Greifbar oder dem Ficken3000 anzutreffen sind.

Die letzte Instanz

Die Kombination aus Dunkelheit, harter Musik, Pornos und speziellem Geruch ist für Greg ein Antörner, trotzdem bleibt es eine Hassliebe. „Darkrooms sind für mich die letzte Instanz – wenn es auf der Party nichts zum Aufreißen gibt, und auf GayRomeo auch kein Hase springt, dann geh ich da hin.“ GayRomeo, die weltweit größte schwule Internet-Community, hat vieles verändert. Sie ermöglicht ihren Mitgliedern in weniger liberalen Ländern, Kontakte zu finden, und verhilft auch beim Coming Out zu einem Gemeinschaftsgefühl, das viele Männer damals in ihrer Teenagerzeit dringend gebraucht hätten. Trotzdem ist der Darkroom immer noch beliebt. In Berlin gibt es mehr als 30. Sie sind die Begleiterscheinung von Einrichtungen wie Bars, Saunen, Diskotheken, Pornokinos oder schwulen Buchläden. Die hedonistische Manifestation des Rechts, jederzeit mit jedem Sex haben zu können. Allerdings an einem Ort, an dem es keiner sieht. Schon im London des 18. Jahrhunderts verfügten die sogenannten Molly Houses (Molly war eine abfällige Bezeichnung für Homosexuelle) über dunkle Hinterzimmer. Im New York der sechziger und siebziger Jahre waren sie fester Bestandteil der schwulen Clubkultur, die sich damals in Greenwich Village ausbreitete.

Darkrooms sind heute gerade auch beliebt bei Männern, die ihre Sexualität verheimlichen wollen. Greg erzählt von vielen muslimischen Männern, die sie in den Hinterzimmern ausleben. Wobei sie eher die Ausnahme sind. Das gesellschaftliche Verstecken spielt bei den meisten keine Rolle mehr – die persönlichen Vorlieben stehen im Vordergrund. Und da ist der Darkroom nicht für alle was. „Ich mag nicht von jedem angefasst werden, das ist alles so unkontrolliert dort“, erklärt Andy seine Abneigung gegenüber den dunklen Hinterzimmern. Er ist Anfang 30 und Stylist. Er steht auf Voyeurismus, und wenn er sich für eine schnelle Nummer entscheidet, besucht er lieber eine Sauna, wo es hell ist und man sein Gegenüber deutlich erkennen kann. Oder er vereinbart ein Date mit jemandem aus dem Internet. Wie er sich den trotzdem anhaltenden Reiz der Darkrooms erklärt? Dort vermischten sich Fantasie und Realität, alles laufe über Tasten, Riechen und Schmecken ab.

Der Reiz des Anonymen ist immer noch das, was eine neue Generation von Schwulen in die dunklen Ecken des Berliner Berghains oder am Sonntag zur Pork-Party ins bereits erwähnte Ficken3000 lockt. Brian Claflin, US-amerikanischer Performancekünstler mit Stricher-Vergangenheit, haucht dem angestaubten Image der Neuköllner Schwulenbar neues Leben ein. Mit einer Schweinchennase begrüßt er seine Gäste persönlich bei Pork, einer Mischung aus Afterhour, Kunst-Happening und Aufrissparty. Ein Geheimtipp bei Hipster-Touristen, hier feiern auch Heteros ausgelassen in die neue Woche hinein, im Darkroom landen aber die meisten nur aus Versehen, weil sie ein Plätzchen suchen, um sich kurz mal auszuruhen.

Ist es also ein rein schwules Phänomen? Zumeist ja, zwar gibt es vereinzelt Läden für Lesben oder entsprechend gestaltete Swingerclubs, aber die breite Masse wird hier nicht bedient.

Nur mit Kondom

Die erste Aids-Epidemie Anfang der achtziger Jahre bedeutete in der Theorie zwar den Beginn der Ära des Safer Sex. Doch leider entwickelte sich daraus auch eine Gegenbewegung – die Verfechter des Barebacking, des ungeschützten Geschlechtsverkehrs. Klar betrifft dies auch die Darkrooms. Dort, wo man keine Handbreit sieht, ist es einfacher, das Kondom wegzulassen. Viele junge Schwule wollen nicht akzeptieren, dass sie die goldenen Jahre der sexuellen Befreiungsbewegung verpasst haben und verdrängen die gesundheitlichen Gefahren. Gegensteuern kann man nur durch Aufklärung, aber solange Anti-Aids-Kampagnen wie Werbung für reißerische RTL-II-Vorabendserien rüberkommen, wird das Thema zu oft unter den Tisch gekehrt.

Für Timo, 26, Herausgeber eines Lifestyle-Magazins, wäre Barebacking undenkbar. Verhütung ist Pflicht. Er geht gerne in Darkrooms, weil er die Atmosphäre und das leicht angestaubte Image unterhaltsam findet. „Alle sind so aufgeregt und ekelhaft geil.“ Seiner Mutter würde er aber nicht von diesen Besuchen erzählen. Jeder braucht schließlich seine Geheimnisse. Auch die schwule Community.

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Geschrieben von

Sophia Hoffmann

Sophia Hoffmann ist Köchin und Autorin. Als Aktivistin setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit und Feminismus ein.

Sophia Hoffmann

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