Wie oft noch "Nie wieder!"?

Ursache des Faschismus Ist 1933-45 die Zeit über die wir JEZT reden müssen? Nein, 1918-1933 ist wichtiger denn je!

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es war nie weg, es durfte nur nicht gesagt werden.

Seit ein geistiger Brandstifter namens Sarrazin auf die Idee kam, die Meinung „Man wird es wohl noch sagen dürfen“ sei das A und O einer „offenen“ und demokratischen Gesellschaft und darüber ein Buch schrieb, ist es wieder gesellschaftsfähig: Man sagt es wieder. Solch ein Buch wurde schon einmal geschrieben, etwas anders formuliert.
Es hatte in Deutschland eine Weile eine höhere Auflage als die Bibel.
Seit diesem Startschuss wird es immer häufiger gesagt, immer lauter und mit immer mehr Hass. Aus der letzten Ecke kommen sie gekrochen und sagen es. Über die völlige Enthemmung der Sprache brauchen wir hier nicht weiter zu diskutieren.
„Worte formen Gedanken“, das weiß jeder. Und aus Gedanken werden Taten.
Und der Ruf „Nie wieder!“ folgt auf dem Fuße. Es wird wieder darüber diskutiert, was in Deutschland zwischen 1933 und 1945 passiert ist. Wer, bitte schön, weiß das nicht? Es gibt in Deutschland einige, die es leugnen, wissen tun wir es alle, und das sehr genau. Und das ist richtig und wichtig.

Aber ist diese Zeit wirklich die, über die wir JETZT reden müssen? Ich denke nicht!
Ich denke sogar, dass DAS der größte Fehler ist, den wir aktuell machen. Diesen Zeitraum immer und immer wieder durchzukauen, führt zu, genau: Nichts. Jede neue Wahl belegt das mit Zahlen.

1933 ist das Kind in den Brunnen gefallen. Bis 1941 hat die Welt in den Brunnen geschaut und dem Kind beim Ertrinken zugesehen.
Manche haben es mit einem Stock weiter nach unten gedrückt, andere ein Seil in den Brunnen geworfen.
Man hörte „Es lebt ja noch“, „Es wird nicht so schlimm, wir müssen nur mit ihm reden“, „Es ist nur ein Kind“, „Man sollte es schneller ertrinken lassen“, „Jemand sollte es nach oben holen..“, etc. pp.
Lange, viel zu lange hat die Welt sich tatenlos angeschaut, wie dieses Kind ertrinkt.

Und was machen wir heute? Wir diskutieren darüber, wie alle beim Ertrinken zugeschaut haben und Deutschland noch Steine hinher geworfen hat und wir sagen mit Überzeugung „Nie wieder“!
Es gibt Vorschläge Menschen zu überwachen, die am Computer Brunnensimulationen spielen.
Es gibt die Überlegungen, Diskussiongruppen und Foren im Netz, in denen offen darüber gesprochen wird, Kinder in Brunnen zu treiben, zu überwachen oder ganz zu verbieten, die Diskussionen darüber einfach zu löschen. Oder Filme darüber automatisch herausfiltern zu lassen..Ja, man denkt sogar darüber nach, die Aussprache des Wortes „Brunnen“ unter Strafe zu stellen.

Merkt eigentlich irgendwer, wie absurd das ist?

Ja – die Erinnerung an die Zeit von 1933-45 wach zu halten, ist wichtig! Sie ist notwendig! Sie zeigt, wo es hinführt! Es ist aber nicht die Zeit, über die wir jetzt reden müssen.
Bis 1932 hat es genug Möglichkeiten gegeben, zu verhindern, dass es passiert. Wie ist es also soweit gekommen?
DAS ist die Frage, bei der wir ansetzen müssen.

Die Zeit von 1918-1933, dort müssen wir jetzt hinschauen! Wer hat aus der Schule mehr behalten als „Ende des 1. Weltkrieg“, „Weimarer Republik“, „Weltwirtschaftskrise" und „Machtübernahme“? Nur wenige wissen mehr. Vielleicht ein paar auswendig gelernte Daten und Namen. Aber die Zusammenhänge fehlen fast überall.
Vielleicht erinnert man sich an das Alkoholverbot in den USA und die wilden 1920er. Jeder kennt den Namen und die Geschichte von Al Capone.
Aber wer weiß etwas über Heinrich Brüning? Keine Sorge, auch ich musste für die Details Wikipedia konsultieren.

In dieser Zeit wurde nicht darauf geachtet, dass das Kind besser gar nicht erst in die Nähe eines Brunnen kommt, man hat es sogar in diese Richtung getrieben und man hat vor allem Brunnen gebaut und die Gewinne eingestrichen.
Nicht nur in Deutschland, überall auf der Welt hat man die Zeichen nicht wahrgenommen.
Wenn man sich durch dieses Jahrzehnt wühlt, bleibt unter dem Strich eine einzige Ursache übrig:
Soziale Ungerechtigkeit! Ihre Kinder heißen Neid und Haß. Das ist der einzige Grund für Faschismus und Nationalsozialismus, es gibt keinen anderen. So einfach ist das!

Das, was die Rechte spätestens in der Weimarer Republik begriffen hat ist, dass das Parteiprogramm niemals eine Rolle spielt.Das Einzige, dass Stimmen bringt, ist einen Schuldigen zu präsentieren. Die NSDAP hat auf den Juden gezeigt.
Heute zeigt man auf den Schutzsuchenden aus welchem Land auch immer, auf den anders Aussehenden, den Moslim, auf Merkel (als sowieso an allem Schuldige) und jetzt, da abzusehen ist das Merkel abtritt, auch sehr gerne wieder auf den Juden.
Eine einfache, fertige Lüge wird immer lieber angenommen als eine Wahrheit, über die man 5 Minuten nachdenken muß.

In der Zeit vor 1933 brach der Mittelstand fast überall endgültig zusammen. Die Kluft zwischen Arm und Reich erreichte ein unvorstellbares Ausmaß. In Deutschland und auch in den USA starben Kinder an Unterernährung, Arbeitslosigkeit überall, Hoffnungslosigkeit, wohin das Auge sah.
Es zählte nur der Gewinn. Menschen wurden auf eine Resource degradiert, die nach Bedarf benutzt werden kann.
Eine große Zahl von Menschen fühlte sich abgehängt und im Stich gelassen.
Das ist der Boden, auf dem der Faschismus prächtig gedeiht. Verbote, Überwachung und das Gefühl nicht dazu zu gehören, sind der Dünger.

„Seht, der Staat und die Lügenpresse wollen die Wahrheit vertuschen wer Schuld an eurer Situation ist!“
Die Anführer der neuen Rechten haben sehr viel aus dieser Zeit gelernt! Sie schauen sehr genau hin und machen es heute so wie vor 1933. Sie verwenden die gleichen Methoden und Werkzeuge, Goebbels ist ihr Lehrmeister. Heute Facebook, damals der Volksempfänger, die gleich Rhetorik, der gleiche Haß und einen Schuldigen.
Hätte ein Verbot des Volksempfängers den Holocaust verhindert?

Es gibt nur eine einzige Lösung!
Weg mit dem Kapitalismus, wie er jetzt existiert. Schafft einen sozialen Staat, wie ihn sich die Gründer der Bundesrepublik Deutschland einst vorgestellt haben. Diejenigen haben die Zeit von 1918-1945 im Zusammenhang erlebt, sie wussten wie und was passieren kann. Sie haben eine Sozialgesetzgebung geschaffen, die das verhindern sollte. Doch diese Staatsform wurde seit den 1970ern immer weiter demontiert. Der letzte, echte Sozialdemokrat der in einer Regierung was zu sagen hatte, hat 2002 seinen Hut genommen, Norbert Blüm (CDU!)
Hartz IV muss sofort abgeschafft werden, holt die Abgehängten ab, nehmt sie auf den Wagen, gebt ihnen das Gefühl zurück, dass der Staat sie sieht und sich kümmert. Führt ein bedingungsloses Grundeinkommen ein.
Niemand muß im Deutschland von 2019 Angst haben, morgen vor einem leeren Kühlschrank zu stehen, nicht ins Kino gehen zu können oder mit seinen Kindern mal ins Schwimmbad. Oder Angst davor zu haben zu erkranken, wenn er nicht privat versichert ist
Die Bundesrepublik verfügt über unvorstellbare Summen an Geld, und sie könnte noch mehr haben, wenn diejenigen zahlen würden, die es jetzt nicht tun, weil sie es nicht müssen. Wenn das Gefühl da ist, dass Vater Staat sich kümmert, werden nur wenige Wochen vergehen, und der Pegidaanhänger in Dresden steht alleine mit seinem Fähnchen in der Gegend rum und wird belächelt.

Redet über die Zeit von 1918-1933! Jetzt, und macht es anders und diesmal richtig. Und, liebe Linke, versucht ein erstes Mal in der Geschichte, euch nicht darüber zu zerfleischen, wie laut man das rufen soll. Macht es einfach, zusammen.
Schaut nach Portugal, dort kann man sehen, wie es geht. Wie man mit Sozialdemokratie und linken Idealen dem Neokapitalismus und dem Faschismus begegnet.

Geschichte ist kein Fach um die Abiturnote aufzuhübschen. Man soll sie nicht lernen, sondern daraus lernen.
Dann wird es vielleicht doch noch was mit „Nie wieder“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dirk van Uden

50 Jahre, Vater, Großvater, IT Fachkraft

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden