Kino Die neue Komödie „Freibad“ der preisgekrönten Regisseurin Doris Dörrie spielt in einem reinen Frauenfreibad. Ein Gespräch mit den beiden Schauspielerinnen Sema Poyraz und Semra Uysallar über Konflikte, Besetzungspolitik und die Dreharbeiten
Fast ist er vorbei, der Sommer. Aber Doris Dörrie nimmt uns noch einmal mit ins Freibad: Ihre so betitelte Komödie über Spannungen in einem reinem Frauenfreibad startet am 1. September bundesweit in den Kinos. Die Schauspielerinnen und Schwestern Sema Poyraz und Semra Uysallar spielen in Freibad ältere türkische Frauen und sprechen über das Kopftuch, Klischees und Konflikte.
der Freitag:Frau Poyraz, Frau Uysallar, „Freibad“ verhandelt das Frausein in einem reinen Frauenbad. Sie spielen die klassischen Rollen für türkeistämmige Schauspielerinnen: Frauen mit Kopftuch. Wie war denn Ihre erste Reaktion auf das Drehbuch?
Sema Poyraz: Ich wurde angefragt und habe gesagt: Mach ich nicht. Ich möchte keine Frau mit Kopftuch spielen. Gerade
efragt und habe gesagt: Mach ich nicht. Ich möchte keine Frau mit Kopftuch spielen. Gerade im deutschen Fernsehen bekam ich viel Geld, musste das Kopftuch aufsetzen und durch das Bild laufen. Ein paar Mal habe ich mich in mehreren Produktionen mit den Regieassistenten angelegt. Weil sie darauf bestanden haben, dass ich noch den einen Satz sagen muss. Und ich beharrte, dass ich diesen Satz bereits gesagt habe. In fast allen Serien sage ich ähnliche Sätze, als Mutter oder Großmutter mit Kopftuch. Und weiß gar nicht, ob ich diesen Satz in der aktuellen Produktion schon gesprochen habe oder nicht.Wie hat Doris Dörrie Sie dann überredet?Poyraz: Ich war in Hamburg bei Dreharbeiten, der Produzent hat mich täglich angerufen. Ich habe abgewunken: keine Kopftuchfrauen mehr. Dann rief mich Doris Dörrie an. Meine Freundin und meine Schwester meinten: Du kannst ihr doch nicht absagen! Wenn ich die Figur so spielen darf, wie ich sie mir vorstelle, dann sage ich zu. Unsere Großmutter, Hayriye hanım, nahm ich als Vorbild: Sie hat ihr Kopftuch nie abgelegt, aber war nicht streng religiös. Sie trug das Kopftuch eher aus Gewohnheit.Semra Uysallar: Obwohl unser Großvater, also ihr Mann, ihr sagte, du kannst es ablegen, wegen Atatürk und der neuen Kleidervorschriften.Poyraz: Nein, sie wollte es tragen. Sie rauchte drei Packungen Zigaretten am Tag und hat Raki gesoffen, auch mal ein Likörchen und Wein. Und ich meinte, wenn ich so eine Figur spiele, also mit Kopftuch, die rauchende und saufende Großmutter, dann bin ich dabei. Und Doris Dörrie meinte: Klasse, machen wir.Wie kamen Sie zu Ihrer Rolle, Frau Uysallar?Poyraz: Die Produktion hat mich gefragt, weil sie noch zwei, drei türkische Frauenrollen mit Schauspielerinnen besetzen wollten. Und ich habe meine Schwester vorgeschlagen, sie hat ja im Gegensatz zu mir Schauspiel studiert. Hat aber lange ausgesetzt …Uysallar: … wegen der üblichen Kopftuchrollen. Als ich jünger war, habe ich sehr viel ohne Kopftuch gespielt, bis 2001 etwa. Ich habe einfach keine Lust mehr gehabt.Poyraz: Es ist doch so: Was kriegst du für Rollen als türkeistämmige Schauspielerin? Damals waren die Aufträge auch nicht so gut bezahlt und sie hat ja einen ganz tollen Beruf.Uysallar: Ich bin Übersetzerin, ich musste was Anständiges lernen. Ich habe in Semas DFFB-Abschlussfilm Gölge eine Hauptrolle gespielt und davor schon als Jugendliche Theater. Nachdem ihr Abschlussfilm sogar in der Variety besprochen wurde, ging es weiter. In Vorabendserien wie Drei Damen vom Grill, Schwarz greift ein oder Praxis Bülowbogen habe ich mitgespielt. Den nichtdeutschen Regisseuren konnte ich das Kopftuch immer ausreden.Poyraz: In den 1970ern und 1980ern , sogar Anfang der 1990er war das Kopftuch nicht das Problem. Aber mit der Re-Islamisierungswelle in der Türkei und in der Welt ...… vor allem nach 2001, nach dem Anschlag auf das World Trade Center, wollte man nur noch Stereotype sehen, oder?Poyraz: Ja, aber wir denken hier falsch. Weder die Produktion noch die Regisseure haben das verlangt. Das Straßenbild hat sich hier auch verändert. Das verlangen die Redaktionen in den TV-Produktionen.Uysallar: Was mich stört, ist: Ich spreche akzentfrei Deutsch und amerikanisches Englisch, Französisch und Spanisch kann ich auch. Mit dem türkischen Namen bist du abonniert auf das Klischee der türkischen Frau.Poyraz: Warum werde ich nie angefragt, wenn im Drehbuch steht: Pathologin, Ärztin, Verkäuferin? Ich werde nur gefragt, wenn da steht: „türkisch“. Ist doch scheiße, so was, oder? Nach 60 Jahren Migration aus der Türkei. Aber ich bin zu müde, um nach 60 Jahren weiterzukämpfen.Placeholder infobox-1Irgendwann wird man doch verbittert?Uysallar: Ja, natürlich.Poyraz: Deshalb wollte ich diese Rollen nicht mehr spielen. Zumindest nicht im Fernsehen. Kino ist was anderes.Also müsste sich etwas in den Redaktionen ändern, wenn es um TV-Produktionen geht?Poyraz: Natürlich, ich kenne kaum Redakteur*innen, die türkeistämmig sind.Uysallar: Ich weiß nicht, wie das mit dem Casting läuft, im Fernsehen ist das anders als bei Filmproduktionen. Beim Film hat der Regisseur das Sagen. Bei Fernsehproduktionen läuft das ganz anders. Ich hatte vorab eine Videokonferenz mit Doris Dörrie, wo sie sich mit mir über meine Rolle unterhalten hat. Ich sagte, Doris, das mache ich, wenn ich mein Kopftuch wie meine Oma tragen kann. Ein normales Kopftuch und das Dekolleté bleibt frei. Ist ja Hochsommer!Poyraz: Das konntest du aber nur mit Doris Dörrie besprechen, sie hat das angenommen ...Uysallar: Moment, Sema. Und meinen Nagellack konnte ich behalten. Wir haben erzählt, dass die Frauen in der Türkei süslü sind, also dass sie sehr auf sich achten. Doris Dörrie war sehr interessiert daran, das anzunehmen. Es ist ja auch ein wahrer Vorfall gewesen, nach dem das Drehbuch entstand.Genau, es gab vor einigen Jahren heftige Streitigkeiten in Freiburgs Frauenschwimmbad Loretto. Kennen Sie das Schwimmbad?Uysallar: Nein, das haben wir uns nicht angeguckt. Wir haben ja in der bayrischen Provinz gedreht, in einem echten, privaten Freibad.Wie verliefen die Dreharbeiten dort mit den vielen Kolleginnen?Uysallar: Ganz toll.Poyraz: Klasse! Maria Hapel, Andrea Sawatzki, Lisa Wagner. Solidarisch bis zum Gehtnichtmehr und so tolle Frauen!Uysallar: Wir waren sechs Wochen zusammen in einem Hotel in der Pampa und haben viel gefeiert.Im Film geht es aber nicht so harmonisch zu. Gleich zu Beginn des Films beurteilen Sie in Ihrer Rolle den Ganzkörperschwimmanzug Ihrer Enkelin und später die Niqab-Trägerinnen, die ins Bad kommen. Die beiden weißdeutschen Hauptrollen hadern mit ihrem Alter und kämpfen für die Befreiung der Frau, indem sie sich oben ohne zeigen. Nur Sie hadern nicht mit sich im Film. Sie thronen fast auf dieser kleinen Anhöhe im Freibad und rauchen genüsslich Ihre Zigarette, Frau Poyraz.Poyraz: Ah, das habe ich jetzt gar nicht so empfunden im Film, interessant. Aber das ist meine Erfahrung. Ich habe ja sehr lange Dokumentarfilme gedreht, auch zu vielen Frauenthemen, wo türkische Frauen sehr leicht über ihre Sexualität und ihren Körper sprechen konnten.Das Verhüllen und Zeigendes weiblichen Körpers sowie das Miteinander von verschiedenen Lebensentwürfen geschieht nicht ohne Konflikte. Was ist für Sie das Besondere an „Freibad“?Uysallar: Das Thema Einsamkeit, das, was die Rollen Eva und Gabi teilen, ältere Frauen, die eine lebenslange Freundschaft verbindet. Auch, wie sich die Gruppe der türkischen Frauen mit den beiden solidarisiert, weil sogar für die Frauen mit Kopftuch so eine Totalverhüllung unverständlich ist. Ich fand einfach gut, das zu zeigen, denn für die Frauen, also unsere Rollen, für die gibt es ja ein modernes Leben in der Türkei, auch mit dem Kopftuch.Poyraz: Nur, weil wir alle Ausländer sind, sind wir nicht gleich. Auch unter den Frauen unterschiedlicher Nationalitäten gibt es nun mal Vorurteile und Kämpfe. Allein schon, dass man das zeigt, ist für mich gut.Wann waren Sie das letzte Mal im Freibad?Uysallar: Vergangenes Jahr, beim Drehen. Ich mag kein Chlorwasser, ich schwimme am liebsten im Meer.Poyraz: Ins Freibad? Um Gottes Willen, lieber ans Meer.
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