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Ausstellung "Wonderwalls" Wenn Streetart zur ökonomischen Ausschlachtung wird

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Ist das Kunst oder Schmiererei? Oder vielleicht doch Politik?
Ist das Kunst oder Schmiererei? Oder vielleicht doch Politik?

Foto: Oli Scarff/AFP via Getty Images

Güterzüge, Anonymität, Illegalität: Eine Form von Protest. Nachts, vermummt. Es gibt unzählige Macharten von Graffiti. Style Writing und Taggen (Nein, nicht das bei Instagram) sind vor allem Ausdrucksformen von Crewzugehörigkeiten und innerszenischer Anerkennung. Während die Schritfzüge von der Allgemeinheit als hässliche Schmierereien und Vandalismus abgetan werden, geht es nicht selten um besonders anspruchsvolle Ortschaften, wie die extreme Höhe beim brasilianischem Pixação. Street Art hingegen ist für die breite Masse anschaulicher. Die bildlichen Motive wie die Strichfiguren vom Schöpfer Gérard Zlotykamien sind nicht weniger ein Zeugnis von Aufstand. Dafür wesentlich mehr Museentauglich.

Das NRW-Forum in Düsseldorf widmet sich dem Genre mit der Ausstellung "Wonderwalls", wenn Pop auf Street Art trifft. Wenn Protestkultur zum kommerziellen Designer-Spielzeug wird. Dass diese Kunstform unlängst nicht mehr als Nische betrachtet wird, ist so klar, wie ein Banksy-Bildband auf dem Designertisch der berufsjugendlichen Familie. Unternehmer Selim Varol ist so ein Junggebliebener: Immer eine Baseballcap auf, modischer Bart, Jarvis Cocker Brille und ein freundliches Lächeln. Sämtliche Exponate der Ausstellung - die in zwei Abschnitte aufgeteilt ist - sind aus seinem Bestand. Es ist also nicht verwunderlich, dass an einem Eingang ein Familienportrait der Varols hängt, gemalt vom deutschen Künstler*innenduo Herakut, die auch schon Jim Carreys Haus ein Mural verpassten. Weniger selbstverliebt ist die andere Pforte in die Ausstellung, sie beginnt mit den "Origins", schwarze-weiße Fotografien unter anderem der großartigen Martha Cooper, die die Anfänge der New Yorker Szene dokumentierte. Sichtbar werden wieder die Style Writings und Tags und es wird noch einmal bewusst: Sie sind das Fundament des Ganzen hier. Eine weitere Wand ist so willkürlich vollgeknallt, dass einem die Sammelwut ins Gesicht scheppert. Der erste Eindruck, Street Art sei nur noch ökonomische Ausschlachtung, kann durch den französischen Künstler JR getrübt werden: Mit großflächigen Fotoplakaten will er Denkanstöße geben, auf Missstände und Vorurteile hinweisen. Er plakatiert Bilder von Palästinenser*innen und Israelis auf der jeweiligen anderen Seite der Grenze. Sozial verdrängte Menschen sind im Pariser Bourgeois-Vierteln sichtbar. Seine Arbeiten entstehen anonym, illegal und werden zugleich im Londoner "Tate Modern"-Museum ausgestellt. Als Vorbereitung zu "Wonderwalls" wurde JRs "Inside Out" Projekt involviert: Interessierte konnten sich portraitieren lassen und sind als Paste-Ups rund ums NRW-Forum zu besichtigen. Das funktioniert wunderbar. Street Art, nun ja, auf der Straße.

Leider folgt die Ausstellung der bescheidenen Disziplin nicht und zeigt halt das was in Varols Sammlung so ist. Ein großer Bestandteil sind Toys. Also Spielzeug, Produkte mit denen Kinder spielen. Tatsächliche Spielfiguren wie die Masters of the Universe sind in übergroße Verpackungen verhüllt worden und bei genauerem Betrachten sehen diese Figuren konsequent nach Nutzung aus: Abgeplatzer Lack, verblasste Farbe. Die Veranschaulichung soll auch als Konsumkritik verstanden werden, an die Plastik- und Ölindustrie, die Kinderspielzeug als Massenprodukt herstelle. Das kommt etwas absurd, wenn nur wenige Schritte weiter Myriaden von Bearbrick-Figuren der japanischen Firma MediCom aufgereiht werden. Um diese noch mehr zur Geltung zu bringen, haben Kurator und Künstlerischer Leiter Alain Bieber sowie Co-Kuratorin Judith Winterhager das Arbeitszimmer von Varol nachstellen lassen. Von rosa Wänden umsäumt stehen die limitierten Bären auf Regalen, die eigentlich nur Kooperationsmittel für Designer wie Dior sind und nicht knapp aus Plastik hergestellt werden. Varol besitzt eine beachtliche Sammlung, leider ist den meisten Objekten die Wertanlage zu deutlich anzusehen. Warum werden ausgerechnet bei "Skate Culture" eingeschweißte Decks von Supreme gezeigt? Anhand der Reaktionen der Besucher*innen hat Varol mit der Öffnung seiner Sammlung ungeachtet davon Street Art und letztlich vielleicht auch Graffiti einen Bärendienst erwiesen: Zukünftig vielleicht nicht mehr sofort die Polizei anzurufen, wenn auf der Strasse unauthorisierte Kunst stattfindet.

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