Minderheitsregierung als Chance

Parteienverdrossenheit Der Dissens in der GroKo ist unübersehbar – ob Maaßen, Seehofer oder der mögliche Militäreinsatz in Syrien. Die 3 beteiligten Parteien verlieren dramatisch an Zustimmung

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Immer mehr enttäuschte Bürgerinnen und Bürger wählen die AFD.

Sehr oft wohl nicht, weil sie mit dem realen Anliegen der AFD völlig konform gehen, sondern weil sie ihren Protest gegen die etablierten Parteien damit dokumentieren wollen. Die Wurzeln dieser Enttäuschung liegen in der Einschätzung, dass sich die Parteien immer mehr annähern, in ihrer Fixierung auf das neoliberale Credo: Deregulierung, Sozialabbau, Privatisierung. Zu Lasten des Mittelstandes und der Armen. Wobei die Armut, individuell und bezüglich der staatlichen Leistungen, zunimmt. Z.B. im Alter, durch Hartz 4, durch prekäre Arbeitsverhältnisse, befristete Beschäftigungen, unzureichende Versorgung im Pflegebereich, Lehrermangel, nicht genügend gepflegte, gewartete und entwickelte Infrastruktur.

Unübersehbar ist auch das immer weitere auseinanderklaffen zwischen Arm und Reich.

Die auftretenden sichtbaren Konflikte zwischen den vielen engagierten Menschen und "ihrer" GroKo-Regierung verdeutlichen auch, wie sehr die Menschen mitdenken, mitfühlen, mitstreiten – und auf Veränderungen hoffen!

Die GroKo ist extrem unbeliebt und daher ein Auslaufmodell.

Die Parteienverdrossenheit, die Unzufriedenheit, die Stärkung des fremden- , menschen – und demokratiefeindlichen rechten Lagers kann – und muss - durch eine Zäsur gestoppt werden: die Beendigung der GroKo und die Etablierung einer Minderheitsregierung.

Das GG liefert hierzu die notwendigen Vorgaben.

Der/die Bundeskanzler/in kann durch Antrag überprüfen lassen (Misstrauensvotum), ob er/sie noch die Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hat. Erreicht er/sie nicht die erforderliche Zustimmung - was zu erwarten ist , wenn die SPD das vorzeitige Ende der GroKo will - gibt es drei Möglichkeiten:

  • Er/sie kann beispielsweise versuchen, als Bundeskanzler/in einer Minderheitsregierung weiterzuarbeiten. Ebenso kann er/sie versuchen, durch Wechsel des Koalitionspartners oder durch Hinzunahme eines weiteren Partners eine neue Regierung mit einer tragfähigen Mehrheit zu bilden. Ferner kann er/sie zurücktreten; wobei die beiden letzten Möglichkeiten nicht von einer negativen Beantwortung der Vertrauensfrage abhängig, vielmehr stehen sie ihm/ihr zu jedem beliebigen Zeitpunkt offen.
  • Die zweite Möglichkeit des/der Bundeskanzlers/in ist, den Bundespräsidenten um die Auflösung des Bundestages zu bitten. Dem Bundespräsidenten werden in diesem Falle wichtige politische Rechte übertragen, die er nur in solchen Ausnahmesituationen ausüben kann. Er hat die Möglichkeit, dem Ersuchen des Bundeskanzlers nachzugeben oder das Ersuchen abzulehnen. Die Auflösung des Bundestags muss binnen einundzwanzig Tagen erfolgen.
  • Die dritte Möglichkeit, die sich für den/die Bundeskanzler/in ergibt, ist die Beantragung des Gesetzgebungsnotstandes beim Bundespräsidenten. Um den Gesetzgebungsnotstand zu erklären, ist der Bundespräsident auf die Zustimmung eines vierten Verfassungsorgans, des Bundesrats, angewiesen.

Plädoyer für eine Minderheitsregierung

unter der Kanzlerin Merkel

weil:

  • Es genügend funktionierende Vorbilder gab und gibt: das Europäische Parlament, Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen und die Minderheitsregierung von Reinhard Höppner (SPD) in Sachsen-Anhalt, die sogar acht Jahre Bestand hatte.
  • Die politische Kultur in einem solchen Parlament wesentlich besser ist, als in koalitionszementierten Parlamenten: es gibt keine festgemauerten Mehrheiten und Minderheiten. Jede Partei kann mal bei der Mehrheit, mal bei der Minderheit sein. Die Abgeordneten können nach ihrem Gewissen und ihrer Überzeugung agieren und abstimmen. Das bringt eine erfrischende Dynamik und gute Ergebnisse. Es gibt keine Blockaden durch Fraktions- und Koalitionszwang. Man/frau muss nicht nein sagen, nur weil eine Idee von einer anderen Partei kommt.
  • Diese Parlamente durchaus entscheidungsfähig sind, auch mit wechselnden Mehrheiten. Es gibt immer wieder neue Koalitionen anhand großer Themen und Sachfragen, nicht entlang festgefügter Parteigrenzen. Z.B. in der Klimapolitik bilden sich vermutlich Mehrheiten für eine ambitionierte Position quer durch die Parteien SPD, GRÜNE, LINKE, CDU. Oder in Fragen der Wirtschafts- , der Sozial- und Friedenspolitik gibt es vermutlich eine klare Rechts-links-Teilung. Da stimmen Sozialdemokraten, Grüne und Linke meist gegen das Lager Mitte-Rechts (CDU, CSU, FDP, AFD)
  • Minderheitsregierungen sind gut für die Demokratie. Auch weil die jeweilige Regierung im Parlament energischer für ihre Ziele kämpfen muss. Dadurch wird die politische Auseinandersetzung lebendiger und vielfältiger. Und: den Rechten wird dadurch das Wasser abgegraben.
  • Letztendlich bietet sich auch die Möglichkeit einer Volksabstimmung an; immer dann, wenn es parlamentarisch unmöglich erscheint, zu einem stabilen Mehrheitsbeschluss zu kommen. Auch das wäre ein Gewinn in Richtung mehr Demokratie!
  • Sofortige Neuwahlen wären nicht notwendig, die Bundesrepublik Deutschland könnte so mehr Demokratie wagen, und den Wähler/die Wählerin erst zum Ende der regulären Legislatur 2021 wieder an die Wahlurne bitten.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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