So schön abgefuckt

Lokalpatriotismus Obdachlose modeln, Hipster johlen: Das T-Shirt-Label „Muschi Kreuzberg“ schickt Menschen von der Straße auf den Laufsteg und feiert das Heruntergekommene

Der Kunstnebel wabert, die Musik stampft. Ein Independent-Label präsentiert an diesem Abend in den Räumen der ehemaligen DDR-Münzprägeanstalt in Berlin-Mitte seine T-Shirt-Kollektion. Das junge, lässig gekleidete Publikum ist in Feierlaune. Nur die Models auf dem Laufsteg scheinen nicht ins Bild zu passen. Sie wirken ungewaschen, haben fettige Haare und Gesichter und Körper, die von Armut und Sucht gezeichnet sind. Sie bedrohen die Zuschauer mit Spielzeugpistolen und klirrenden Ketten. Denen gefällt’s, es wird gejohlt.

„Muschi Kreuzberg“ nennt sich das Label, das zusammen mit der Jeansmarke Levi’s hier einen „Fatwalk“ präsentiert. Man feiert das heruntergekommene Image Berlins und vermarktet mit dem Slogan Kotti d’Azur das Kottbusser Tor, einen der Hauptumschlagplätze für Drogen in der Stadt. Auf den anderen T-Shirts steht Sucht und Ordnung; Harte Schale, weicher Korn und Du hast Angst vor’m Hermannplatz. Die Anti-Models, die auch auf der Label-Website muschikreuzberg.demit T-Shirts und Spruch-Jute-Taschen posieren, sind Obdachlose aus Kreuzberg.

Der kalkulierte Schockeffekt ist in der Modebranche ein alter Trick im Kampf um Aufmerksamkeit. Benetton bediente sich dessen ausgiebig mit den Schock-Kampagnen des Fotografen Oliviero Toscani. Auch das Abfeiern des Kaputten ist oft Teil der Inszenierungen, wie zuletzt der Designer Patrick Mohr auf der Berliner Fashion Week vorführte, als er ebenfalls obdachlose Models zeigte und in die Kritik geriet, weil er sie angeblich nur mit Schuhen abspeiste.

Spiel mit medialen Bildern

Ranzige Statements gehören zudem seit einiger Zeit gerade in der Party-Kultur Berlins zum guten Ton. Je abgefuckter, desto schicker. Wichtige Zutat des Muschi-Kreuzberg-Prinzips ist dann auch das Lokalkolorit. Man ist eindeutig verortet – und stolz drauf. Die Sprüche spielen mit medialen Bildern, die von sogenannten Problembezirken wie Kreuzberg zirkulieren. Dabei changieren sie zwischen platten Witzen, cooler Ironie und ein wenig Sozialkritik.

Erdacht wurde das Ganze von Joachim Bosse und Dominic Czaja, Geschäftsführer der Berliner Werbeagentur Dojo, zu deren Kundenstamm neben MTV und Universal Music auch der Berliner Senat zählt. Eigentlich möchten sie das T-Shirt-Label nicht im Kontext ihrer Haupttätigkeit sehen, sagt Bosse zu Beginn des Gesprächs auf der Ledercouch seiner Agentur. Dann erzählt er die Entstehungsgeschichte. Es begann vor drei Jahren mit Freunden beim Feierabendbier. Prinzessinnenbad, ein Dokumentarfilm über drei Mädchen, die um das Kottbusser Tor zu abgebrühten Großstadt-Teenies heranwachsen, sorgte gerade in den Kinos für Furore. Eine Protagonistin sagt im Film: „Ich komm’ aus Kreuzberg, du Muschi!“ Der Spruch erlangte schnell Kultstatus, auch weil er sich auf den Kinoplakaten fand, die zum begehrten Souvenir ortsansässiger Mittzwanziger wurden. Bosse und seine Freunde drehten den Satz einfach um und druckten ihn auf Aufkleber: „Ich komm’ aus Muschi, du Kreuzberg!“

So löste der Aufkleber das Kinoplakat ab. Man habe einen Gegentrend geschaffen, sagt Bosse. Vielleicht etwas hochgegriffen. Wahrscheinlicher ist, dass viele den Spruch als Identifikationsangebot fürs eigene Kiez-Gefühl adaptierten. Im Gespräch lässt sich Bosse ungern festlegen. Er schlängelt sich an konkreten Positionen vorbei: „Wir stellen keine Fragen, wir geben keine Antworten, wir sind einfach nur da. Wir haben keinen feuilletonistischen Anspruch“, sagt er, fügt aber kurz darauf hinzu: „Wir sehen uns als Günter Grass der Mode, wir möchten uns einschalten. Das kann auch mal gegen NPD-Plakate gehen.“ Sich gesellschaftskritisch einschalten, ohne Stellung zu beziehen – wie soll das gehen? Bei Werbern geht es darum, Dinge schön zu verpacken und zu verkaufen, der professionelle Umgang mit Ironie ist allgegenwärtig. Muschi Kreuzberg atmet deutlich diese Werber-Ironie.

Das Logo: Anker und Spritze

Nach dem Aufmerksamkeitserfolg der Sticker folgten Jutebeutel und T-Shirts mit Sprüchen. Das Wortspiel Kotti d‘Azur schmückte man mit einem Seemanns-Anker, der zugleich eine Heroin-Spritze ist. Markenname und Logo waren geboren. Der Bekanntheitsgrad stieg, und zum Sortiment kamen Pullis, Tassen, Feuerzeuge und Plakate. Es gibt Kooperationen mit großen Firmen wie Levi’s, ein internationaler Vertrieb ist geplant. Ein klassisches Beispiel organischen Wachstums nennt das Bosse.

Wichtiger Bestandteil der Marketingstrategie: der Einsatz der Anti-Models. Neben den Modenschauen werden sie auch für Print-Kampagnen abgelichtet und zu Anti-Helden stilisiert. Das geht bis zur Ikonisierung, wie im Falle von Käpt’n Kotti. Der schwer übergewichtige Mann mit der ungesunden Gesichtsfarbe bekommt demnächst eine eigene Kollektion. Er entwickle schon richtig Starallüren, sagt Bosse.

Ist das nicht zynisches Menschenvorführen? Diesem Vorwurf hält Bosse entgegen, dass seine Agentur seit Jahren gratis Kampagnen für das Obdachlosen-Magazin Straßenfeger entwickle, die Models gut bezahlt würden und viel Spaß an der Sache hätten. Man schenke ihnen Hoffnung und ein neues Selbstbewusstsein. Nur: Wie glaubwürdig ist das, wenn er im nächsten Atemzug betont, dass diese Menschen einfach nicht gut riechen?

Anders jedenfalls als die johlenden Zuschauer des Fatwalks, der Zielgruppe von Muschi Kreuzberg. Es sind junge Großstadtbewohner, die ihr Stück vom Untergrund-Berlin mit sich herumtragen und ihre Unangepasstheit demonstrieren wollen. Mit Käpt’n Kotti haben sie bis auf den Spruch auf dem T-Shirt nichts gemein. Der Käpt’n soll übrigens weiter in seinem Hoheitsgebiet anzutreffen sein. Direkt am Kottbusser Tor, gleich vorm Kaiser’s.

Sophia Hoffmann schreibt über Mode und berichtete im Freitag zuletzt über Slutwalks

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Geschrieben von

Sophia Hoffmann

Sophia Hoffmann ist Köchin und Autorin. Als Aktivistin setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit und Feminismus ein.

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