Todesangst vergisst man nicht

Gewalt und Transphobie Wie wir zu Opfern eines transphoben Übergriffs wurden.

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Menstruation Monsters bei einem Konzert in Wien
Menstruation Monsters bei einem Konzert in Wien

Das Ereignis, von dem ich heute berichte, liegt schon über zehn Jahre zurück.

Manchmal habe ich das Gefühl, diese Nacht hätte in einem anderen Leben stattgefunden, so unwirklich kommt mir in meiner Erinnerung vor. Manchmal habe ich sie auch fast vergessen, und dann holt es mich ganz plötzlich wieder ein. Wenn ich zum Beispiel Sonntagabend Tatort kucke und sehe wie jemand brutal zusammen geschlagen wird. Oder wenn ich im Internet etwas über Misshandlungen von homosexuellen oder transsexuellen Menschen lese. Ich zucke zusammen und es fällt mir alles wieder ein, wie ein Film, der immer wieder vor meinem inneren Auge abläuft.

Vor 12 Jahren, im Mai 2007 sang ich in der Wiener Electro-Clash-Band Menstrution Monsters. Wir waren drei Frauen, zogen uns bunt und verführerisch an, sangen provokante Songs mit Refrains wie „Dirty Soaked Tampon“ und hatten bei unseren Konzerten genauso viel Spass wie unser Publikum.

Wir waren stark und sexy, während wir unsere choreographierten Performances abzogen, wir spielten oft auf queeren Parties, alles glitzerte und es war herrlich.

Eine von uns drei war Trans, als Frau in Erscheinung tretend.

Auf den ersten Blick fiel das vielleicht gar nicht auf, auf den zweiten eventuell schon, ich habe damals überhaupt nicht weiter darüber nachgedacht.

Am 27.5.2007 fuhren wir von Wien aus nach Zagreb, um dort ein Konzert auf einer Party namens Blitz Kidz zu spielen, die nicht explizit LGBTQ* war, aber ein buntes, weltoffenes, fröhliches queeres Publikum anlockte.

A., unser trans-Member kommt ursprünglich aus Kroatien und schon vor unserem Auftritt war das mediale Interesse an ihr besonders groß.

A. gab ein TV-Interview für einen ortsansässigen Regionalsender und wurde gefragt, ob sie in Zagreb nicht Angst hätte „in drag“ auf die Straße zu gehen. Selbstbewusst verneinte sie.

Wir spielten ein tolles Konzert, die Gäste tobten. Gegen 2 Uhr früh verließen wir den Club und die Veranstalterin wollte uns zu ihrer Wohnung fahren, in der wir übernachten sollten.

Wir trugen immer noch unsere Bühnenoutfits.

Auf einmal kamen zwei Männer auf uns zu, und der eine fragte A. auf kroatisch nach der Uhrzeit.

Sie wollte gerade antworten, als er ihr unvermittelt eine Bierflasche über den Kopf zog.

A. hatte Glück im Unglück, sie trug eine Lederkappe mit einem Schirm, die ihr Gesicht etwas schützte, so dass sie nur einen Cut an der Augenbraue abbekommen hatte, und als der Mann weiter mit der Bierflasche auf sie losging, hielt sie sich schützend einen Teil unserer Bühnendeko vor den Körper, die ironischerweise aus einem riesigen neonfarbenen Mund bestand, der berühmten Stones-Zunge nachempfunden, nur anstelle der Zunge ragte ein Phallus zwischen den Lippen hervor.

Dies alles ereignete sich innerhalb von Sekunden und meine natürliche Reaktion war, den Mann laut auf Englisch anzuschreien und die Passanten auf der Straße zur Hilfeleistung zu animieren.

Es standen einige Leute vor dem Club herum aber irgendwie reagierte niemand.

Alle waren wie eingefroren. Offensichtlich hatte ich den Angreifer so erschreckt, dass er und sein Begleiter das Weite suchten. Wie in Trance gingen wir zum Auto der Veranstalterin, doch M., unsere dritte Bandkollegin sagte: „Schnell, schnell, der kommt noch mal zurück...“ ich verstand nicht was sie meinte, da, auf einmal, kurz bevor wir beim Auto angelangt waren, kam der Angreifer erneut angerannt, in Rage und mit einer abgebrochenen Bierflasche in der Hand.

So schnell wir konnten, versuchten wir in das bereits aufgesperrte Auto einzusteigen und er versuchte, uns daran zu hindern. Die verletzte A. und ich hechteten auf den Rücksitz, M. und die Veranstalterin waren noch draußen.

Bis heute kann ich nicht fassen, mit welch blinder Wut dieser Mensch auf uns losging. Er trat M. mit voller Wucht in den Bauch, dann rannte er auf die andere Seite des Autos und quetschte die Veranstalterin zwischen der Fahrertüre und dem Auto ein.

Sein Begleiter stand einfach nur daneben und lachte.

Er stand einfach nur da und lachte laut. Diesen Anblick werde ich nie vergessen.

Der Angreifer war blind vor Wut. Ich bin mir sicher, hätte er seine Flasche noch in der Hand gehabt, hätte er nicht davor zurückgeschreckt, jemanden tödlich zu verletzen.

Irgendwie schafften wir es dann doch alle vier ins Auto und verriegelten die Türen. Während der Mann noch gegen die Scheiben hämmerte, startete die Veranstalterin den Motor und wir fuhren los.

Immer noch standen Menschen um die Szenerie herum, keiner hatte eingegriffen, uns geholfen.

Wir fuhren in die Notaufnahme eines Krankenhauses, alle vier immer noch starr vor Schock.

Ich war panisch, hatte totale Paranoia, dachte der Angreifer würde uns vielleicht verfolgen und noch Stunden später fühlte ich mich nirgendwo sicher.

Immerhin stellte sich später heraus, dass wohl doch jemand die Polizei gerufen hatte, die aber erst nach unserer Flucht vor dem Club eingetroffen war, den Täter nicht gefunden hatten und wieder gefahren waren.

Sowohl im Krankenhaus als auch bei unserem Gang auf die Polizeistation, um Anzeige zu erstatten, bekamen wir eine unterschwellige Homo- und Transphobie zu spüren. So ganz nach dem Motto: „Wer so herumläuft, braucht sich nicht wundern wenn er angegriffen wird ."

Dieses Verhalten nennt man auch victim blaming.

Wir wurden wahrscheinlich nur einigermaßen ernst genommen, weil wir Gäste aus Österreich waren und die Veranstalterin vor Ort für das regionale Fernsehen arbeitete.

Sie sorgte auch dafür, dass der Vorfall gleich von dortigen Pressevertretern dokumentiert wurde.

Der Täter wurde bis heute nicht ausfindig gemacht, geschweige denn belangt.

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(A. nach dem Angriff im Krankenhaus)

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(A. am nächsten Morgen)

M. meinte später, ich hätte ihn nicht anschreien dürfen, das hätte ihn nur noch mehr provoziert, doch bis heute bereue ich meine Reaktion nicht. Ich habe als Teenager in einem Selbstverteidigungskurs gelernt, dass man sich immer wehren soll, da viele Täter damit nicht rechnen und sich durchaus einschüchtern lassen.

Solange ich mich wehren kann, werde ich mich immer wehren.

A. sagt heute: "Ich habe noch den verbeulten Ohrring und eine kleine Narbe über dem Auge. oft habe ich darüber gesprochen, doch nicht das Gefühl deswegen ein Trauma zu haben, aber man wird vorsichtiger und vergessen werden wir alle vier diese Attacke nicht."

Selbst das Gefühl zu haben vorsichtiger sein zu müssen, spielt leider wieder in die Idee des Victim Blaming/ Shaming, wir müssen eine Gesellschaft schaffen, in der A. nicht "vorsichtig sein muss" um körperlich unversehrt zu bleiben.

Ich habe ganz klar ein Trauma aus dieser Situation hervorgetragen, darüber zu sprechen hilft, aber gerade erst vor ein paar Wochen habe ich - als Zeugin einer Gewaltsituation - eine Retraumatisierung erfahren, die unglaublich schlimm und körperlich spürbar war. Nun bin ich endlich auf der Suche nach einem Therapieplatz und diese Erlebnisse mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten weil ich eingesehen habe, dass das nicht von selbst passiert und verdrängen keine Lösung ist.

So lange solche Übergriffe überall auf der Welt passieren und Menschen mit blinder Wut auf ihre Opfer losgehen, nur weil diese anders aussehen, anders fühlen oder anders lieben, so lange ist es wichtig, dass wir laut werden, wenn jemandem Unrecht geschieht. Dass wir uns einmischen, unsere Gesellschaft diverser gestalten und Vorbilder schaffen, die diese Vielfalt repräsentieren und normalisieren.

Ich werde diese Nacht nie vergessen – und deshalb werde ich niemals schweigen, wenn jemandem Unrecht geschieht.

Das Header Foto zeigt Menstruation Monsters bei einem Konzert in Wien, eine Woche nach dem Angriff in Zagreb, A. trägt diesselbe Kappe und verdeckt ihre Verletzung mit einer Haarsträhne.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sophia Hoffmann

Sophia Hoffmann ist Köchin und Autorin. Als Aktivistin setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit und Feminismus ein.

Sophia Hoffmann

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