Warum es doch einen Unterschied macht!

100 Tage Präsident Biden Seit letzter Woche ist Joe Biden mehr als 100 Tage im Amt. Zeit, um eine erste politische Bilanz über sein Wirken zu ziehen und mit falschen Erwartungen aufzuräumen.

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Foto: Phil Roeder; Titel: "Joe Biden at McKinley Elementary School" ; Lizenz: CC BY 2.0


Während der US-Präsidentschaftswahlen war von vielen enttäuschten Menschen dies und jenseits des Atlantiks immer wieder zu vernehmen, dass es keinen Unterschied macht, ob ein Republikaner oder Demokrat im Oval Office sitzt: der wählende Bürger sei am Ende sowieso immer nur der Gelackmeierte.

Also war es bloß eine vergebliche Wahl zwischen Pest und Cholera, welche sich als stolze Ausübung demokratischer Rechte mal wieder im üblichen Vierjahrestakt mit großem medialen Getöse darbot?

Oder ist alles sogar noch viel schlimmer?

Mal wieder Untergang des Abendlandes und wer schiebt hier eigentlich Panik?

Zunächst ein paar Zeilen zur Schwarzmalerei. Ginge man nämlich nach Bidens Kritikern, müsste man geradezu den Niedergang Amerikas erwarten. So malten Trump und viele seiner empörten Anhänger, Fans, QAnons, Proud Boys, Boogaloo Boys oder was auch immer ihn so in illustrer Selbstbezeichnung sektengleich anbetet, hinsichtlich eines demokratischen Präsidenten nicht weniger als den Teufel an die Wand. Obwohl die Hütte seit spätestens 2020 doch reichlich gebrannt hat, sahen sie in ihren pandemieblinden Augen erst jetzt Verderbnis anbrechen und warnten bei dem Neuen im Weißen Haus vor radikal-sozialistischer Feuergefahr und dem Untergang der freien Nation.

Nach ihrer genauso emotionalen wie widersprüchlichen ,,Logik" ist Biden ergo von beiden beides, d.h. Pest und Cholera zugleich. Zum einen wegen vermeintlichen Wahlbetrugs überhaupt kein Präsident, zum anderen dann doch wieder einer, der allerdings schurkenhaftem Kollektivismus und Sozialismus Tür und Tor öffnen werde, auf dass Amerika zu einem verderblichen Kolchosestaat verkomme. Ohne Trump, so wirkt es, sei in ihrem minionartigen Kopfkino nicht nur die Show der vergangenen vier Jahre aus, sondern gleich das ganze Leben.

Calmez-vous! möchte man den so Verzweifelten besorgt zurufen. Aber was soll man von Individuen erwarten, welche in einer Pandemie nichts Besseres zu tun gehabt haben als vor Panik zu warnen und bezüglich staatlicher Seuchenbekämpfungsmaßnahmen zum Schutz von Leib und Leben empört Zeter und Mordio zu schreien. Keine-Panik-auf-der-Titanic-Wutbürgern also, die sich selbst als einzig wahre Patrioten, sprich: das Volk der greatest nation on earth sehen, aber eine blamable Erstürmung und Verwüstung des Wahrzeichens der Nation als nicht schlimm erachten und unbekümmert des Todes von mehr als 500.000 Mitbürgern von "it´s a plandemic" und liberty-Parolen als zielführend überzeugt gewesen sind, um sich just nach Bidens Amtsantritt dann plötzlich doch höchst alert zu geben!

Wie in einem Parodiestück steigert sich diese vor der roten Gefahr sich wappnende, rotkäppige Ausgeburt eines peinlich gezüchteten McCarthism 2.0 in kulturkampftaugliche, äußerst skurrile Sowjetisierungs- und Enteignungsfantasien, laut derer Biden ihnen nun auch noch ihre Burger wegnehmen will. Deren Befürchtung, dass die neue Administration zur Senkung der Treibhausgase angeblich im Schilde führe, das köstliche US-Beef durch pflanzliche Patties zwangszuersetzen, gibt dem Begriff Rinderwahnsinn eine völlig neue Bedeutung.

Aber ist diese hysterische Kritik überhaupt ernst gemeint? Leider ja! Ist sie ernstzunehmen? Eher: nein! Jedenfalls gibt eine Rückschau auf das seit Amtsantritt der Biden-Administration Geschehene dafür nichts her. Die Unheilsseher, Xenophobiker und ,,früher war alles Besser´´-Nostalgiker haben sich wohl wieder ,,nur" in ihre eigene Fantasiewelt verrannt.

Kritikwürdigkeit und würdige Kritik

Es fragt sich daher vielmehr, wo bei den dauerempörten Trump-Anhängern die Selbstkritik und der Wille zum Hinterfragen der Dinge in alle Richtungen abgeblieben sind. Wieso lassen sich Menschen von einem Milliardär einreden, er stürze das Establishment?! Wer soll dieses Establishment überhaupt sein, wenn nicht aus evidenzbasiertem, sozioökonomischem Standpunkt her betrachtet die Angehörigen der höheren Vermögensschicht, zu denen Trump mit seinen exklusiven Golfplätzen und Mar-a-Lago-Ressort aka Millionärsclub unzweifelhaft gehört. Falls man hier dennoch zwischen Macht- und Leistungselite genauer differenzieren mag: hat er letztere nicht mit Spenden, dies selbst ohne jede Scham einräumend, geschmiert? Und wieso soll ausgerechnet ein zum Sumpfaustrockner-Rebell verklärter, der von Winner-Loser-Denken überzeugt ist und insoweit sich für etwas Besseres, ja den allergrößten Gewinner hält, zudem bei zahlreichen Gelegenheiten seine Freiheit bedingungslos über die Gleichheit Anderer stellt, gerade die Abgehängten (= nicht die Gewinner... *hust*) anführen?

Geht´s eigentlich noch oder hat Fox News und Alt-(Right)-Media das eigenständig-kritische Denken bei besagten Kreisen komplett aus dem Gehirn "gewaschen", gewissermaßen aus der sozialen Schere eine Schere im Kopf kreiert und damit prekäre Zuschauer ouroboroshaft letztlich gegen sich selbst gepolt? Schnippschnapp, soweit will man gar nicht denken!

Leute, die von sich allerdings meinen, keine Schlafschafe zu sein, aber dann doch als Denialism-Astro-Turf-Masse sponsored by Charles Koch et al. sich leicht instrumentalisierbar machen, sollten mit ihrem aggressiv-emotionalen Crescendo womöglich einfach mal einen Gang runterschalten. Ein Spaziergang an der frischen, von rechtspopulistischen Aerosolen freien Luft würde ihnen vielleicht besser tun als der Gang zur nächsten Coronademo oder das weitere sich Umnebelnlassen von im Internet gechannelten esoterischem Teeschmeißer-Geschwätz und verschwörungstheoretischen Antikom-Beratern. Wer meint, Politikern und Mainstreammedien auf die Schliche gekommen zu sein und keinerlei Einflüssen eines Herdentriebes zu unterliegen, sollte jedenfalls seine Kritik an Biden, Democrats und allem ,,linksgrün-versifftem´´ noch mal selbstkritisch reflektieren, will er nicht als indoktrinierter Lemming mit Schwimmflügeln vor gefährlich tiefen Gewässern der Erkenntnis herüberkommen. Weniger vor Überheblich- und Gehaltlosigkeit strotzende Empörtheit, dafür mehr Sound of Silence und ,,Erst denken, dann reden´´- Einstellung würden in gegenwärtigen Zeiten wirklich nicht schaden.

Zumal sich eine würdige Kritik redlicherweise an Fakten bemisst und mit dem richtigen Ton artikuliert zu werden pflegt.

In dieser Weise wurde von Journalisten und aus dem linken Lager der Demokraten moniert, dass Biden eine Erhöhung des Mindestlohns nicht durchgebracht habe. Tatsächlich konnte er dieses wichtige Wahlversprechen über eine Verankerung in dem Coronahilfspaket nicht realisieren. Sowohl einzelne Senatoren (etwa Joe Manchin und Kyrsten Sinema) aus der eigenen Partei als auch die Blockade der gesamten Republikaner verhinderten dies. Bezüglich des Budget-Eilverfahrens ist überdies zu berücksichtigen, dass die unabhängige und in dieser Frage maßgebliche Beamtin, die Chief Senate Parlamentarian, Elizabeth MacDonough es als rechtlich unzulässig gewertet hat, mit einfacher Mehrheit über diesen gesetzlichen Gegenstand zu befinden, weshalb es auf künftige Verhandlungen und einen Kompromiss mit den Republikanern hinauslaufen dürfte, um eine qualifizierte Mehrheit von 60 Senatorenstimmen zu erhalten. Die nukleare Option in legislativer Hinsicht, welche in der Abschaffung der gegenwärtigen Filibuster-Regel läge, wollte Biden ersichtlich nicht wählen, um eine verfrühte, maximale Konfrontation mit den Republikanern zu vermeiden. Einstweilen will Biden als Ausdruck seines verkündeten Willens, die Spaltung Amerikas zu beenden, noch den Weg über Bipartisanship gehen. Zur Not wird es also am US-Wähler liegen, Biden bei den Midterm-Elections über genug demokratische Senatoren die Mittel in die Hand zu geben, das Vorhaben zu verwirklichen.

Im Rahmen seiner präsidialen Befugnisse hat Biden allerdings den Mindestlohn auf 15 US-Dollar pro Stunde für alle Auftragnehmer der Bundesbehörden gesetzt. Die darin liegende Verdopplung der Mindestbezüge gereicht damit mehr als 5 Millionen Amerikanern zum Vorteil, was immerhin ein erster, kleiner Erfolg in dieser eben auch parteiintern umstrittenen Sache ist.

Eine weitere Kritik wurde an Biden geäußert, als er iranische Milizen in Syrien bombardieren ließ. Tatsächlich ist dieser Akt völkerrechtlich zweifelhaft gewesen. Möglicherweise war dies zwar aus militärischer Sicht geboten und im Interesse der Sicherheit der amerikanischen Soldaten. Gleichwohl ist es problematisch, wenn die USA noch länger in Syrien bei den dem dortigen Volk eigentlich gehördenden Ölquellen verweilen, ohne diesbezügliches UN-Mandat und eine klare Kommunikation über die genauen Ziele, insbesondere inwiefern ein weiterer Verbleib noch zur Bekämpfung des von Trump für besiegt erklärten IS notwendig ist. Nicht vergessen werden darf insoweit allerdings, dass Trump mit der Tötung eines iranischen Generals per Drohnenangriff, zumal es sich bei diesem um einen Gegenspieler des IS gehandelt hatte, eine unverantwortlich chaotische und gefährliche Situation für Bevölkerung und US-Soldaten vor Ort geschaffen hatte. Ebenso waren Trumps Raketenabschüsse auf Syrien, bei denen er laut freudiger Selbstbekundung leckeren Schokoladenkuchen aß, der Stabilisierung der Region nicht dienlich. Es bleibt darum umso mehr zu hoffen, dass Biden in Sachen Syrien und Nahost neue Wege geht und es schafft, Sicherheitsinteressen, Menschenrechten, Demokratie und Frieden so konkordant wie möglich Geltung zu verschaffen. Dabei würde etwa die Rücknahme von Sekundärsanktionen, die Drittstaaten und sogar Bündnispartnern aufoktroyiert wurden und zudem die einfachen Menschen in den eigentlichen Zielländern mehr treffen als die Diktatoren und deren Schergen, ein großer Fortschritt darstellen.

Alles in allem hat Biden es geschafft, in seinen ersten 100 Tagen keine Skandale und nur weniges, das stichhaltiger Kritik begegnet, an den Tag zu legen. Beleidigungen, Mobbing, laute Drohung mit Vernichtung und andere Ausfälle sind bisher ausgeblieben. Statt Egoplay setzt er auf Teamwork und eine leisere, Roosevelt´sche Gangart im Sinne eines Primus-inter-Pares-Ansatzes. Im Gegensatz zu seinem unmittelbaren Vorgänger gibt er auch erkennbar wenig auf große Aufmerksamkeit und politische Show, sondern geht bedächtig vor, verfolgt seine Ziele Stück für Stück im Rahmen des Möglichen mit Konsens und Kompromissen, aber auch Nachdruck. Er zeigt damit eine besonnene, souveräne Art. Insgesamt erscheint er im Auftreten des Präsidentenamtes würdig und hat etwas, das nicht alle haben, nämlich: Stil.

Promises kept statt Schlaftablette!

Wie so oft unsachlich ad personam, aber immerhin die Angst vor verwüstendem sozialistischen Impetus denknotwendig abmildernd, verspottete Trump ohne einen Hauch von psychisch manifester Selbstprojektion seinen ganze vier Jahre älteren Konkurrenten als zu alt, schwach und senil mit dem geistreichen Branding ,,Sleepy Joe´´. Wie ein Duracell-Verkäufer warnte er bei Biden vor Low Energy und einem Ende des unvergleichlichen Aufschwungs, den Amerika unter seiner Amtszeit erlebt habe. Ja, die Börse, die Trump bei vielen Gelegenheiten zum Maß aller Dinge und auch seiner Präsidentschaft erklärte, würde furchtbar crashen unter einem Joe Biden prognostizierte er.

Allein die Realität sieht anders aus. So eilen die US-Indizes S&P, Dow Jones und Nasdaq von einem Rekordstand zum nächsten unter Biden. Und auch die wirtschaftlichen Daten werden kontinuierlich besser und dürften dieses Jahr auf ein massives Wachstum (erwartetes US-BIP für 2021: + 6,4 %) zusteuern. Im Unterschied zum Vorgänger zeichnen sich die Finanzmärkte auch durch weniger Volatilität aus, da sie nicht mehr so sehr von den Tageslaunen des Präsidenten vereinnahmt werden. Wie schon unter der Administration Obama-Biden, welche die von George W. Bush hinterlassene Finanzkrise zu bewältigen hatte, spiegelt sich ein Marktvertrauen zur politischen Führung und Problembewältigungskompetenz in stetig steigenden Kursen an der Börse wider.

Auch wirtschaftlich positiv, aber vor allem für Gesundheit und Gesellschaft bedeutsam, zeigt sich die deutlich andere Herangehensweise an die Coronapandemie. Biden nimmt die Gefahren des Virus nicht nur von Tag 1 seiner Präsidentschaft an ernst, sondern meinte schon in der Presidential Debate gegenüber Trumps Leerformel ,,man müsse lernen mit dem Virus zu leben´´, welche die Handschrift der ethisch fragwürdigen und wissenschaftlich unfundierten Focused-Protection-,,Strategie´´ trägt, dass man mit einem tödlichen Virus keinesfalls zusammenleben kann, sondern es besiegen muss. Mit der Lage abfinden, ist nicht drin. Sein Wahlkampfversprechen war daher alles Notwendige dafür zu tun, um die Pandemie zu beenden. Demgemäß führte Biden unverzüglich Mindestabstandsregel und Maskenpflicht ohne Ausnahme bei den Behörden ein und machte in Bezug auf die Errichtung der Infrastruktur und Logistik für Impfungen Druck. Anders als Trump, der sich mit Scott Atlas einen natürlichen Herdenimmunitätsbefürworter als Berater holte und mit der Idee der Injektion von Desinfektionsmittel oder dem schlangenölverkäuferartigen Werben und Anpreisen von Hydroxychloroquin als segensreiches Mittel von sich reden machte, hört Biden auf die Wissenschaft und ergreift mit Erfolg validierte und aktivere Mittel bei geänderter Prioritätensetzung.

Seine angekündigten 100 Millionen Impfungen in 100 Tagen erreichte er bereits nach 60 Tagen, weshalb er das bereits ambitionierte Ziel kurzerhand verdoppelte und auch diese Wegmarke erfolgreich nahm. Die Amerikaner und auch die Wirtschaft haben dadurch, was der No-Covid-Verfechter und Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Professor Clemens Fuest, mehrfach als wichtig hervorgehoben hat, Orientierung und Planungssicherheit erlangt und erleben nun an Stelle von wie ein Spaltpilz wirkender Krisenverdrängung einigende Erfolge.

Das leidgeplagte Amerika kommt jetzt jedenfalls spürbar voran. Nach den vorherigen Negativrekorden mit Millionen an Massenentlassungen und Infizierten sowie Hunderttausenden vermeidbaren Todesfällen wird endlich wieder Licht am Horizont sichtbar. Selbst die EU, die unter der Führung der Kommissionspräsidentin von der Leyen in der Krise nicht wirklich ein geschlossenes und überzeugendes Bild abgab, muss seit dem ehrgeizigen Kurswechsel im Weißen Haus sehr neidisch über den Atlantik blicken. Für den 4. Juli verspricht Biden den Amerikanern bereits, dass sie sich endlich wieder gefahrlos in Gruppen treffen können. Die motivierende Hoffnung, dass die Rückkehr zu einem großen Stück echter, statt imaginärer Normalität schon bald möglich ist, erscheint bei bald 70 % geimpfter US-Bevölkerung nicht aus der Luft gegriffen. Denn an Israels epidemiologischen Zahlen und Daten lässt sich ablesen, dass Biden sein Versprechen wahrmachen kann, da ab einer gewissen Impfquote in der Bevölkerung die Infektionen, wie sich dort gezeigt hat, exponentiell zurückgehen. So ist der Impfweltmeister mittlerweile bei Inzidenzen von nur 5 angekommen, wo manche in Deutschland gerade nach Scheuklappen strebend und mit fadenscheinigen Argumenten die Bedeutung von Inzidenzzahlen als Maßstab für den Pandemieverlauf in Zweifel ziehen möchten. Statt sich auf gefährlich unnütze Scheindebatten einzulassen und Unzulänglichkeiten rosig zu malen, schaffen andere Länder in der Pandemie Fakten.

Der neue US-Präsident hat offenkundig Schwung in die amerikanische Seuchenbekämpfung gebracht und gezeigt, dass die USA es besser können. Seine Entscheidung für den Staat und die Ergreifung hoheitlicher Maßnahmen an Stelle eines marktkonformen Weges ist dabei in der Wirkung nicht zu unterschätzen. Wie fatal eine falsche Priorisierung diesbezüglich ist, verdeutlicht das Beispiel des trumpnahen Populisten Bolsonaro, der zugab, die Wirtschaft vor staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen schützen zu wollen und deshalb eine Eindämmungspolitik ablehnte, womit er genuine, menschliche Freiheit zu wirtschaftlicher Konsumfreiheit verkrüppelte. Die Folgen dieser Einstellung sieht man in Brasilien Tag für Tag, wo das Virus nun alptraumhafte Hochkonjunktur feiert, sogar es schon an Sauerstoff mangelt und die Ausbreitung immer neuer Varianten zu einer Endlosspirale der dortigen Seuchenlage führt. "We have to learn to live with the virus(=live with it!)" und ,,der Markt macht´s!´´ ist da ein schwacher Trost.

Franklin Delano Roosevelt vergleichbar setzt Biden demgegenüber auf sozial orientierte Reformen, staatliche Wirkmächtigkeit und eine Wirtschaft, die nicht nur sich selbst verpflichtet ist. Er bricht dadurch mit dem seit den 80er-Jahren und Ronald Reagan vorherrschenden Dogma des ,,mehr Markt, weniger Staat´´. Der Staat tritt bei Biden folglich nicht länger den Rückzug an, sondern ist in der Innen- wie auch der Außenpolitik wieder zurückgekehrt. Auch das ein großer Unterschied zu den Ansätzen Trumps und republikanischer Präsidenten. Die Mär vom schläfrigen Joe und einem per se unfunktionalen Staat ist demnach widerlegt. Indes bleibt festzustellen, dass der Urheber der Verbalinjurie Donald Trump höchstselbst die Pandemie verschlafen hat und seither nur noch von einem errungenen Wahlsieg träumen kann. Sleepy Joe ist damit in Wahrheit Sleepy Trump.

Begründete Hoffnung, die über den Slogan „make America great again´´ hinausgeht

Gelungen ist dem neuen Präsidenten gegenüber der vorherigen Administration aber auch das Durchbringen des zuvor monatelang in der Schwebe gehangenen 1,9 Billionen US-Dollar schweren Coronahilfspakets, was neben Schecks als Einmalzahlung bis September 2021 wichtige Finanzhilfen und Moratorien gegen Zwangsvollstreckungen enthält und damit einer großen Breite von Amerikanern existenziell zugutekommt, wodurch die Akzeptanz für die Seuchenschutzmaßnahmen, die für epidemiologische Fortschritte wichtige Compliance, und der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Krise gefördert werden. Im Vergleich zu den Novemberhilfen in Deutschland werden die amerikanischen Finanzhilfen auch noch schnell und unbürokratisch ausgezahlt. Denkt man zudem an vielerorts nicht installierte Luftfilter in Schulen, weiterhin niedrige Löhne für Krankenhausangestellte mitsamt unbehobenem Pflegenotstand sowie die fehlenden oder inadäquat geringen Finanzhilfen für Künstler und Studierende offenbart sich eine gewisse Knausrigkeit hierzulande, die bei der derzeitigen amerikanischen Regierung nicht vorhanden zu sein scheint, sodass Biden auch hier einen merklichen Unterschied macht.

Mit dem American Jobs Plan in Höhe von 2,25 Billionen US$ verteilt über 8 Jahre und dem American Families Plan, der ein Volumen von 1,8 Billionen US$ aufweist, unterstreicht Biden vielmehr seine Absicht im Verhältnis zu der Größe des Problems eine Lösung zu suchen, bei der folgerichtig die Devise gilt: ,,klotzen, nicht kleckern!´´. Es zeigt sich somit, dass Bidens Wahlkampfbeteuerungen keine bloßen Lippenbekenntnisse waren, sondern er unrastsam mit großen Schritten vorangeht und mit ebenso zahlreichen wie weitreichenden Reformpaketen sein Land nicht nur in den Status quo ante vor der Coronakrise zurückversetzen will, sondern progressiv nach vorne denkend auf die Zukunftsfestigkeit der Vereinigten Staaten als Präsident hinarbeitet. Auch die jüngsten Bemühungen zur Lösung des akuten Halbleitermangels, für die er staatliche Fördermittel in der Größenordnung von 50 Mrd. US$ in seinem Infrastrukturpaket vorgesehen hat, unterstreichen, dass er keine Kosten und Mühen scheut, um Amerika zu neuer Größe zu führen. Dass er auf diese Weise mit der verfahrenen, festgefahrenen und rückwärtsgewandten Politik Trumps bricht, macht durchaus begründete Hoffnung.

Rechtliche Grenzen und persönliche Abgrenzung

Auch in anderen Belangen hat Biden profilschärfend Entscheidungen gefällt. So hat er – wozu Trump, aber auch der französische Präsident Macron mit Rücksicht auf milliardenschwere Gewinne der Rüstungskonzerne nicht bereit waren – die Beziehungen zu Saudi-Arabien neu definiert und die Beendigung der amerikanischen Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen Jemenkrieg angeordnet wie auch das Ende von damit zusammenhängenden US-Waffenverkäufen. Statt sich als übler Kriegstreiber zu erweisen, dessen ihn die Trump-Anhänger bezichtigten, gab er zudem den Rückzug der USA aus dem ewigen Afghanistankrieg kund, den Trump mit Lockerungen bei den militärischen Schutzregeln gegenüber Zivilisten und mit neuen Drohnenkriegs- und Bombardierungsexzessen ganze vier Jahre lang (weiter-)führte.

Betreffend den Fall Kashoggi hat Biden erstmals in der Geschichte der Beziehungen beider Länder Sanktionen gegen saudische Offizielle in Kraft gesetzt und einen brisanten Geheimdienstbericht veröffentlichen lassen, der die Schuld des saudischen Kronprinzen untermauert.

Auch hat er den Völkermord an den Armeniern offiziell anerkannt und weist damit etwaige Androhungen von autoritären Machthabern gegenüber Amerika in die Schranken.

Mit der angekündigten Schließung des umstrittenen Übersee-Gefängnisses Guantanamo setzt Biden ebenfalls klare Akzente, die ihn von seinem Amtsvorgänger in rechtsstaatlicher Hinsicht wesentlich abheben. Anzumerken ist dabei der Vollständigkeit halber, dass die Umgehung von Normen durch die Nutzung extraterritorialer Einrichtungen (sog. Blacksites) zwar bereits bei George Bush Jr. begann, Trump diese aber fortzusetzen gewillt war und sogar unbeteiligte Familienangehörige(!) von Terroristen foltern wollte.

Dem geradezu diametral entgegen steht der multilaterale Ansatz der Außenpolitik Bidens und seines Außenministers Anthony Blinken, die den Pfad der America First-Doktrin zu verlassen trachtet, welcher durch eine US-historisch beispiellose nationalistische Missachtung gegenüber UN-Institutionen und der Geltung des Völkerrechts geprägt war.

Insoweit konsequent wurden die von Trump verhängten Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof(!) von Biden inzwischen wieder zurückgenommen und die Rückkehr Amerikas in die internationale Gemeinschaft proklamiert. Hierzu gehört auch der Wiederbeitritt zum Pariser Klimaschutzabkommen, der dem gemeinsamen Kampf gegen die weltweite Klimaerwärmung den Weg ebnet. Ein wichtiger Schritt, der allerdings nicht ohne Wermutstropfen daherkommt, da in den das Problem verleugnenden Trump-Jahren wertvolle Zeit vertan wurde und nicht abzusehen ist, wie Biden - nachdem damals schon Obama daran kolossal gescheitert war - es schaffen soll, genügend republikanische Senatoren für eine qualifizierte Mehrheit bei entsprechenden Gesetzesinitiativen auf seine Seite zu ziehen.

Auch in einem anderen Punkt grenzt sich Bidens eingeschlagener Weg erheblich von Trump ab. Wo dieser nämlich populistisch über Big Pharma schimpfte, aber by the way einen Pharmalobbyisten zum Gesundheitsminister ernannte(!), hat jener tatsächlich der Weltgemeinschaft den Vorschlag unterbreitet, Impfpatente auszusetzen. Dieser überraschende Vorschlag zielt darauf, einer Begrenzung des Zugangs durch zu wenige oder zu teure Vakzine und patentrechtlich bedingter Produktionshürden entgegenzuwirken, was insbesondere den Menschen in Entwicklungsländern dringend zugutekommen dürfte, worauf etwa Jean Ziegler in einem Appell hinweist. Geschaffen werden könnte damit über die Coronapandemie hinausgehend eine Präzedenz bezüglich Medikamenten in Anbetracht Hunderttausender unnötig an Malaria und anderen behandelbaren Krankheiten Sterbender weltweit. Die Diskussion auch insofern preisgünstigere Nachahmerprodukte aus dem Generikamarkt zuzulassen, könnte damit wieder aufleben und das neoliberale Paradigma freier Märkte auch hinsichtlich kommerzialisierter Medizin ins Wanken bringen. Wenn Biden zum Verhältnis Markt-Mensch und der verpflichtenden Dimension von Eigentum hiermit einen wichtigen Beitrag leistet, unterscheidet er sich nicht gerade geringfügig von einem Vorgänger, der die allgemeine Krankenversicherung, Obamas Affordable Care Act, faktisch zulasten der Abgehängten abschaffen wollte, um das gesundheitliche Feld so gut wie restlos den Regeln des Marktes zu unterwerfen.

Summa summarum kristallisiert sich bei der Biden-Administration in Bezug auf rechtliche Grenzen bzw. Grenzen für das Recht heraus, dass sie in Abkehr einer nur negativen Definition von Freiheit, welche in den neoliberalen Jahrzehnten einseitig zugunsten des Marktes als Abwehrrecht gegen den Staat konzeptionell verfassungsrechtliche Geltung fand (vgl. marktkonforme Tendenzen in der Rechtsprechung des republikanisch dominierten Supreme Court), die Grundrechte (Bill of Rights der US Constitution) und Menschenrechte weltweit (humanitäres Völkerrecht) auch von der positiv-freiheitlichen und sozialen Seite als staatliche Garantie, Schutz- und Leistungsrechte gegen etwa Marktmacht oder Despotentum durchzusetzen gewillt ist. Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz veranschaulicht, dass Biden mit einer modernen Rechtsauffassung somit eher im Einklang steht als Trump, welcher den Staat als Garanten aus vielen nationalen und globalen Sachverhalten heraushaben wollte, mit der Gefahr, Chaos, Ignoranz und dem Recht des Stärkeren oder Marktmächtigeren, also Vorrechten vor Rechten, das Feld zu überlassen. Eine der Universalität und partizipativen, offenen Gesellschaft zugewandte Sichtweise streitet hier folglich mit einer partikulären im besten Fall aus eigenverantwortlichem Individualismus und im schlechtesten aus exklusivem Autoritarismus und egoistischer Beliebigkeit sich speisenden Interpretation von Recht und Wirklichkeit.

Mehr Einheit statt Spaltung, aber nicht um jeden Preis

Aus dieser divergierenden Perzeption erklärt sich, warum Biden anstatt Basta-par-ordre-du-mufti-Politik und Alleingängen eher für Kompromisse und auch überparteilichen Konsens steht, welchen er bereits in seiner Zeit als Senator mit etwa John McCain bestrebt war zu verwirklichen. Dies entspricht an sich auch eher dem Naturell eines nicht typischen, aber idealtypischen Politikers, das sich von der Polis, also dem Wohl der Gemeinschaft herleiten sollte.

Demgegenüber ist die Mentalität eines puren Geschäftsmannes vom Schlage Trumps von der Maximierung des eigenen Nutzens und dem Bestehen im Wettbewerb, dem Modus des "Ich gegen die Anderen" vorrangig geprägt. Er ist darum im Marktnaturzustand Produkt und Produzent von Spaltung im Sinne einer materialistisch determinierten Auslese. Trump vermochte auch als Präsident sich von seiner fatalen Ich-Fixiertheit und Winner-Loser-Mentalität zum Wohle der Nation nicht zu lösen. Vielmehr zogen sich diese Determinanten unerbittlich durch dessen gesamtes Handeln wie ein roter Faden, der alles entlang einer Demarkationslinie gleich entzweite, weshalb Risse, Streit und Spaltung statt Harmonie sogar sein unmittelbares Umfeld beherrschten und in etlichen Rauswürfen und spektakulären Eklats kulminierten. Auch wenn die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft schon vor Trump existierte, hat er mit seiner destruktiven, von Superlativen und eigener Entgrenzung bestimmten Herangehensweise diese potenziert, instrumentalisiert und maximiert. Er hat das paradoxe Kunststück vollbracht, immer neue Höhepunkte an Tiefpunkten zu kreieren.

Wer von dieser Feststellung selbst nach dem gewalttätigen und das Band der Demokratie zu zerreißen drohenden Sturm auf das Kapitol von einem durch trumpesken Wahlbetrugsblabla aufgestachelten Mob nicht überzeugt sein sollte, dem sei eine ehrliche Bestandsaufnahme der republikanischen Partei nach dem Ende der wüsten Regentschaft des 45. Präsidenten nahegelegt. Karrieregier, Wirrnis und Entfremdung von Wirklichkeit und voneinander gehen hier mittlerweile soweit, dass man bei der GOP getrost auf den entitären Singular verzichten kann und besser von Parteien-Mitgliedern sprechen sollte. Zu Einschüchterungen, Diffamierungen und Gewaltandrohungen untereinander als treffendes Beispiel gesellend wurde kürzlich erst bei einer Parteiveranstaltung der Inbegriff eines wirtschaftsliberalen Republikaners, namentlich der Bain Capital Gründer und Ex-CEO Mitt Romney, wegen seiner Kritik am Kapitolsturm und seiner Stimmabgabe bei dem diesbezüglichen Impeachmentverfahren als ,,Verräter" und ,,Kommunist´´(!) beschimpft. Andere Trump nicht genehme Republikaner wurden sogar in Flugzeugen von seinen Anhängern lautstark ausgebuht. Die dritthöchste Republikanerin im Kongress, Liz Cheney, soll nun auf Geheiß Trumps in Kürze geschasst werden, da sie über den Wahlsieg Bidens schlicht die Wahrheit aussprach und Trumps Uneinsichtigkeit kritisierte. Dem langjährigen Senatsfraktionsführer der Republikaner Mitch McConnell, den Trump sogar als "d-mb son of a b-tch" bezeichnete, droht ebenso die Absetzung.

Vor diesem Hintergrund erscheint Bidens professionelle Ruhe und einigende Herangehensweise der ersten 100 Tage geradezu heilsam. Wo etwa in seiner Partei noch eine gesteigerte Empörung des linken Flügels darüber vorherrschte, dass er eine Erhöhung des Mindestlohns nicht durch den Kongress gebracht hatte, flaut diese schon wieder ab, nachdem er das Dekret über die Verdopplung des Mindestlohns bei bundesstaatlichen Auftragnehmern erließ und keinen seiner parteilichen Widersacher ungestüm und unflätig angegangen hat. In der Bevölkerung wiederum bemüht sich Biden über ausgedrücktes Mitgefühl, offene Kritik an institutionalisiertem Rassismus und präsidentielle Worte der Versöhnung um Harmonie statt Öl ins Feuer schwelender Konflikte zu gießen, wie in verantwortungsloser Weise durch den Vorgänger im Umgang mit Charlottesville, Polizeigewalt und den Kneel-in-Gesten von Sportlern geschehen. Kurzum baut Biden eher Brücken statt unsinnige Gräben auszuheben.

Mit seinen gigantischen Infrastruktur- und Sozialprogrammen europäischen Zuschnitts verringert er zudem die sozioökonomische Spaltung als die eigentliche Wurzel zahlreichen Übels in der amerikanischen Gesellschaft.

Damit der Ausgleich wirklich gelingt, ist er sogar dazu bereit, das Thema Steuererhöhungen anzugehen, welches seit Norquist und spätestens seit der Abwahl George Bush Seniors in den USA für die Mehrzahl der Politiker ein absolutes Tabu- und Schleudersitzthema ist. Er riskiert mit der unpopulären Entscheidung, die Steuern von Unternehmen und die Kapitalertragsteuern von Superreichen zu erhöhen, sowohl einflussreiche Wählerstimmen als auch Spendengelder zu verlieren, aber zeigt auf der anderen Seite, dass er mit seiner Wahlkampfrhetorik kein Schaumschläger gewesen ist und es mit dem Abbau der sozialen Kluft tatsächlich ernst meint und auch nicht jedem, um jeden Preis gefallen will, sondern Verantwortung von denen einfordert, die vermögensmäßig in den Jahrzehnten seit der neoliberalen Wende Reagans überproportional an der Wohlstandsentwicklung partizipieren konnten und dazu in der Lage sind, einen fairen Beitrag in der Krise zu leisten. Viele hätten dies dem ehemaligen Langzeitsenator des Steuerparadieses Delaware, der stets unternehmerfreundlich abstimmte, nicht zugetraut. Dass er dabei anders als beispielsweise der deutsche Finanzminister Olaf Scholz nicht für alle Kapitalmarktteilnehmer die Steuern undifferenziert erhöht und so eigenverantwortliche Aktiensparer in die Hände von privaten, provisionsfixierten und zillmerisierten Finanzkonzernen und Versicherungen treibt, sondern großzügige Freibeiträge festlegt und Dividenden von Steuererhöhungen ausnimmt, sorgt für faire Verhältnisse und mehr Stabilität an den US-Finanzmärkten. Bidens Steuererhöhungen sind damit weder simplifizierend-populistisch ausgestaltet noch für Mittelschicht, Altersvorsorge und Mittelstand schädigend. Gesetzgeberischer Pfusch und vermeintlich sozialradikale Vergemeinschaftungsagenda sind bei ihm im Vergleich zu Anderen nicht zu erkennen.

Bidens Vorhaben, Großkonzerne und die Top 1 % schon am Anfang seiner Präsidentschaft und überhaupt in die Pflicht zu nehmen, kontrastiert auf jeden Fall ganz erheblich zu Vorgängerregierungen und besonders zu Trump, der bei seiner Steuerreform massiv die Körperschaftsteuern reduziert, Privatjets von der Steuer absetzbar gemacht und die Mindeststeuer für Multimillionäre und Milliardäre gleich ganz gestrichen hatte.

Das Ergebnis damals: die Steuersenkung kam zu ¾ der oberen Schicht zugute und war nur ein Strohfeuer für die Mittelschicht und kleinere Einkommen, denn die einhergehende Schuldenexplosion muss wiederum von der ganzen Bevölkerung getragen werden. Durch die Rücknahme von Trumps Steuersenkung als populistischem (Selbst-)Geschenk, schafft Biden dagegen nicht nur mehr politische Haushaltsehrlichkeit und sozialen Ausgleich, sondern glättet auch in zeitlicher Dimension, sodass keine Spaltung zwischen heute und morgen und damit zulasten zukünftiger Generationen durch bloße Taschenspielertricks entsteht.

Dem nicht genug, internationalisiert Biden sogar seine Steuerfairness-Initiative und macht auch insofern einen erheblichen Unterschied zur Trump-Ära. Wurde damals der französischen Regierung noch mit Sanktionen gedroht wegen der Einführung von Steuern gegenüber in Europa wirtschaftenden amerikanischen Digitalkonzernen, erklärt Biden sich nun zur globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen bereit und setzt damit Obamas seinerzeitigen Kurs gegen Steueroasen und gegen einen unbotmäßigen Steuerwettbewerb fort, welcher ebenso das Machtgefüge zwischen globalisiertem Markt und Nationalstaaten neu zu kalibrieren suchte.

Die moderaten Steuererhöhungen am oberen Ende der Vermögensschere könnten einem wirtschaftsschädigenden Narrativ über Steuererhöhungen zuwider womöglich sogar konjunkturell positive Effekte entfalten, wenn nämlich zuvor in Steueroasen gebunkertes und allein auf den Finanzmärkten in Net-Asset-Blasen zirkuliertes Kapital abgeschöpft und wieder stärker über Konsum und staatliche Ausgaben in die Realwirtschaft fließt.

Insgesamt offenbart sich in Bidens Politik damit ein nachhaltiger und ganzheitlicher Ansatz, an dem es der vorhergehenden Einzelinteressen oder schlicht sich selbst dienenden, aber Volksnähe suggerierenden Politik mangelte. Sowohl Bush Jr. als auch Trump haben massiv Steuern für die Reichen fatalerweise in Boomphasen gesenkt, die Zentralbanken zu Niedrigzins und Quantitative Easing gedrängt und große Wirtschaftskrisen in ihrer Amtszeit verursacht. Biden räumt ersichtlich mit dieser gespaltenen republikanischen Politik auf, die im Gestern verhaftet ist, die Zukunft für die Gegenwart opfert und statt ein vitales und gerechtes System anzustreben, ein ums andere Mal Krisen und Zusammenstürze erzeugt. Im Gegensatz zu Trump lässt sich seine Politik nicht auf einen Teiler, sondern einen gemeinsamen Nenner runterbrechen. Aber in seinem Bestreben nach Einheit ist er wiederum auch nicht auf falsche Harmonie aus, was seiner Politik Kontur im Vergleich zu opportunistischen Gestaltungsansätzen verleiht.

Kein Populist, aber trotzdem populär

Der Umstand, dass Joe Biden bisher weder Stimmung gegen Menschen macht, um daraus politisches Kapital zu schlagen noch sich von Stimmungen allzu sehr leiten lässt, tut seiner Popularität keinen Abbruch.

Dafür streiten jüngste Umfragen zu seiner Präsidentschaft, die eine Zustimmungrate von immerhin 52 % der Befragten zu seiner Politik ausweisen, was ihn beliebter macht als Trump, dessen erste 100 Tage Amtszeit nur 42 % guthießen.

In Anbetracht der mehr als 70 Millionen Amerikaner, die Trump gewählt haben, sind gute Umfragewerte aber kein bloßes Nice-to-Have, sondern, wenn Biden das Land wirklich wieder zusammenführen will, wird er einerseits alles versuchen müssen seiner Politik eine eigene Handschrift zu geben, die aufweist, dass nicht alles politisch einerlei ist und es auch anders geht; andererseits wird er die Bevölkerung von seinen Reformen überzeugen und gegen Vorwürfe von Bürgerferne und Abgehobenheit die Umfragen im Blick behalten müssen. Dass er sich nicht scheut, unpopuläre, aber sachlich gebotene Zumutungen wie etwa Steuererhöhungen und Coronaschutzmaßnahmen durchzusetzen und nicht mit negativen Emotionen, wie Ängsten und Aggressionen spielt, offenbart, dass er darauf aus ist Kopf und Herz und nicht die Galle der Menschen anzusprechen.

Verantwortung und Verantwortlichkeit

Die ersten 100 Tage Bidens dokumentieren, dass er sich nicht aus der Verantwortung stiehlt und trotz seines hohen Alters gewillt ist, Amerika zu prägen und zu verändern. Mut und Demut treten bei ihm an die Stelle von Demütigung und Großmannssucht; Rechtsstaatlichkeit an die Stelle von Gesetzlosigkeit; Ordnung ersetzt vorheriges Chaos; Verständnis die Ignoranz; Mitgefühl die Empörung; Nachhaltigkeit die willkürliche Plötzlichkeit; Multilateralismus den Nationalismus; der Markt verdrängt nun auch nicht mehr den Staat und den Menschen; egoistisches Gehabe wird darum wieder zu mehr sozialer Teilhabe; Defätismus und Ohnmacht weichen wiederum der Hoffnung; die Lüge den Fakten, der Wahn der Wissenschaft und die Aggression der Vernunft.

Daraus wird klar, dass das Präsidentenamt sich nicht nur in Zuständigkeit erschöpft, sondern, dass derjenige, der Verantwortung für etwas trägt auch verantwortlich handeln muss.

Wenn man so will, ist es Biden, der gerade auf dem besten Wege ist, kurioserweise nicht nur sein Wahlversprechen, sondern auch das Versprechen Trumps, das dieser während seiner umstrittenen Antrittsrede gab, einzulösen, nämlich den Staat den Bürgern wieder zurückzugeben! Zu seinem Vorgänger macht er dadurch einen Unterschied.

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Geschrieben von

Dominik Sibarani

Seit Freitag, dem 1. Mai dabei. Jurist und Freigeist mit bohèmiesker Attitüde und Angelschein.

Dominik Sibarani

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