Divided States of Trump - Teil 3

Dialektik von Wahn & Sinn Der Noch-Präsident redet von Wahlbetrug, sein Sohn erklärt derweil den totalen Krieg und Steve Bannon twittert Mordfantasien. Zum Rationalen des Irrationalen unter Trump.

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Eingebetteter MedieninhaltMit Donald Trump ist kein Staat zu machen. Bereits vorzeitig erklärte er sich am Wahlabend in einem skurrilen Auftritt mit Präsidentenhymne und feierlicher Fanfare zum Wahlsieger und forderte dreist den sofortigen Abbruch der Auszählung von Abermillionen noch verbliebener Stimmen. Des in der US-Wahlhistorie einmaligen Eklats ungeachtet, überholte ihn sein demokratischer Herausforderer, Ex-Vizepräsident Joseph Robinette Biden, am Ende doch noch. Obwohl das Phänomen des Blue Shift, die Präferenz bei den Briefwahlstimmen für Demokraten, weithin bekannt gewesen ist und die führenden amerikanischen Medienanstalten samt Fox News Joe Biden einhellig zum Elected President erklärten, sprach der bisherige Amtsinhaber sodann - ohne stichhaltige Beweise vorzulegen und konträr zur Einschätzung der behördlichen Wahlleiter und OSZE-Wahlbeobachter - empört von einer Wahlverschwörung. Bis heute weigert er sich, das demokratisch zustande gekommene Ergebnis anzuerkennen. Es steht ernsthaft zu befürchten, dass er mit juristischen Winkelzügen versuchen wird, das ordnungsgemäße Zusammentreten des Electoral Colleges zu verhindern. Wenn Trump sein Amt nicht räumt, könnte er das Land in eine veritable Verfassungskrise und womöglich sogar in bürgerkriegsähnliche Zustände stürzen.


Dies ist nicht das erste Mal, dass in der Präsidentschaft Trumps das Unvorstellbare vorstellbar und das Absurde Realität geworden ist. Um die nun erwartungsgemäß endende Trump-Regentschaft in all ihrer Kuriosität zu verstehen, muss man über das vorherrschende Denken nachdenken; über den Rahmen, in welchem es stattfindet.

Ratio

Ausgangspunkt ist somit eine systemtheoretische Betrachtung. Sie lässt hinter den Fehlentwicklungen der Amtszeit Trumps eine Ursächlichkeit erkennen.

So hat seit den 80er-Jahren eine bestimmte Denkrichtung in den USA und der westlichen Welt einen immer stärkeren politischen Einfluss gefunden. Sie dominierte die Reformen der New Right in der Ära Reagan und Thatcher maßgeblich und fand sogar als sog. Dritter Weg, den der Soziologe Anthony Giddens gedanklich ebnete, in abgemilderter Form Einzug in die Programmatik sozialdemokratischer Parteien, welche fortan als Neue Mitte, New Labour und New Democrats an den Kurs konservativer Vorgängerregierungen vornehmlich in arbeits-, steuer- und sozialpolitischer Hinsicht anknüpften, statt diesen zu revidieren. Linke wie rechte Volksparteien riskierten mit dem marktzentristischen Wandel von Werten zu Verwertung, von Idealismus hin zu Pragmatismus sowohl eine Entfremdung gegenüber ihren Wählern als auch eine Spaltung bzw. Abspaltung ihrer Parteimitglieder. Der Grundstein für den Populismus postmoderner Prägung wurde damit gelegt.

Hinter all dem steht das, was als sog. Neoliberalismus bezeichnet wird. Im engeren Sinne ist dies nach Lossagung vom ordoliberal inspirierten Colloque Walter Lippmann und Gründung der Mont Pèlerin Society die Chicagoer Schule mit namhaften Vertretern wie etwa Milton Friedman, Friedrich August von Hayek und Eugene Fama. Als Neuauflage des klassischen Wirtschaftsliberalismus knüpft sie ideenmäßig an Adam Smith und David Ricardo an (Laissez-faire der Märkte, komparativer Kostenvorteil und unsichtbare Hand), wobei sie sich methodisch aus dem Instrumentarium der neoklassischen Theorie speist und ethisch auf den Utilitarismus abstellt.

Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht dabei der freie Markt und dessen Ordnungsvermögen. Sie geht davon aus, dass dieser effizient sei und seine Preise das gesamte verfügbare Wissen widerspiegelten. Unterstellt werden hierbei Marktteilnehmer, welche im Sinne eines Rational Choice zur Maximierung eigenen Nutzens handelten (Homo oeconomicus mit sozialdarwinistischer Note).

Wenn sich der Staat aus den Prozessen des Marktes heraushalte, erzeuge dieser faire, (Pareto-)optimale Verteilungszustände, bei denen jeder Betroffene den situativ größtmöglichen Vorteil erlange. Laissez-faire, also „weniger Staat, mehr Markt“ lautet daher die vorrangige Devise.

Sogar im Krisenfall soll in die Güterallokation nicht durch staatliche Regulierung eingegriffen werden. Denn die Selbstregulierungsfähigkeit des perfekt funktionierenden Marktes lasse im Prinzip Krisen gar nicht erst zu. Jedenfalls beinhalte sie gleichsam Selbstheilungskräfte in schlechten Zeiten. Milton Friedman formulierte hierzu: “I think the government solution to a problem is usually as bad as the problem and very often makes the problem worse.”

Allerdings bleibt es nicht allein bei der Abwehr des Staates aus der wirtschaftlichen Teilsystemsphäre. Nach ökonomischer Rationalität von Wachstum und Streben nach Gewinn wäre ein Self-Restraint auf ein bloßes Zurückdrängen lediglich mit Opportunitätskosten verbunden. Sinnvoller ist demnach eine Expansion in staatliche Bereiche, um sich neue Ressourcen zu erschließen. Der Neoliberalismus steht daher nicht nur für Deregulierung, sondern auch für Senkung der Staatsquote, Sozialabbau und Privatisierung.

Konkret manifestiert sich die neoliberale Infiltration in dem Verkauf städtischer Wohnungsbaugesellschaften und Immobilien (Sale and Lease Back), der Privatisierung kommunaler Krankenhäuser, der Krankenkassen sowie der Altersvorsorge. Auch Public-Private-Partnerships sind ein Mittel, um die staatliche Aufgabenerledigung gegenüber kommerziellen Interessen zu öffnen. Dort wo keine Ausgliederung stattfindet, wird wiederum auf die Implementierung marktwirtschaftlicher Steuerungselemente gesetzt. New Public Management und Lean State-Modell haben auf die Organisation der öffentlichen Verwaltung demgemäß erheblich eingewirkt. Einerseits wurden insofern exorbitant hohe Ausgaben für Consulting-Dienstleistungen getätigt; andererseits über Abbau von Personalkapazitäten und Kürzungen in den Budgets bei Polizei, Justiz und Krankenhäusern statt herkömmlicher Haushaltung mit allen Konsequenzen effizienzgetriebenes Kostenmanagement in den Vordergrund gestellt.

Wer sich an dieser Stelle über die Einkehr zahlreicher Anglizismen wundert, dem sei gesagt, dass der Neoliberalismus auch sprachlich transponiert. Von leicht erkennbarem Businessenglisch bis hin zu neuen Wortschöpfungen wie “Work-Life-Balance” ist alles dabei...

Doch wie konnte es gelingen, den Staat derart in Beschlag zu nehmen? Relevant ist insoweit zunächst der Umstand, dass die Chicagoer Schule einen Sendungswillen formuliert. Sie hält ihre ökonomische Denkart auch außerhalb des Marktes für geeignet. Märkte und marktförmiges Verhalten seien die angemessene Form allen menschlichen Verhaltens und jeder Organisation. Folgerichtig schickten sich prominente Vertreter wie Gary S. Becker und Richard Posner dazu an, das reduktionistische und totalitäre Menschenbild des Rational Choice auf zahlreiche andere Lebensbereiche und akademische Disziplinen auszuweiten.

Außerdem haben diverse Netzwerke, Think Tanks und Stiftungen zur effektiven Verbreitung des neoliberalen Denkgerüstes beigetragen. Da dieses für einen freien Markt als Allheilmittel wirbt und sich als geistig-radikale Gegenbewegung zum Sozialismus versteht, kann und konnte auch auf die wohlwollende Unterstützung aus Wirtschaftskreisen gezählt werden. Deren Einfluss über Interessenverbände, Parteispenden, Gratifikationen wie üppige Redehonorare und Aufsichtsratsposten an ehemalige oder aktive Mandatsträger öffnet wiederum bis zum heutigen Tage die (Dreh-)Tür in die Politik. Last but not least haben historische Ereignisse, wie die Ölkrise der 70er und der Zusammenbruch der Sowjetunion marktfreiheitlichen Gedanken regen Zulauf beschert. Entscheidungsfindungen werden infolgedessen zunehmend marktkonform programmiert und damit gleichermaßen eine Entfremdung vom demokratischen Souverän bewirkt.

Diese marktwirtschaftliche Assimilation macht auch vor außerstaatlichen Teilsystemen nicht halt. So wird etwa in der Medizin abseits der nach gesundheitsökonomischem Diktat kaputtgesparten Krankenhäuser auch das Arzt-Patientenverhältnis zuweilen in geradezu korruptiver Weise von kommerziellen Interessengesichtspunktenbeeinflusst und umgebildet.

Und auch Wissenschaft und Bildung unterliegen der neoliberalen Transformation. Über Gesetzesnovellen im hochschulischen Bereich eingeführte Top-Down-Steuerungsmodelle wie das der unternehmerischen Universität mit externen Entscheidungsträgereinflüssen, Zielvereinbarungsklauseln, Akkreditierungsagenturen, Drittmittelabhängigkeit für Forschung, privatwirtschaftlichen Kooperationsangeboten und einer forcierten Umstellung von Bildung hin zu Ausbildung - v.a. im Rahmen des Bologna-Prozesses - werden akademische Freiheit, Methodik, Selbstverwaltung und Substanz sukzessive untergraben und die Luhmannsche Autopoiesis in den Elfenbeinturm verbannt.

Überhaupt gibt es kaum noch gesellschaftliche Entfaltungsräume, die sich der Ökonomisierung aller Lebensbereiche entziehen. Durch medial vermittelte Leitbilder und Leidbilder, Nudging, Werbung, Tittytainment, Celebrity-Fankult, Influencertum, Digital Devices und Data Mining werden gutgläubige Nutzer ausnutzbar, d.h. zu einer Human Ressources als bloßem Gegenstand einer marktwirtschaftlichen Kybernetik degradiert. Das kommerzielle Dumb Down bringt so unreflektiertes, selbstschädigendes Herdentriebverhalten hervor, welches sich in Konsumfreiheit kleidet und dabei ganz ungeschminkt in vergänglichen Lebensstilen aufgeht. Eine Humankapital-Mentalität aus Selbstausbeutungs- und Wettbewerbswahn macht aus dem mündigen Bürger nur mehr einen getriebenen - namentlich den gegen sich und andere lebenden, um marktgerechte Selbstoptimierung besorgten, vor falschem Selbstbewusstsein nach außen hin oft nur so strotzenden Homo oeconomicus. Daraus resultiert eine zunehmend egoistisch-opportunistisch geprägte Ellbogengesellschaft, der es an Zusammenhalt mangelt, da ihre Individuen in permanentem Wettbewerb um Likes, Geld und äußere Anerkennung stehen. In dieser durch Marktrationalismus strukturierten Lebenswelt wird die Faszination für Oberflächlichkeit, Unterhaltung und Geld bestimmendes Moment für den Alltag vieler. Mehr als 77.000 Schönheitsoperationen im Jahr zeugen vom Glanz dieser marktvermittelten Schönheit einer ganz und gar rationalen Beziehung zu sich selbst.

Der Businessman Donald Trump profitiert von dieser vorgefundenen Formatierung. Die Marktgesellschaft ist das Substrat, auf dem sein geschäftliches Wirken und seine politischen Ambitionen aussichtsreich gedeihen können.

Über seine Prominenz als Reality-TV-Star (The Apprentice) und erfolgreiche Geschäftstätigkeit im Immobilienbereich ist er für manche zu einem Idol eines materialistisch definierten Lifestyles im Sinne des American Dream geworden. Zudem mag er kraft seiner schrillen Entertainerpersönlichkeit eine willkommene Ablenkung und Vereinfachung von als langweilig, kompliziert und bedrückend empfundenen Sachverhalten politischer Natur bieten. Er offeriert immerhin einfache Antworten, populäre Meinungen und Jokes, womit er das Politische zu einem unterhaltsamen Show-Act macht, in dem Wünsche an die Stelle von unbequemen Wahrheiten treten. Der Aspekt des hohlen Consumerism mag jedenfalls ein Ansatzpunkt zur Erklärung des Umstands sein, wieso so mancher Bürger als demokratischer Souverän in geistig unsouveräner Weise seine Entscheidung an einen egozentrischen Geschäftsmann statt gemeinwohlorientierten Staatsmann delegiert hat.

Ein anderer, gewichtigerer Gesichtspunkt ist der einer systemrationalen Finalität. Trump ist der nächste Schritt im Sinne einer Ausdehnung des Marktes auf den Staat und die Gesellschaft. Statt teuren Lobbyings ist es marktrational, da effizienter, in persona auf die Geschicke Amerikas und der restlichen Welt direkten Einfluss zu nehmen. So ist es kein Zufall, dass in Trumps Kabinett mehr Millionäre und Milliardäre sitzen, als je zuvor in der amerikanischen Geschichte. Kein Zufall dürfte auch sein, dass mit Casey B. Mulligan ein Professor der University of Chicago zum Chefökonom seines Wirtschaftsberatergremiums (Council of Economic Advisers) gemacht wurde. Durch die Regierungszusammensetzung und die zügig nach Amtsantritt verabschiedete Steuerreform sind die Reichen jedenfalls noch reicher und einflussreicher geworden. Dank Trump können sie Privatjets nun sogar von der Steuer absetzen.

Zugleich konnte eine politisch relevante Systemopposition verhindert werden. In dem Buch Art of the Deal wird offenbar, mit welcher Raffinesse Trump seine Interessen durchsetzt und auf sein Gegenüber einwirkt. Seine geschäftserprobten truthful hyperboles, Lügen und Marketingfähigkeiten haben nicht wenige, die von ungezügeltem globalen Wettbewerb, Outsourcing und Finanzkrise, ergo marktradikalen Folgen, betroffen waren, zu Anhängern Trumpscher Heilsversprechungen gemacht. Ihm ist es - einem geschickten Verkäufer gleich - gelungen, seinen wutschnaubenden Zuhörern einzureden, dass statt der systemischen Ursachen die Chinesen, illegale Migranten und böse sozialistische Demokraten die Schuld an allem Elend trügen. Aus dem Problem einer vertikalen Spaltung der Gesellschaft in Gestalt einer enormen Einkommens- und Vermögensschere zwischen Arm und Reich, was der Misere eigentlicher Kern ist, hat er eine horizontale Spaltung gemacht. Aus Reflexion wurde Projektion. Nicht Markt vs Mensch, sondern Menschen gegen Menschen gerieten so zum politischen Thema. Anstelle der Wahl genuiner Alternativen, wie beispielsweise Bernie Sanders oder der Grünen Jill Stein, haben die sog. Abgehängten folglich für faktenresistente Alternativrealitäten, d.h. Scheinalternativen, votiert. Im Herdentrieb schlossen sie sich einem in Anti-Establishment-Rhetorik und America First-Schafspelz dahergekommenen raubtierkapitalistischen Wolf an, der ihnen Ursachen als Lösung angetragen hat. Der sie und ihren guten Glauben damit verkauft hat. Und der in diesem falschen Wahrheitsmaß seine Anhänger zu bloßen Anhängseln seiner Interessen herabzuwürdigen vermochte.

Trump hat damit im Systemkontext sowohl die Bewegung als auch die Gegenbewegung vereinnahmt. Für den Marktfundamentalismus ist das nicht paradox, sondern in seinem Sinne. Wo Trump die Regierungsgeschäfte führt, bleibt government governance und wo Trump die Opposition verführt, bleibt der freie Markt die Position. Denn soweit der Homo oeconomicus den Homo politicus verdrängt hat, spielen auch im Populismus-Zeitalter für den Markt linke wie rechte Kräfte keine Rolle mehr. Er bleibt das unsichtbare gravitative Zentrum gemanagter Politik, auf dass der Nutzen weniger und der Schaden vieler weiterhin gemehrt werde. Und insofern der Wahnsinn plötzlich Sinn ergibt!

Irratio

Doch das macht es freilich nicht besser. Ausgerechnet die Chicagoer Schule selbst erweist sich schon als nicht wirklich sinnig nach wissenschaftlichen Maßstäben. Ihre Thesen und Methoden sind mittlerweile weitgehend widerlegt.

So zeigt George A. Akerlofs Lemons Problem die tatsächliche Bedeutsamkeit von Informationsasymmetrien auf. Die Annahme der Chicagoer Schule über das Gegebensein von Markttransparenz und der Reflexion aller Informationen im Preis stellt sich vor diesem Hintergrund als unrichtig heraus. Die neoliberale Rede vom Markt als überlegenem Informationsprozessor, der alles an Wissen korrekt einpreise, ist demzufolge nicht mehr als eine Mär.

Widerlegt ist auch die neoklassische These vollkommener Märkte im Gleichgewichtszustand, die nach dem Nobelpreisträger Stiglitz nur unter bestimmten - realiter regelmäßig nicht gegebenen - Bedingungen möglich ist. Insoweit ist die sich darauf stützende neoliberale Lehre auch entkräftet.

Ebenso hat der dauerhafte Niedrigzins der Zentralbanken und das gleichzeitige Ausbleiben signifikanter Inflation trotz nahezu Vollbeschäftigung erst in jüngster Zeit offengelegt, dass die Phillipskurve die Wirklichkeit nicht korrekt abbildet.

Gerade Keynes, der von der Chicagoer Schule massiv abgelehnt wird, hat hingegen mehr auf den Menschen als auf das idealtypische Modell abgestellt und unter Zugrundelegung von Unsicherheit, unvollständiger Information und divergierenden Erwartungshaltungen bei den Marktteilnehmern folgerichtig statt marktendogener Lösungsüberlassung staatliche Interventionen etwa zur Vermeidung stabiler Unterbeschäftigungslagen gefordert. Er sollte darin in den Rezessionen und Krisen der Gegenwart bestätigt werden, die - entgegen Milton Friedmans monetaristischen Thesen, worauf Paul Krugman hinweist - trotz konstanten Geldmengenwachstums stattfanden und die Fehlbarkeit des Marktes und seiner Akteure wie auch als Kehrseite dazu die Wichtigkeit eines eingreifenden Staates illustrierten.

Die Große Depression ab 1929 und die Finanzkrise von 2007/2008 haben eindrücklich die Gefährlichkeit von Laissez faire-Marktdogmen angesichts gravierenden Marktversagens offenbart. Ebenso der Finanzmarktcrash in Folge der Corona-Pandemie. Dieser hat abermals deutlich vor Augen geführt, wie falsch das neoliberale Postulat unfehlbarer Märkte ist. Wo Nassim Nicholas Talebs ,,schwarze Schwäne“, also unvorhergesehene Ereignisse (Unknown Unknowns) auf den Finanzmärkten, die Allwissenheit des Marktes widerlegen, so erst recht eine seit Januar für alle medienaufmerksame Marktteilnehmer vorhersehbare Pandemiegefahr (Known Unknown), die eben nicht rechtzeitig und hinreichend im Markt eingepreist wurde. Entgegen der volkswirtschaftlich vorherrschenden neoklassischen und neoliberalen Theorien sind Märkte weder auch nur annähernd perfekt noch im Gleichgewicht. Sie weisen vielmehr Boom und Bust-Zyklen auf - sind zudem nicht allein rational, sondern auch emotional und zuweilen auch kriminell determiniert, worauf etwa der Finanzmarktjournalist Norbert Häring zutreffend hinweist.

Folgerichtig sind die neoliberalen Ansätze, soweit sie politisch Verwirklichung gefunden haben, zum Scheitern verurteilt. In Chile etwa wurden in der Pinochet-Diktatur unter willfähriger Hilfe von Ökonomen der University of Chicago (sog. Chicago Boys) die in Rede stehenden wirtschaftlichen Rezepte umgesetzt, ohne letzthin die daran geknüpften Wachstumserwartungen zu erfüllen. Auch der von Stiglitz kritisierte Washington Consensus hat, als zentrale Grundlage für die von IWF und Weltbank angetriebene Globalisierung, mit seinem Rückgriff auf neoliberales Gedankengut nur bescheidene Erfolge vorzuweisen. In vielen Entwicklungsländern ist trotz BIP-Anstiegs auch die Armut gewachsen und gerade die Länder, die vom Marktöffnungskurs des Washington Consensus abgewichen sind - exemplarisch genannt seien China, Südkorea und die sozialstaatlich starken skandinavischen Länder - waren wiederum diejenigen, die äußerst erfolgreich mit ihrem wirtschaftspolitischen Sonderweg gewesen sind.

Wie der Mathematiker Benoît Mandelbrot in seinem Werk The (Mis)behavior of Markets zu Recht kritisiert, weicht die Realität des Markthandelns also erheblich von der wirtschaftlichen Theorie ab. Der negative Ölpreis in diesem Jahr von zeitweise - 37 US$ pro Barrel, d.h. der absurde Umstand, dass der Verkäufer dem Käufer nicht nur den Kaufgegenstand schuldet, sondern auch den Kaufpreis(!) zeigt wie hochgradig ineffizient und irrational sich Marktlagen entwickeln können. Noch schlimmer ist die Ignoranz des Neoliberalismus in Bezug auf die börsliche Spekulation mit Getreide und Nahrungsmitteln, wo in der Realität verzerrte Preise zur Unerschwinglichkeit lebenswichtiger Güter und damit zu realen Hungersnöten führen können.

Das fatale Festhalten an neoliberaler Marktratio birgt auch in anderer Hinsicht irrationale Potenziale. Dies ist der Fall, wenn Markt- mit Übermarktzielen kollidieren. So mögen Trumps Initiativen dahingehend, gesetzliche Regulierungen und Verbote für die fossilen Industrien Amerikas aufzuheben sowie der Ausstieg aus dem Pariser Abkommen zwar aus marktrationaler Perspektive erklärbar sein, allerdings laufen sie evident der Ratio des Umweltschutzes zuwider. Würden noch mehr Staaten nach diesem Beispiel handeln, wäre eine raschere Erderwärmung das Resultat und damit die Zerstörung wichtiger Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen.

Auch die Corona-Politik der Trump-Administration droht in die Rationalitätenfalle zu führen. Der wachsende Einfluss seines neuen Beraters Scott Atlas und die enorm hohen Infektionszahlen in den USA legen nahe, dass Trump faktisch dem Konzept der natürlichen Herdenimmunität folgt, welches wissenschaftlichen Erkenntnissen und Konsens eklatant zuwiderläuft. Das Ziel ist dabei offensichtlich den Markt um jeden Preis offenzuhalten. Dafür spricht auch, dass hinter der in eine ähnliche Richtung gehenden mit dem Feigenblatt der “focused protection” werbenden Great Barrington Erklärung der neoliberale Sponsor Charles Koch steht, der überdies Klimawandelleugnungsinitiativen und die Tea Party-Bewegung finanziert hat. Mit einem alten schon bei Edward Bernays nachlesbaren PR-Trick werden wissenschaftlich angestrichene Meinungsführer (,,neutrale Experten“) aufgebaut, um die öffentliche Meinung zu lenken. Damals wie heute geht es dann wieder um Fackeln der Freiheit, um manipulatives Wording und Frames, statt um das eigentliche Thema. Dazu passt, dass der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Investigativjournalist Bob Woodward ein Tonbandinterview veröffentlicht hat, in dem Trump zugibt, dass er die Corona-Pandemie wider besseres Wissen verharmlost hat, um keine Panik (=Finanzmarktpanik!) zu verursachen. Dies zeigt wie skrupellos Trump seine Follower (Trumps liberate Tweets) zu nützlichen Idioten neoliberaler Belange degradiert. Allerdings ist das Laufenlassen der Infektionswelle, die mittlerweile täglich schon über 2.800 Tote und mehr als 210.000 Infizierte in den USA hervorbringt, nicht nur gesundheitspolitisch irrational, zumal zahlenmäßig auch bei jüngeren Patienten beachtliche Langzeitfolgen laut neuen Studien drohen, sondern der neoliberale Aberglaube an freie, d.h. offene Märkte stellt sich sogar als wirtschaftlich irrational dar. Denn die übermäßig gefährdeten älteren Bevölkerungsgruppen wären nach wissenschaftlichen Studien gerade diejenigen mit besonderer Relevanz für die künftige US-Konjunktur. Schließlich könnte der Laissez-faire-Approach sogar über höhere Mutationsrisiken das SARS-CoV-2 Virus endemisch werden lassen und damit die Pandemie perpetuieren. Der renommierte Seuchenforscher Anthony Fauci bezeichnet daher derartige Ansätze zu Recht als ,,Unsinn“.

Es ist damit festzuhalten, dass das neoliberale Gedankengebäude nicht nur gefährlich falsch ist, sondern auch voller Falschheit. Mit echter Freiheit im positiven Sinne hat es nämlich nichts zu tun. Und es zeigt sich auch daran, dass der Begriff Neoliberalismus, der ursprünglich von der deutschen Freiburger Schule ordoliberal konzipiert wurde, in einem willkürlichen Akt mit fundamental anderem Inhalt von marktdogmatischen Wirtschaftswissenschaftlern für sich in Beschlag genommen wurde. Abseits des dreisten ,,Etikettenklaus“ zugunsten eines schlichten Marketings für entfesselte Märkte wird von den Protagonisten dieser Lehre auch keine Korrektur ihrer widerlegten Annahmen vorgenommen. Diese meinen sogar, dass ihre Thesen nicht der Falsifizierbarkeit zugänglich zu sein bräuchten. Damit verliert die Beanspruchung von Wissenschaftlichkeit gemäß dem Fallibilismus Karl Poppers aber ihre Legitimation. Die Politik ist deshalb gut beraten, sich nicht länger von pseudoakademischen Marktkonzepten in Gestalt einer scheinfreiheitlichen Ideologie, die in Wahrheit auch noch durch und durch sozialdarwinistisch ist, irreleiten zu lassen.

Das Problem ist indes, dass das System des Marktaberglaubens das Handeln und Denken Donald Trumps seit seiner Kindheit maßgeblich bestimmt. So schärfte ihm sein Vater, der Immobilienunternehmer Fred Trump das oberste Gebot des Jeder gegen Jeden mit den Worten ein: “There are killers and there are losers!” Und nicht nur bei den Geschäften, sondern auch bei privaten Aktivitäten setzt Trump dies um jeden Preis in die Tat um. Für ihn gilt immer und gegenüber jedem, dass er auf keinen Fall verlieren darf. Regeln und Realität werden dafür zur Not zurechtgebogen. Der bekannte US-Sportjournalist Rick Reilley berichtet etwa, dass Trump auf dem Golfplatz auch gegenüber Freunden zu unfairen Tricks greift und sich sogar als Sieger von Golfturnieren ausgibt, an denen er überhaupt gar nicht teilgenommen hat. Er soll zu Mitspielern wortwörtlich gesagt haben: „Ich betrüge meine Frau, ich betrüge das Finanzamt – glaubt ihr, dass ich ausgerechnet beim Golf nicht schummle?“. Dazu passt, dass Trumps eigene Schwester behauptet, er sei ein notorischer Lügner und habe sogar seine universitäre Aufnahmeprüfung von jemand anderem schreiben lassen.

Und wie mit der Wahrheit, so ergeht es allen Menschen die seinen ungestümen Gewinnerambitionen im Wege stehen. Zahlreiche Freunde und enge Weggefährten wurden fallen gelassen, sobald sie nicht mehr in blinder Loyalität zu ihm standen oder sonst nicht mehr von Nutzen waren. So musste neuerdings auch Fox News erfahren, wie bedingt die innige Beziehung zu Trump doch war, nachdem er ein äußerst wirres Randy Quaid-Video retweeted hat und rasend vor Wut über deren Wahlberichterstattung mittlerweile zu nichts geringerem als dem Boykott seines einstigen Lieblingssenders aufruft. Auch der Rekord an Entlassungen im Weißen Haus zeugt von der Transaktionalität in den Beziehungen Trumps, der jüngst seinen vierten(!) Verteidigungsminister ernannt hat. Alles und jeder scheint à la hire and fire austauschbar. Selbst in der Familie herrscht neben der Orientierung an äußerlichen Erscheinungsbildern und Selbstinszenierung statt menschlicher Nähe ein marktopportunistisches Erfolgsdenken vor, was laut Trumps Nichte Mary ebenfalls auf Fred Trump zurückzuführen ist, der auch sagte: “In order to be the winner… you need to figure out how to maximize your advantage in every relationship you have.” Für Donald Trump sind folglich alle Wesen in seiner Umwelt nur Instrumente zur Befriedigung des eigenen Nutzens, nichts ist unentgeltlich, nichts selbstlos. Man kann dies symbiotisch nennen. Man kann es auch parasitär nennen. Wer nicht (erfolg-)reich und schön ist, ist jedenfalls nichts und verglüht darum schnell in diesem Fegefeuer der Eitelkeit. Nach den Kategorien Erich Fromms regiert hier vollends das Haben über das Sein. Damit ,,harmoniert“, dass Trump über seine Frau Melania gesagt haben soll, er ,,könne jederzeit eine andere haben“ sowie eine Sicherung der Eigentumverhältnisse qua Ehevertrag.

Ganz konsequent findet sich Trumps Businessdenken in seiner Politik wieder. Das Organisationsprinzip des Marktes: der Wettbewerb, d.h. Gegeneinander statt Miteinander, ist der Schlüssel zum Verständnis der beobachteten Spaltung in Trumps Amtszeit. National übersetzt es sich entlang ethnischer, religiöser, politischer und kultureller Spannungslinien. Frei nach Schumpeter wird Chaos in Kauf genommen, um aus einer Neuordnung Vorteil zu ziehen. Oftmals ist dabei der Deal das Mittel des ordo ab chao.

In der Außenpolitik wiederum schlägt sich dieser modus operandi in dem Austritt aus internationalen Verträgen und Institutionen nieder. An die Stelle von Kooperation tritt vermehrt Konfrontation und Konkurrenz zwischen Staaten und Völkern, was etwa in Form eines Steuerwettbewerbs von Unternehmen ausgenutzt werden kann. Auch gegenüber Verbündeten kann es zu Sanktionsdrohungen kommen, wie etwa gegenüber Frankreich, welches die Gewinne von US-Konzernen in Europa digital besteuern wollte. Der Neoliberalismus scheint so national koloriert zu einem ökonomischen Neoimperialismus zu mutieren. Es zeigt sich jedenfalls, dass es Marktakteuren gelungen ist, den Staat nicht nur aus ihrer Sphäre zurückzudrängen, sondern ihn sogar zu bedrängen, als Erfüllungsgehilfe ihrer Profitinteressen zu fungieren. Dafür spricht auch der Umstand, dass Trump chinesischen Unternehmen im Namen der ,,nationalen Sicherheit“ mit Verboten gedroht hat.

Immerhin ist es unter Trump bislang zu keinen neuen geostrategisch motivierten Rohstoff- und Markterschließungskriegen gekommen. Durch die einseitige Aufkündigung des Atomdeals und sogar der völkerrechtlich zweifelhaften Tötung eines Generals hat er allerdings die Politik gegenüber dem erdölreichen Iran in seiner Amtszeit beispiellos eskaliert und laut Medienberichten waren es letztlich besonnene Generäle, Berater und sogar ein TV-Moderator, die ihn von unkalkulierbaren Militärschlägen abhalten konnten. Nichtsdestotrotz hat die US-Rüstungsindustrie dank der massiven Ausweitung des Verteidigungsbudgets und der Vermittlung von Rekordwaffendeals durch Trump profitiert und auch der völkerrechtlich bedenkliche Drohnenkrieg wurde in seiner Amtszeit ausgeweitet. Im Kern der neurechten Außenpolitik steht demnach die Befriedigung der Interessen von US-Konzernen und deren Befreiung von international gültigen Regeln und Werten. Sie trägt damit neoliberale Züge, verursacht unverantwortliche Spaltung, Gewalt, Feindseligkeiten und Unfrieden und widerlegt zugleich die Annahme, dass Freiheit mit Fairness einherginge.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Gedanke des Übergreifens von instabilen bis chaotischen Marktzuständen auf die Politik bereits in dem irakkriegskritischen Buch The Bubble of American Supremacy des berühmten Spekulanten George Soros thematisiert wird. Unter Rückgriff auf eine finanzmarktpsychologische Analyse wird dort bezüglich der damaligen Nahost-Politik der Administration George W. Bushs davor gewarnt, dass eine in Boom-Phasen auf den Märkten beobachtbare Übertreibung sich in selbiger widerspiegele. Und tatsächlich stellten sich die Einschätzungen der Lage, welche den hegemonialen Ambitionen im Nahen Osten zugrunde lagen als verheerende Illusion heraus.

Umso mehr lässt sich Soros' Analyse auf die Politik und das Wesen Donald Trumps anwenden. Rücksichtsloser Nationalismus, überzogene Drohungen sowie maßlose Darstellungen mit permanenten Superlativen, alternativen Fakten und ein unvergleichlich aufgeblasenes Ego voller Selbstüberschätzung und Eigenlob charakterisieren den Irrealis der Amtszeit des 45. US-Präsidenten. Auch das Verhältnis vieler seiner Anhänger zu ihm stellt sich als übertrieben und geradezu kultartig dar. Unreflektiert werden noch so absonderliche Behauptungen übernommen und in den Echokammern und Filterblasen sozialer Netzwerke bis zum Wahn gesteigert.

Dass dies alles ungesund ist, liegt auf der Hand. Die Abspaltung zum Äußeren - der Realitätsverlust - geht nicht selten mit einer inneren Spaltung einher. Trumps Mental State betreffend, der sich selbst als “stable genius” einordnet, ist festzustellen, dass ihm nahmhafte Psychiater eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestieren. Auch seine Nichte, die promovierte Psychologin ist, bestätigt diese Diagnose. Dazu gesellen sich noch als Befund Größenwahn und soziopathisches Verhalten. Dass ausgerechnet der Autor des Buches The Power of Positive Thinking, Norman Vincent Peale, der Pastor Trumps war, macht die Lage nicht besser, könnte aber erklären wie es sein kann, dass Trump noch immer denkt, er habe die Wahl gewonnen.

Berücksichtigt man weiter, wie es der emeritierte Psychologieprofessor Mausfeld darlegt, dass nach der Anschauung des Neoliberalismus der Mensch zum bloßen Objekt des Marktes, zur Human Ressources (de-)klassifiziert wird, dann lässt sich verstehen, warum in einer Gesellschaft, in welcher der Alltag immer weniger von menschlichen Werten, dafür aber mehr und mehr vom Markt geformt wird, die Anzahl psychischer Erkrankungen zunimmt. Konkurrenzdenken, Karrierismus und Konsumismus entfremden die Menschen kontinuierlich von sich und voneinander. Depressionen, Borderline, Bulimie und unterschiedlichste Neurosen lassen sich insofern zum Teil auch als marktinduziert erklären. Wo einst Manager und Unternehmer, die dem Marktbiotop am stärksten ausgesetzt waren, überdurchschnittlich häufig an psychischen Krankheiten litten, betrifft dieses Phänomen nun weitaus mehr Menschen in der Breite. Denn der gläserne Bürger und Konsument lässt sich auch und gerade im Zeitalter marktkonformer Digitalisierung immer leichter von einem selbstgenügsamen Leben zu kompensatorischem Kauf und am eigenen Marktwert statt Menschenwürde orientiertem Selbstverkauf verführen.

Der oberflächlich-materialistische Habitus hat sich durch die Ökonomisierung aller Lebensbereiche wie ein Virus auf Politik und Gesellschaft ausgebreitet. Je mehr die darin begründete Spaltung um sich greift, desto weniger sind die Menschen eins mit sich selbst.

Kinder in Käfigen, Pastoren, die zu afrikanischen Engeln um Trumps Wahlsieg beten, Liebesbriefe von Diktatoren und bewaffnete Milizen, welche eine Gouverneurin kidnappen wollen, weil Trump sie nicht ausstehen kann, sind nicht nur Verrücktheiten des Trumpismus, sondern zeigen den Grad an Irrationalität an, den das System mittlerweile erreicht hat und wie sehr die Blase vor ihrem Platzen steht.

Aberratio

Verrückt bedeutet im Wortsinn, dass etwas an die falsche Stelle gerückt ist. Trump der seit jeher mehr auf Aussichten als Einsichten fokussiert ist, wird sich oder das, wofür er sich hält, treu bleiben und seinen Irrweg unbeirrt fortsetzen.

Er läuft zwar Gefahr mit seinen Wahlbetrugsvorwürfen als der Präsident in die US-Geschichte einzugehen, der aus Selbstsucht bereit war, die Demokratie und den Wählerwillen des amerikanischen Volkes zu verraten. Aber in seinen Augen gibt es schlicht und einfach keinen anderen Weg. Sieger zu sein, ist für ihn seit jeher alternativlos. Seine wirklichkeitsferne Wahrheit lautet darum: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und er lebt ganz schamlos danach, was er erst kürzlich unter Beweis stellte, als er nach seiner Entlassung aus dem Walter-Reed-Hospital sich als Dank sogar dazu erdreistete, Amerikas Ärzte für die hohe Zahl an Corona-Toten verantwortlich zu machen. Seine wissenschaftsfeindliche Haltung zum Klimawandel ist vor diesem Hintergrund auch mehr als einleuchtend. Die Freiheit ist für ihn eben frei von jeglicher Verantwortung, was nur allzu sehr im Einklang zu einem entfesselten Markt steht, bei dem Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.

Er blufft darum mit seiner irren Wahlbetrugsvorwurfsnummer nicht. Der Austausch der zivilen Führung des Pentagons und der Rausschmiss des Cybersecurity Chefs der Homeland Security zeigen vielmehr: er meint es ernst, todernst. Mit seiner Bereitschaft zu geradezu staatsstreichartigen Manövern, geht er als Inbegriff des Casino-Kapitalismus in einer totalen Eskalation va banque und treibt in letzter Konsequenz die Rivalität von Markt und Staat auf ein Maximum. Anstatt Markt über Staat, heißt es dann Markt statt Staat. Angesichts der demokratiefeindlichen Tendenzen des Neoliberalismus, scheint dies mitnichten ein unvorstellbares Szenario zu sein. Zur Not will er der letzte Präsident sein; Hauptsache kein Biden noch sonst wer - nach ihm allenfalls: die Sintflut. Im Lichte der egomanischen Respektlosigkeit gegenüber den Traditionen und Institutionen der alterwürdigen US-Demokratie scheint also alles nur wie ein Spiel für Donald Trump zu sein.

Doch glücklicherweise spielen immer weniger dieses Spiel mit. Sogar in seiner eigenen Partei bildet sich mittlerweile Widerstand gegen Trumps rücksichtslose Gewinnsucht. Als country over party wird ihm ironischerweise sein America First zum Verhängnis. Der Tragödie letzter Teil heißt damit: Trump vs Trump. Ohne Bidens Zutun, beförderte er sich schon im Wahlkampf ganz allein mit seinem unkontrollierten Ich von einem Missgeschick ins nächste. Dass Trump exakt mit der Wahlmännerzahl die Präsidentschaftswahl verlor, wie er sie 2016 gewann, spricht insofern Bände. Statt Fortuna hat sich Nemesis ihm angenommen und wie Narziss droht er an seinem eigenen Spiegelbild zu ertrinken.

Seine zahlreichen Anhänger sollten nun aufpassen, dass sie nicht mit ihm baden gehen. In der Trump Bewegung waren sie nichts weiteres als ein gefügig ausnutzbarer Teil der Divided States of Trump. Sie sollten damit beginnen, aus ihrer radikalen Isoliertheit rauszukommen, die geistigen Mauern endlich einzureißen und wirklich alles restlos zu hinterfragen. Wenn sie ehrlich zu sich sind, werden sie erkennen, dass sie wie schon die Studierenden der Trump University einem bloßen Schein erlegen waren. An Stelle eines faireren Miteinanders bekamen sie nur business as usual, more of the same und rote Basecaps für ihr Engagement.

Dabei gibt es eine Lösung für ihre Situation. Wie etwa der Harvard-Forscher Prof. Dani Rodrik überzeugend darlegt, ist die Wahl von populistischen Politikern vorwiegend in ökonomischer Unsicherheit begründet. Diese wiederum rührt wesentlich von einer unfairen Umverteilung von Wohlstand und Gütern im Rahmen einer radikalen Marktöffnung und Hyperglobalisierung her. In der wirklich wissenschaftlichen Ökonomie abseits des Neoliberalismus und verbrauchter neoklassischer Modelle unterstreicht z.B. das sog. Stolper-Samuelson-Theorem, dass mit Freihandel regelmäßig Lohnreduktionen und Arbeitsplatzverluste einhergehen. “No pain, no gain” heißt insofern die wirtschaftswissenschaftliche Einsicht zu realen Schattenseiten der Globalisierung. Darum muss es zur Gewährleistung Pareto-optimaler Zustände eine wirkliche Entschädigung für die Globalisierungsverlierer geben. Bedenkt man, dass mit dem technischen Fortschritt in naher Zukunft immer mehr Arbeitsplätze durch automatisierte Produktion und Dienstleistung ersetzt werden, gewinnt die Frage sozialer Sicherheit und neuer Modelle wie beispielweise einem bedingungslosen Grundeinkommen umso mehr an Relevanz.

Der “People´s Billionaire” hat abseits des Marktes und verbaler Luftschlösser hingegen keinen Plan präsentieren können, wie er Amerika für die wirtschaftlich Abgehängten wieder zu etwas Großem hätte machen können. Die Schulden-, Vermögens- und Perzeptionsblasen sind indessen kräftig weiter gewachsen und die USA zu einem gesellschaftlichen Trümmerhaufen geworden. Die Erkenntnis daraus: Auch, wenn ein Trompe-l’œil einen prachtvollen Anblick bietet, ist es nicht mehr als eine bloße Täuschung.

Gerade deshalb sind mit der Wahl von Joe Biden zum neuen US-Präsidenten große Hoffnungen verbunden. Auch hier sollte man jedoch ehrlich sein und ohne Marktscheuklappen kritisch eingestehen, dass die Welt bereits vor Donald Trump auf einen gefährlichen Pfad gelenkt worden ist. Er war mithin nicht an allem schuld, sondern vielmehr die Krönung eines von der Kette gelassenen zu materialistisch, egoistisch und kurzsichtig ausgerichteten Systems, das Gier zu etwas Rationalem pervertiert hat.

Die rapide fortschreitende Klimaerwärmung, Gift in unseren Nahrungsmitteln, die Verschmutzung der Luft, Meere und Böden, das Wegsterben von 150 Pflanzen- und Tierarten pro Tag sowie 20.000 Menschen, die täglich verhungern, sind furchtbarer Ausdruck einer völlig fehlerhaften Systemkonfiguration, die die Menschheit nicht länger tolerieren darf.

Gewichtige Stimmen wie die des Chefs des Weltwirtschaftsforums, Prof. Klaus Schwab oder des Direktors des DIW, Prof. Marcel Fratzscher, betonen darum mittlerweile auch, dass es eines Neustarts bedarf und der Neoliberalismus nach seinem abermaligen Versagen in der Corona-Krise nun ein für allemal ausgedient habe. In einer Abkehr zu Milton Friedman, der vertrat, dass die einzige soziale Verantwortung der Manager die sei, für Profite zu sorgen, wodurch für alle gesorgt sei, haben immer mehr redliche Menschen die angebliche Verteilungsgerechtigkeit über den Markt als eine bloß wohlfeile Behauptung enttarnt. Die unsichtbare Hand ist deshalb unsichtbar, weil es sie überhaupt nicht gibt! In diesem Sinne bezeichnete der damals bekannteste Vertreter des Shareholder-Value-Ansatzes, Jack Welch, diesen am Ende nur noch kurz und knapp als: “the dumbest idea in the world”.

Es gilt daher die richtigen Lehren zu ziehen und einen anderen Weg einzuschlagen. Gute Konzepte für einen sozial-ökologischen Neuanfang, bei dem mit den Worten des großartigen Schweizer Unternehmers Gottlieb Duttweiler „das Herz der Wirtschaft der Mensch ist, nicht das Geld“, also der Markt wieder einem freien Menschen dient, sind vorhanden. NGOs und zivilgesellschaftliche Gruppierungen wie Black Lives Matter und Fridays for Future erinnern uns daran, dass es in unserer Hand liegt, eine bessere Zukunft zu gestalten. Dafür muss man das System nicht zu Fall bringen, sondern es wieder zu Demokratie, Recht und Gerechtigkeit zurückführen. Eine freie Verfasstheit der Gesellschaft, die sich von korrumpierenden Partikularinteressen lossagt, die Wissenschaft und einander achtet und im Rahmen der Werte der Verfassung zusammenlebt statt aneinander vorbei, ist das, was den Idealen der Aufklärung und universalen Vernunft am besten entspricht.

Die Hoffnung weiß: Es ist noch nicht zu spät, die Dinge wieder zurechtzurücken...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dominik Sibarani

Seit Freitag, dem 1. Mai dabei. Jurist und Freigeist mit bohèmiesker Attitüde und Angelschein.

Dominik Sibarani

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