Was nun, liebe SPD?

Neustart Man kann es wieder hören: Kritik ist angekommen, wir haben verstanden, wir müssen unser Profil schärfen, wir müssen uns neu aufstellen……

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Bei diesen Ankündigungen und Versprechungen darf es diesmal nicht bleiben: wenn jetzt nicht ein Erneuerungsprozess (!) stattfindet, verschwindet diese einst so stolze und erfolgreiche Partei im Nirwana!

Und da muss zunächst über die Ursachen der eklatanten Wähler/innen-Verluste parteiintern und gerne auch parteiübergreifend diskutiert werden.

Die taz z.B. meint dazu „Schämt euch, Wähler!“ (am 4.6.2019) , ihr seid undankbar und wählt nicht mehr die SPD, obwohl sie schon viel für euch getan hat - so die implizite logische Ergänzung.

Die Quintessenz dieses Artikels: Nicht die neoliberale Wende (seit Schröder) und die wenig bewusste Umweltpolitik unter Helmut Schmidt, oder die Machtgeilheit eines Müntefering ( „Opposition ist Mist“) sind die Ursachen für den Absturz der SPD, sondern die Wähler sind schuld, weil sie undankbar sind und nicht erkennen, wie gut es die SPD mit ihnen gemeint hat. Die Autorin, Frau Dribbusch, wagt dazu einen Blick in die Geschichte – und konstatiert: „Frauenwahlrecht, Bildungsreform, Tarifrecht, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gehen zu großen Teilen auf das Konto der SPD“. Aber genau hier liegt das Problem: die Autorin übersieht, dass dies so war (!) und dass es aber nicht mehr so - vor allem bezogen auf eine arbeitnehmerfreundliche Politik - weiterging!

Hierzu einige Fakten

  • 1972 mit Willy Brandt, ihrem größten Sympathieträger, erreichte die SPD das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte: 45,8 Prozent. Und dies mit den klassischen sozialdemokratischen Zielen: demokratischer Sozialismus, soziale Gerechtigkeit, Frieden in der Welt durch engagierte Diplomatie und Umweltschutz: „Erschreckende Untersuchungsergebnisse zeigen, dass im Zusammenhang mit der Verschmutzung von Luft und Wasser eine Zunahme von Leukämie, Krebs, Rachitis und Blutbildveränderungen sogar schon bei Kindern festzustellen ist. Es ist bestürzend, dass diese Gemeinschaftsaufgabe, bei der es um die Gesundheit von Millionen Menschen geht, bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden! “ Brandt gilt damit als der erste Politiker in Deutschland, der die Umweltpolitik als wichtiges Thema erkannte und propagierte.
  • 1983 fiel die SPD unter 40 Prozent, weil die Grünen, die es nun gab, 5,6 Prozent holten. „Helmut Schmidt, Landespolitiker wie Holger Börner und Johannes Rau, betonköpfige Gewerkschafter und die alten Machos der Partei hatten Umwelt, Natur und Frauenrechte für Spinnerthemen und die Grünen für eine kurzlebige Sekte gehalten“.(Christian Nürnberger am 2.6.2019 in: Nürnberger Nachrichten)
  • Die neoliberale Agendapolitik von Gerhard Schröder trieb viele SPD-Anhänger zur Linkspartei; oder ins Lager der Nichtwähler, sodass die SPD 2005 auf 34 Prozent sank - zugunsten vor allem von Grünen und Linken, die zusammen fast 17 Prozent erreichten.
  • Die Großen Koalitionen führten zu einem weiteren Absturz; wie die Wahl von 2017 verdeutlicht: 20,5 % für die SPD. Dieser Wert wurde bei der Europawahl gar noch unterboten, mit 15.8%. Dies sicherlich als Quittung für ein erneutes hereinstolpern in eine GroKo (wobei der Bundespräsident in zu kritisierender Weise die Geburtshelferschaft betrieb), wo sie dann von der CDU kaum mehr zu unterscheiden war bzw. ist.
  • Die SPD hat keine Strategie, keine erkennbare Zielsetzung mehr, außer dem, in der GroKo-Regierung weiter zu arbeiten – und ab und zu links zu blinken und dann doch rechts abzubiegen. Besonders deutlich betreiben dies Scholz und Maas, der gar de fakto die aggressive und völkerrechtswidrige Trumpsche Außenpolitik unterstützte (z.B. auf Bolivien bezogen) und sich als kalter Krieger profilierte.

Es fehlte das Interesse, von Seiten der häufig wechselnden Führung, der Partei, den Rahmen und die Zeit zu geben, genuin sozialdemokratische Konzepte zu entwickeln, die der aktuellen Situation Rechnung trugen. Und die, die es einforderten, waren sehr schnell isoliert und verließen die SPD, wie z.B. Oskar Lafontaine, der auch entscheidend an der Gründung der Linken beteiligt war.

Die Wähler/innen bzw. die Bürger/innen

  • erleben statt dessen den Siegeszug des Neoliberalismus, wobei die Regierung scheinbar hilflos mitschwimmt: Privatisierung, Deregulierung und Sozialabbau werden betrieben - und die SPD setzt dem wenig entgegen;
  • erfahren so, dass sich das bewahrheitet, was 1998 auf einer Frankfurter Party der damalige Dresdner-Bank-Vorstand Ernst-Moritz Lipp sagte: „Deutschland ist ein Super-Tanker, und im Führer-Häuschen sitzt nicht der Bundeskanzler, sondern da sitzen die Leute, die hier auf dem Podium sind!“ Dies auf einer Feier, bei der 500 Finanzstrategen mit Topleuten aus der Wirtschaft zusammen kamen.

Der Ökonom und Nobelpreisträger Josef E. Stiglitz bringt die Problematik, wie folgt auf den Punkt: „Die aktuelle Situation haben wir dem ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und der früheren britischen Premierministerin Margret Thatcher zu verdanken. Die Grundlage für die neoliberalen Reformen der 1980er Jahre bildete die Vorstellung, dass ungezügelte Märkte durch einen geheimnisvollen Sickereffekt von oben nach unten allen Wohlstand bringen würden. Man sagte uns, eine Senkung der Steuersätze für Reiche sowie Finanzialisierung und Globalisierung würden einen höheren Lebensstandard für alle mit sich bringen.“ - Dass dies nicht eingetroffen ist, weiß nicht nur Professor Stiglitz.

Darauf muss die SPD nun reagieren, muss Antworten und Strategien entwickeln. Das läuft darauf hinaus, dass sie konzeptionell arbeitet, das programmatische Ziel „demokratischer Sozialismus“ in den Fokus nimmt und daraus politische Schritte ableitet. Ein baldiger Ausstieg aus der GroKo ist dazu zwingend notwendig! - Denn:

Die SPD hat sich nach den verlorenen Wahlen einen Erneuerungskurs verordnet. Dies sowohl 2017 als auch jetzt nach der Europawahl. Bei einer Regierungsbeteiligung ist dies nicht möglich, weil die Unterstützung der eigenen Regierungsmitglieder bisher wichtiger war und ist, als die parteiinternen Diskussionen. Programmtisch weitergehende Ideen und Ziele ("demokratischer Sozialismus") werden so zugunsten des Regierungshandelns unterdrückt, um sich am Machbaren, d.h. dem Kompromiss mit der CDU/CSU zu orientieren.

Bei der notwendigen Besinnung und Neuorientierung genügt es selbstverständlich nicht, wozu die SPD bisher einzig imstande war, ihre Vorsitzenden auszuwechseln!

Es braucht erst eine theoretische Basis und dann dazu die passenden Führungspersönlichkeiten. Und Mut zur Opposition. Wer meint, in der zeitweiligen Opposition kann kein Einfluss mehr genommen werden, der irrt. Zwei Beispiele dazu:

- Die Bismarksche Sozialpolitik ist ausschließlich das Ergebnis einer starken SPD in der Opposition;

- Das, wenn auch zögerliche, Anlaufen (!) einer Klimaschutzpolitik ist vor allem der starken Oppositionspartei Die Grünen zu verdanken, die mit FridaysForFutore zusammen extrem wirkungsvoll sind! Auch hier darf die SPD nicht den Anschluss verlieren.

Dazu müsste sich die Partei, nicht nur für neue Ideen, sondern auch öffnen für Quereinsteiger und Sympathieträger von außerhalb der Politik. (Warum keine Philosophen, die nach Platon die geeigneten Menschen sind, um eine politische Führerschaft zu übernehmen?)

Die Bereitschaft der Partei-Funktionäre, der Amtsträger und der Parlamentarier Quereinsteigern Platz zu machen ist dazu eine wichtige Voraussetzung, die erkämpft werden muss - vor allem auch gegen den Widerstand der mächtigen "Seeheimer", die es immer wieder verstanden, das Schiff auf neoliberalem Kurs zu halten. Es geht dabei um Posten und Pfründe, also um Parteimitglieder, denen die eigene Karriere wichtiger ist, als eine programmatische Erneuerung! Aber auch diesen "Genossen"wird hoffentlich klar werden, dass Gorbatschow recht hatte, als er sagte "wer zu spät kommt, den bestraft das Leben"!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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