Verliebt in eine Diva

Audienz der Woche Auch Journalisten haben Gefühle: Für unsere Autorin war die Begegnung mit dem Musiker Rufus Wainwright, der gerade sein neues Album veröffentlicht hat, ein Ereignis

Das erste Konzert von Rufus Wainwright besuchte ich 2005 im Wiener Gasometer, einem tristen Betonbunker mit mieser Akustik. Er spielte im Vorprogramm der britischen Gefühlsrockband Keane, wie viele andere war ich nur seinetwegen gekommen und überredete ihn später am Merchandise-Stand zu einer Zeichnung, die ich in der Rubrik "Musiker Malen" meines Fanzines veröffentlichte.

Widerwillig kritzelte er ein auf den ersten Blick simples Punkt-Punkt-Komma-Strich-Gesicht, doch für mich war das damals ein unumstößlicher Beweis seines Genies. Sobald man das Bild um 90 Grad drehte, ergab die Strichführung eine immer andere Mimik, das konnte kein Zufall sein.

Wainwright hatte gerade seine Crystal-Meth-Abhängigkeit besiegt und das Doppelalbum Want One und Want Two veröffentlicht, das ihn auf dem einen Cover als stolzen Ritter und auf dem anderen als holdes Burgfräulein zeigt. Ich war sofort verliebt in diese schwül-schwule Selbstinszenierung. Die Möglichkeit, ihn nun zum Interview zu treffen, ergriff ich nur zu gerne.

Unrasiert und leicht verpennt schwebt er in die Backstage-Räume der Berliner Universität der Künste, gekleidet ist er in ein fischgrätig gemustertes Strickoutfit der Berliner Designerin Claudia Skoda, an den Füßen trägt er schlurfige Sandalen.

Es darf geweint werden

Nachdem er sich auf einer bereitstehenden Designerliege ausgestreckt hat, kann die Audienz beginnen. Einzige Einschränkung: "Bitte keine Nachfragen zur Vaterschaft", teilt mir die Pressefrau vor dem Interview mit. Wainwrights Tochter Viva Katherine ist gerade ein Jahr alt geworden. Die Kindsmutter ist Leonard Cohens Tochter, und er übernimmt die Vaterschaft zusammen mit seinem deutschen Lebensgefährten Jörn Weisbrodt.

Interessanter als das Sezieren unkonventioneller Familienverhältnisse erscheint es mir aber ohnehin, einen Blick in die Welt eines Künstlers mit Hang zum Seelenstriptease zu werfen. Eines Künstlers, der auf die Frage, was man Kindern mit auf den Lebensweg geben sollte, antwortet: "dass es in Ordnung ist zu weinen." Wainwright spricht vom Luxus angeborenen Talents, von der Relativierung des Materiellen nach dem Tod seiner Mutter, der Folksängerin Kate McGarrigle, auf die er im Lauf des Gesprächs immer wieder zurückkommt, sowie von den einfachen Freuden einer Fußmassage. Er ist ein entspannter Gesprächspartner, der über meine und seine Scherze in keckerndes Gelächter verfällt.

Wie erklärt sich nun das Phänomen Rufus Wainwright, der zwar nie im Mainstream angekommen ist, aber eine – teils hochprominente – Fangemeinde um sich schart? Der 38-jährige Spross einer kanadisch-amerikanischen Musikerfamilie wuchs auf der Bühne auf und übernahm die Angewohnheit seiner Eltern, das Privatleben zum Inhalt seiner Werke zu machen. Der öffentlich ausgetragene Dreieckskonflikt zwischen seinem Ego-Übervater, dem Sänger Loudon Wainwright III, seiner ebenfalls singenden Schwester Martha Wainwright und ihm erinnert an den Plot einer Seifenoper. Doch Rufus ist eindeutig der Talentierteste des Clans.

Seine mit kaum auszuhaltendem Pathos belegte Ausnahmestimme entführt die Seele des Hörers in die Abhängigkeit. Neben der abgenudelten Version von Jeff Buckley ist die einzig erträgliche Coverversion des Leonard-Cohen-Klassikers "Hallelujah" deshalb die von Wainwright.

Auch als Komponist tut er sich hervor, seine Oper "Prima Donna" soll nicht der einzige Ausflug in die Welt der Oper bleiben, er hege großen Respekt vor diesem Medium, sagt er. Es erfordert eine große Portion Selbstüberzeugung, als Popmusiker eine Oper zu schreiben, selbst wenn man seit jeher mit der Materie vertraut ist, wie auf YouTube kursierende Familienvideos des kleinen Rufus beweisen, in denen man ihn mit seiner Schwester Martha große Klassiker nachspielen sieht.

Ob er aber auch schwache Momente habe? Klar, sagt er, doch habe er sich angewöhnt, sich in der Öffentlichkeit in einen Mantel aus Urvertrauen in seine Kunst zu hüllen; was nicht bedeute, dass er sich im stillen Kämmerlein nicht auch mal hässlich und nutzlos fühle.

So kommt er wieder auf die Menschen zu sprechen, die ihm nahe sind und waren, seine verstorbene Mutter und sein Verlobter, den er im Sommer heiraten wird. Zwar setzt Wainwright sich schon lange für die gesetzliche Gleichberechtigung homosexueller Paare ein, selbst war er von einer Ehe aber nicht überzeugt und verkündete 2008: "Ich möchte im Moment nicht heiraten und fühle mich stark dem traditionellen Bohème-Konzept von Schwulsein verbunden – was bedeutet, dass das Letzte, was ich will, ist, wie jeder andere zu sein."

„Ich möchte ein Pionier sein!“

Beweggründe für seine Meinungsänderung seien nun die rechtliche Situation der doppelten Vaterschaft, die große Liebe und eine unbestimmte Mischung aus Abenteuerlust und gesellschaftspolitischer Motivation. "Was genau die schwule Ehe ist, weiß keiner von uns, sie wird sich erst definieren, das wird mindestens noch ein paar Jahrzehnte dauern. Ich möchte ein Pionier sein!", sagt er breit grinsend.

Sein gerade erschienenes siebtes Studioalbum Out Of The Game (Decca/Universal) hat er mit dem Produzenten-Wunderkind Mark Ronson aufgenommen hat, der, wie er, ein "unverbesserlicher Romantiker" sei. Helena Bonham Carter spielt im Musikvideo zur Single "Out Of The Game" eine frustrierte Sekretärin, die ihn bei einer Sex-Orgie mit sich selbst in dreifacher Ausführung erwischt. "Ich stell‘ mir die Gesichter all derer vor, die mich hassen und denken: Was für ein prätentiöses, selbstverliebter Ego-Typ. Feiert da eine Orgie mit sich selbst", sagt er. "Und ja, manchmal bin ich das auch – prätentiös und selbstverliebt. Wenn ich könnte, würde ich auch eine Orgie mit mir selbst feiern."

Für Aussagen wie diese muss man ihn einfach liebhaben. Und natürlich für seinen Gesang. Die Welt wäre ärmer ohne Rufus Wainwright und sein Ego. Ich bin immer noch verliebt.

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Geschrieben von

Sophia Hoffmann

Sophia Hoffmann ist Köchin und Autorin. Als Aktivistin setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit und Feminismus ein.

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