Besser als ihr Ruf?

Die aktuelle GroKo-Studie Eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Große Koalition bereits mehr als 60 Prozent ihrer insgesamt 296 Koalitionsversprechen umgesetzt oder angepackt hat.

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In der Einleitung zu dieser Studie heißt es: "Das weist auf eine rekordverdächtige Halbzeitbilanz der amtierenden Bundesregierung hin. Gleichzeitig glauben nur noch zehn Prozent aller Menschen, dass Parteien und Regierungen ihre Versprechen auch einlösen.“

Diese Bertelsmann Studie stützt sich einerseits auf die Koalitionsvereinbarungen und andererseits auf eine Umfrage des Institut für Demoskopie Allensbach vom 1. bis 12. Juni 2019. Befragt wurden mündlich-persönlich insgesamt 1273 Personen ab 16 Jahren. "Die Ergebnisse sind damit repräsentativ für die Gesamtbevölkerung in Deutschland" - so die diesbezügliche Feststellung (im Quellenverweis) zur Relevanz dieser Studie.

Diese Studie bedarf einiger kritischer Anmerkungen, um diese positive Sicht zu relativieren bzw. gar als nicht relevant zu bewerten.

Das o.a. Ergebnis ist gut und hilfreich für die GroKo-Befürworter – und kommt gerade zur rechten Zeit, um den Groko-Gegnern, vor allem in der SPD, das Wasser abzugraben.

Die Studie hat offensichtlich einen eklatanten Mangel, nämlich den, dass die vorliegende Untersuchung bezüglich der Umsetzung der Einzelversprechen der GroKo-Partner im Koalitionsvertrag, nicht nach politischem Gewicht, sondern als gleichwertig erfasst werden. So z.B. besitzt das Testen neuer Verfahren für einen besseren Lärmschutz rein arithmetisch in der Studie den gleichen Stellenwert wie Beschlüsse zum Solidaritätszuschlag oder zur Rüstung, was ja noch aussteht. Ich zitiere aus dem GroKo-Vertrag: „Abrüstung und restriktive Rüstungsexportpolitik: Rüstungskontrolle und Abrüstung (!) bleiben prioritäre Ziele deutscher Außen-und Sicherheitspolitik. Wir wollen ein neues konventionelles und nukleares Wettrüsten auf unserem Kontinent vermeiden. Deutschland wird deshalb neue Initiativen für Rüstungskontrolle und Abrüstung ergreifen.“

Ebenso ist zu beachten, dass nur 43% aller Koalitionsversprechen als „voll erfüllt“ ermittelt wurden – und mit den „4% teilweise erfüllt“ und den „14% im Prozess“ zusammen ergeben sich die w.o. zitierten „mehr als 60% ihrer 296 Koalitionsversprechen wurden umgesetzt oder angepackt“ . Sehr geschickt formuliert, aber es trifft nicht, was ermittelt wurde. „Teilweise erfüllt“ und „im Prozess“ sind keine Aussagen, die im Sinne dieser inszenierten Jubelpackung so einfach positiv interpretiert werden können. Und „mehr als 60 Prozent“ klingt auch nicht angemessen, wenn es um exakt 61% geht. Das ist von meiner Seite aus sicherlich keine Korinthenkackerei, sondern soll diese Jubelsprache verdeutlichen.

Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Bertelsmann Stiftung keinesfalls unabhängige Wissenschaft betreibt, sondern eine Lobbyorganisation ist.

Gegründet von Reinhard Mohn, weil er eine Steuerlücke suchte, und die Bertelsmann Stiftung mit staatlicher Unterstützung aufbaute. Gewinne blieben im Unternehmen, nämlich in der Stiftung – nahezu steuerfrei!

Die Bertelsmann Stiftung wurde 1977 gegründet und ist eine operative Unternehmensstiftung. Sie vergibt kein Geld an Dritte, sondern fördert ausschließlich eigene Projekte, Studien und Reformvorhaben.

Alles, was dem Konzept des Neoliberalismus entspricht, also Sozialabbau, Privatisierung und Deregulierung, wurde und wird von der Stiftung durch „Studien“ unterstützt und gefördert. Ob Agenda 2010, Studiengebühren, EU-USA-Freihandelsabkommen, Deregulierung für das Privatfernsehen oder Gesundheitspolitik: Bei allen großen Politprojekten mischt die Stiftung mit und macht Politik. Und wird bzw. wurde dabei von den Leitmedien nahezu kritiklos unterstützt. Hierzu nur 3 Namen: Peter Frey, Chefredakteur des ZDF, Klaus-Peter Siegloch, ehemaliger stellv. Chefredakteur des ZDF und Moderator des „heute-journals“, Dieter Stolte, ehemaliger ZDF-Intendant.

Dies Alles in die Kritik an dieser Studie mit einbeziehend, komme ich zur These, dass „Besser als ihr Ruf“ ein deutliches Signal ist, dass die tendenziell neoliberale GroKo mit dieser Studie Rückenwind bekommen soll.

Die Lücke zwischen den realen, politisch schwerwiegenden „Erfolgen“der GroKo und der Zustimmung der Bürger ist mit Sicherheit nicht so groß, wie die 43 zu 10 Prozent vermuten lassen – auch weil zu vermuten ist, dass in den 127 erfüllten Einzelversprechen (43%) auch viele nicht besonders relevante, selbstverständliche mit dabei waren. Es kommt jetzt nicht darauf an - aus der Sicht einer eigenständigen SPD, die ihrem Namen gemäß Politik macht, vielleicht demnächst in der Opposition - die "GroKo-Politik besser zu verkaufen", wie Herr Brinkhaus, der Fraktionsvorsitzende der CDU, meint, sondern, daran zu arbeiten, dass viel mehr Menschen - als 10% - die Politiker für glaubwürdig halten, indem sie zu ihren Versprechungen und politischen Zielen stehen! Und das geht, auf die SPD bezogen, in der Opposition oder in einer RRG-Koalition sehr wahrscheinlich besser!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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