Kevin Kühnert und die SPD

Kühnert unter Beschuss Sozialistische Ideen und Kritik am neoliberalen Kapitalismus sind offenbar - zumindest bei vielen Politikern der etablierten Parteien - unerwünscht.

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Ein Shitstorm ergießt sich über Kevin Kühnert

Mit der Bösartigkeit und Heftigkeit der Kritik – auch von Seiten der SPD - an seinen „sozialistischen Überlegungen“, die er in einem Zeit-Interview hinausposaunte, hat er vermutlich nicht gerechnet:

BMW kollektivieren, Immobilienbesitz beschränken! Das kann und darf doch nicht sein, so schallt es ihm entgegen.

Hier einige Beispiele:

  • Markus Söder forderte die SPD-Spitze und insbesondere Bundesfinanzminister Olaf Scholz auf, den Sozialismus-Thesen von Juso-Chef Kevin Kühnert entgegenzutreten, etwa bei der Erarbeitung der Reform der Grundsteuer; denn hier könne der SPD-Vizekanzler ein klares Signal gegen Sozialismus setzen, "um zu beweisen, dass die SPD nicht sozialistisch denkt“.
  • Ähnlich hatte sich der CSU-Generalsekretär Markus Blume geäußert. "Die SPD-Spitze muss sich deutlich von solchen Hirngespinsten distanzieren"; denn "die systemverändernden Sozialismus-Fantasien ihres Juso-Vorsitzenden" seien ein schwerer Rückfall der Sozialdemokraten in klassenkämpferische Zeiten. "Mit solchen Vorstößen macht sich die SPD lächerlich und verunsichert gleichzeitig diejenigen, die Wohnraum schaffen wollten." Blume empfahl Kühnert, doch besser in die Linkspartei einzutreten, denn "mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen und kann eine Regierung nicht funktionieren".
  • CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in der Bild-Zeitung: "Zum Glück haben wir den Sozialismus überwunden, bei dem zwar alle gleich, aber alle gleich arm waren. Die Forderung, Betriebe wie BMW zu kollektivieren, zeigt das rückwärtsgewandte und verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten. Das kann ich alles gar nicht ernst nehmen."
  • Der stellvertretende CDU-Chef Thomas Strobl wunderte sich darüber, dass "30 Jahre nach dem Niedergang der DDR die Linken wieder den demokratischen Sozialismus" wollten.
  • die neue FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg empfahl ihm, das Godesberger Programm zu lesen – statt Karl Marx. Und: "Die SPD muss dringend ihr Verhältnis zum Eigentum klären".
  • AfD-Fraktionschefin Alice Weidel fürchtet gar eine "Vernichtung von Volksvermögen, Verarmung der breiten Masse und Wohlstand nur für die Partei-Nomenklatura", sollte sich Kühnert mit seinen Vorstellungen durchsetzen. Der Juso-Vorsitzende träume offensichtlich von einer Neuauflage der DDR.
  • Der Hof-Kabarettist Nuhr diffamierte ihn als „pausbäckiger Studienabbrecher“, der nichts von Demokratie verstehe, weil er kein Experte sondern ein Ungelernter sei, der nichts von der Welt kenne, außer seinen Parteiapparat.

Soweit die unqualifizierten, erwartbaren Reaktionen jenseits der SPD.

Besonders gravierend empfinde ich jedoch einige Stellungnahmen durch eigene „Genossen“; so zum Beispiel:

  • Johannes Kars, Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD: „Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein".
  • Generalsekretär Lars Klingbeil lies verlauten, Kühnert spreche in dem ZEIT-Interview über "gesellschaftliche Utopien", die nicht seine seien und auch "keine Forderung der SPD".
  • Andrea Nahles kommentierte seine Thesen wie folgt:"Ich finde die Antworten, die Kevin Kühnert gibt, falsch"
  • Siegmar Gabriel der Exparteichef und -Außenminister: „100 Jahre empirisch gesicherte Erfahrung mit staatlich gelenkten Volkswirtschaften haben gelehrt, dass sie wegen mangelnder Effizienz und Qualität bankrottgehen und zudem auch für die soziale Verelendung ihrer Beschäftigten sorgen. Aber das ignoriert Kühnert.“ Und: „trotz seines abgebrochenen Studiums der Kommunikationswissenschaften (beherrsche er ) die Regeln des hektischen politischen Medienbetriebs offenbar nahezu perfekt; (…) wo die Halbwertszeiten der politischen Themen immer kürzer werden und sich die durchs Dorf getriebenen Säue gegenseitig überholen, muss man einfach mal die ‚Systemfrage stellen‘. Das ist übrigens die Methode Donald Trump“
  • der BMW-Betriebsratschef Manfred Schoch meinte gar, die SPD ist „für Arbeiter deutscher Unternehmen nicht mehr wählbar“.

Keiner dieser Kritiker beachtet die Vorgaben des Grundgesetzes und das Hamburger Programm der SPD!

An die Adresse der C-Parteien möchte ich darauf hinweisen, dass auch in ihrem Lager sozialistische und zeitübergreifende(!) Ideen vertreten wurden, insbesondere von Jakob Kaiser und Karl Arnold bzw. im Ahlener Programm der CDU. Hierzu ein Zitat: Es bedarf „eines Neubaus unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung von Grund auf. Und zwar eines Neubaus, dessen Wesensmerkmal das Soziale ist“ Das bürgerliche Zeitalter ist zu Ende und es wird abgelöst „durch das Zeitalter des werktätigen Volkes, durch das Zeitalter sozialistischer Lebensgestaltung“ Erst eine solche Ordnung kann als „wahre Demokratie“ bezeichnet werden und wahre Demokratie ist nichts anderes als Sozialismus. (siehe hierzu. Tilman Mayer (Hg) Jakob Kaiser, Gewerkschafter und Patriot, Köln 1988, S 22, 215, 216, 250ff und Eberhard Schmidt, Die verhinderte Neuordnung 1945-1952, Ffm 1973, S 68).

Das Grundgesetz und Vergesellschaftungen

  • Das GG deckt Kevin Kühnerts Thesen; in den Artikeln 14 und 15 heißt es:

Artikel 14: (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen

3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. …

Artikel 15: Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden….

Das Hamburger Programm von 2007

Das Hamburger Programm der SPD unterstützt unmissverständlich Kühnerts Thesen. Hierzu einige Zitate:

  1. Vorwort vom damaligen Parteivorsitzenden Kurt Beck: (……) „Das Hamburger Programm wiederlegt diejenigen, die glaubten, das Programm müsse zum Feind der Praxis werden – oder andersherum, die Regierungsverantwortung lasse nur reinen Pragmatismus zu. Das neue sozialdemokratische Grundsatzprogramm enthält handfeste Positionen, klare Orientierungen und nachprüfbare Handlungsaufträge“…
  2. Die SPD versteht sich als „linke Volkspartei, die ihre Wurzeln in Judentum und Christentum, Humanismus und Aufklärung, marxistischer Gesellschaftsanalyse und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung hat. Die linke Volkspartei verdankt wichtige Impulse der Frauenbewegung und den neuen sozialen Bewegungen“……
  3. (…) „Gerechtigkeit (erfordert) mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Macht. Denn große Ungleichheiten in der Verteilung gefährden die Gleichheit der Lebenschancen. Deswegen ist die soziale Demokratie notwendig“…
  4. (…) Unsere Geschichte ist geprägt von der Idee des demokratischen Sozialismus, einer Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der unsere Grundwerte verwirklicht sind. Sie verlangt eine Ordnung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, in der die bürgerlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte für alle Menschen garantiert sind, alle Menschen ein Leben ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt, also in sozialer und menschlicher Sicherheit führen können. – Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierung der Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt. Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist.“

Fazit

Es ist der SPD von Herzen zu wünschen, dass sie sich daran erinnert und orientiert(!) - im politischen Alltag!

Frau Nahles, Herr Kars, Herr Klingbeil und Herr Gabriel kennen offenbar ihr eignes Parteiprogramm nicht, oder ignorieren es.

Im Gegensatz zu Herrn Schoch (Betriebsrat bei BMW) gehe ich davon aus, dass das Beharren auf sozialistischen Ideen - im Sinne des Grundgesetzes und des Hamburger Programms – die SPD für viele Wählerinnen und Wähler erheblich attraktiver machen und so Anlass zur Hoffnung geben würde, dass diese Partei wieder eine Perspektive hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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