Wann ging das eigentlich los mit den Fashion-Blogs? Wann kam jemand auf die Idee, was Menschen in Großstädten auf der Straße tragen, sei es wert, einer weltweiten Öffentlichkeit vorgestellt zu werden? Die Aktivitäten der Mode-Blogger haben jedenfalls ein inflationäres Ausmaß erreicht. Junge Menschen mit umgeschnallten Spiegelreflex-Kameras sprechen jeden an, der nur entfernt modisch oder andersartig gekleidet daherkommt. Um ihn abzulichten und die Bilder schnellstmöglich im Internet zu veröffentlichen. Aufgepeppt werden die Einträge mit zusammenfantasierten Outfit-Namen (Urban Turban, Little Miss Knots, Hippie-ism). Beliebte Berliner Jagdgebiete sind der Flohmarkt im Mauerpark oder die Kastanienallee im Prenzlauer Berg. Ähnlich ist es in Paris, wo besonders gern im Parc des Tuileries fotografiert wird.
Somit war es nur eine Frage der Zeit bis Konzerne wie die französische Kaufhaus-Kette Galeries Lafayette diesen Trend für ihre Zwecke entdecken würden. Unter dem Motto „Du bist die Mode! La Mode, c‘est vous!“ will man dem Look von der Straße einen Laufsteg bieten, verknüpft das Ganze gleich mit einem Weltrekordversuch und promotet nebenher noch einen neuen Lippenstift. Als größte Modenschau der Welt mit einem über 2 Kilometer langen Catwalk soll die Veranstaltung, zeitgleich in Paris und Berlin abgehalten, einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde erhalten. Per Online-Voting konnten sich 200 Teilnehmer qualifizieren – man musste nur möglichst viele Stimmen erhalten, sprich: seinen gesamten Freundeskreis eine Zeit lang nerven.
Recherche auf dem Laufsteg
Da ich mit meinem „individuellen Stil“ in Berlin schon einige Male von Mode-Bloggern angesprochen wurde und davon immer geschmeichelt-genervt war, entscheide ich mich – ganz teilnehmende Beobachterin –, bei dieser Veranstaltung auf dem Laufsteg zu recherchieren.
Und so werde auch ich „die Mode“.
Bei der Ankunft in der Berliner Dependance der Galerie Lafayette wundere ich mich, dass die ausdrücklich verlangte, brav ausgedruckte und unterschriebene Einverständniserklärung der Abtretung sämtlicher Film-und Fotorechte niemand haben will. Dafür werde ich sogleich in den MakeUp-Bereich geschickt. Dort will ich meine persönlichen Schmink-Vorstellungen mitteilen, doch bevor ich ansetzen kann, heißt es: „Sorry, wir haben strikte Vorgaben, Smoky Eyes und rote Lippen, der Look ist einheitlich und dreht sich um den neuen Rouge Conture Lippenstift von Yves Saint Laurent!“
So viel zum Zelebrieren der Individualität in der Mode-Welt. Wenigstens ist die Kleidung frei wählbar, ich habe mich entschieden für ein Karnevals-Kostüm („Die Erdbeere“), einen historischen Kragen aus dem Theaterfundus und aufwendig bestickte Pailletten-Pumps. Nicht ganz alltagstauglich, zugegeben, aber dafür sehr individuell. Vertreten ist unter meinen Mitbewerbern außerdem so gut wie alles: Männer in schwindelerregend hohen Stöckelschuhen, Frauen, die eine Tonne Schmuck tragen, Kandidaten, die fast nackt kommen und solche, die kaum auffallen, aber das wohl für besonders einzigartig halten. Bemerkenswert: Die männlichen Teilnehmer sind viel mutiger gekleidet als die Frauen.
Auf der Damentoilette des Kaufhauses spielen sich kurz vor Beginn dramatische Szenen ab. Unglücklich mit dem aufgezwungenen MakeUp wischen Teilnehmerinnen aller Altersklassen in ihren Gesichtern herum, fragen verzweifelt nach Wattestäbchen und bessern mit dem Inhalt des eigenen Kosmetiktäschchens nach.
Wer macht bei einer solchen Veranstaltung eigentlich mit? Und vor allem warum? Grob kann man die Klientel in drei Gruppen unterteilen:
- Die Überredeten (Sie nennen andere als Teilnahmegrund: „Ich wurde auf der Straße angesprochen.“)
- Die Überzeugten ( „Ich interessiere mich schon sehr für Mode.“)
- Die Möchtegern-Profis („Ich bin Jungdesigner/Blog-Betreiber/Model und trage heute die Entwürfe von ...“)
Gefragt nach dem Warum beeindruckt mich besonders die Antwort eines Modedesign-Studenten: „Mode bedeutet Krieg – und ich will an der Front kämpfen.“
Ich bekomme etwas Angst.
In jeder Ecke des Kaufhauses bilden sich Teilnehmer-Schlangen, ich stelle mich einfach zu einer. Während des Wartens schwirren überall Fotografen umher. Keinen stört das, deswegen ist man ja gekommen. Am Kopf der Schlange wartet ebenfalls ein Fotograf, für den man posieren darf und der einen mit Anglizismen wie „great“ oder „glamorous“ belohnt. Wir spielen heute alle ein bisschen Germany’s Next Top Model.
Stampfen, watscheln, wackeln
Dann endlich die Show. Unter den Augen einer, nun ja, Promi-Jury (Merkel-Friseur Udo Walz, Designer Michael Michalsky, der auch für Tchibo arbeitet) und begleitet von einer fröhlichen Moderation stampfen, watscheln, wackeln 200 frierende Menschen über den Open-Air-Laufsteg auf der Friedrichstraße. Um sich bei der Fülle potenzieller Gewinner einen Überblick zu verschaffen, schreitet die Jury am Schluss im Laufschritt noch einmal die Reihen der Gleichgeschminkten ab. Dann die Siegerehrung. Sachpreise wie Spa-Aufenthalte oder Swarowski-Colliers stoßen auf gedämpfte Euphorie („Freust du dich?“ - „Äh, ja...“). Nach dem Erhalt eines Goodie-Bags ist für die Nicht-Gewinner alles vorbei.
Der Goodie-Bag enthält ein Swarowski-Accessoire, dessen Nutzen ich nicht kapiere und einen Lippenstift von Yves Saint Laurent. Also eine reine Werbeveranstaltung, die sich einen Straßen-Trend zu Nutze machen will? Oder doch ein Abend, der Träume wahr werden lässt? Wie die des jungen Transvestiten, der Minuten danach schon in Erinnerungen schwelgt: „Auf dem Laufsteg, im Scheinwerferlicht, da hab ich alles um mich herum vergessen.“ Er war an diesem Abend die Mode. Zumindest ein paar Minuten lang.
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