Am 14. März wird in Spanien ein neues Parlament gewählt. Das Votum - so lassen sämtliche Umfragen erkennen - dürfte das Regierungsmandat der Volkspartei (PP) für weitere vier Jahre bestätigen. Die seit 1996 in die Opposition abgedrängten Sozialisten des PSOE hingegen werden gegen Mariano Rajoy, den designierten Nachfolger von Ministerpräsident Aznar, bestenfalls Boden gut machen. Dazu müsste es ihnen in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs allerdings gelingen, Spaniens Amerika hörige Politik und die autoritären Praktiken der Ära Aznar stärker als bisher in den Vordergrund zu stellen.
Kürzlich erwachte ich mit der Radiomeldung, die spanische Regierung habe zwei Kriegsschiffe nach Äquatorialafrika entsandt. Wie es hieß, zum Schutz des dortigen Machthabers Teodoro Obiang, doch seien die Fregatten wenig später wieder zurückgerufen worden - offenbar schien die imperiale Geste überzogen. Journalisten, die nachfragten, bekamen zur Antwort, es habe sich um einen Freundschaftsbesuch gehandelt, der aber sei wegen denkbarer Irritationen in Spanien unterbrochen worden. Eine höchst ungewöhnliche Sensibilität der Regierung des Premiers José Maria Aznar der öffentlichen Meinung gegenüber. Als sich vor genau einem Jahr über 80 Prozent der Spanier gegen eine Unterstützung des sich abzeichnenden Irak-Krieges wandten, war das völlig unerheblich. Wie konnten auch vier Fünftel der Bevölkerung ins Gewicht fallen, wenn sich der Regierungschef am Vorabend eines Krieges bei einem Dreier-Gipfel auf den Azoren neben George Bush und Tony Blair präsentieren durfte?
Warum viel von Aznar reden?
Worin besteht das Phänomen "Aznar" oder die "Aznarigkeit", wie es Manuel Vázquez Montalbán in einem seiner letzten Bücher nennt? Spaniens Ministerpräsident, so der Autor, werde von einem unüberwindbaren Minderwertigkeitskomplex gegenüber Felipe González, dem charismatischen Ex-Premier der Sozialistischen Partei (PSOE), getrieben. Daraus erklärt sich möglicherweise der trotzige Versuch Aznars, die Aura des Unsympathischen durch das Profil eines willensstarken politischen Führers zu ersetzen. Spätestens seit Franco geistert der furchterregende "Caudillo" als Archetyp durch das politische Unterbewusstsein Spaniens. Aznar leide als Reinkarnation dieses zweifelhaften Idols allerdings an einer Mutation ins Chaplineske - analysiert Montalbán weiter - unglücklicherweise nicht mit den Zügen Charlys, sondern seiner Tochter Geraldine.
Warum soviel von Aznar reden? Er geht ja und hat bereits seinen Nachfolger bestimmt, Mariano Rajoy, der - und dafür wird zur Zeit alles getan - am 14. März als neuer Premier abgesegnet werden soll. Noch vor einem Jahr hätte selbst die spanische Rechte keinen Euro mehr auf einen Wahlsieg des Partido Popular (PP) gewettet: Millionen von Bürgern waren wegen des kniefälligen Gehabes gegenüber den Amerikanern auf den Straßen, ein Minister trat aus Protest zurück. Gegen die Regierung artikulierte sich eine kämpferische und kohärente Sozialistische Partei (PSOE), die zusammen mit der Vereinigten Linken (IU) die öffentliche Debatte beherrschte. Der Rechten fiel nicht mehr ein, als sich einzubunkern und Aznars plumpe Lügen über die Unvermeidlichkeit eines Waffengangs gegen Bagdad als Zeichen von Prinzipientreue zu feiern.
Erstmals seit 1996 lag der PSOE in den Umfragen wieder vorn - dann jedoch begann eine konzertierte Demontage seines Vorsitzenden José Luis Rodríguez Zapatero durch die regierungstreuen Medien. Zunächst wurde die Solidarisierung mit dem "linken Pöbel auf der Straße" gerügt, dann ein Mangel an politischen Alternativen moniert. Leitmotiv der Kampagnen: Eine korrupte und Partikularinteressen bedienende Rechte ist für Spanien immer noch besser als eine unberechenbare Linke. Die entfachte Hysterie hinterließ Wirkung, nicht zuletzt bei den Sozialisten selbst. Mit ihrem Stimmungshoch war es endgültig vorbei, als nach den Regionalwahlen im Sommer 2003, die Mehrheit für eine Linksregierung in der Region Madrid bei der entscheidenden Abstimmung am Nein von zwei PSOE-Abgeordneten scheiterte. Eine Allianz der katalanischen Sozialistischen Partei mit der dortigen Republikanischen Linken zur Bildung einer Regionalregierung unter dem Sozialisten Maragall in Barcelona ermöglichte ein weiteres Drehen an der Angstschraube: Assoziationen mit der Volksfront und dem Jahr 1936 wurden in Umlauf gesetzt, als - nach rechter Lesart - das "zum Bürgerkrieg führende Chaos" ebenfalls in Katalonien seinen Ausgang nahm.
Inzwischen kann nur noch ein Wunder am 14. März einen neuerlichen Wahlsieg der Rechten und eine reibungslose Amtsübergabe von Aznar an den von ihm ausgewählten Nachfolger verhindern.
Demokratie niedriger Qualität
Wer in Deutschland die "Öffentlich-Rechtlichen" bisweilen als Hofberichterstatter geißelt, dem sei dringend geraten, zwei Tage lang die Nachrichten der spanischen Rundfunk- und Fernsehgesellschaft RTVE über sich ergehen zu lassen, um Hofberichterstattung in ihrer schamlosesten Variante zu erleben. Leider gibt es in Spanien kein wirkliches Gegengewicht, da sich die Privatmedien, besonders die überregionale Presse, mitunter ebenfalls in peinlicher Weise zum Sprachrohr der Regierung machen - allen voran die immer noch den spezifischen Geruch des Franco-Regimes ausströmende ABC und - noch abstoßender, weil plumper - eine regierungsnahe Neugründung, die sich ausgerechnet La Razón (Die Vernunft) nennt. Das einzige Korrektiv von Bedeutung bilden El País und die zum gleichen Unternehmen gehörende Rundfunkkette Cadena SER. Nur können auch sie die "Berlusconisierung" der Medien in den Farben Spaniens nicht aufhalten.
Um einige Beispiele dafür zu nennen, wie sich das vollzieht: Als die Ölpest Ende 2002 - infolge eines desaströsen Krisenmanagements nach der Havarie des Tankers Prestige - die schwer heimgesuchte Atlantikküste in eine einzige Horrorlandschaften zu verwandeln drohte, war es den staatlichen Medien verboten, den Begriff "Katastrophe" zu verwenden. Erst als die galizische Protestbewegung Nunca mas diese Manipulation reklamierte, tauchte das Wort plötzlich auf.
Oder: Die Präsenz spanischer Truppen im Irak wurde monatelang als "humanitärer Einsatz" herunter gespielt, bis in Bagdad das komplette Kommando der spanischen militärischen Aufklärung einem Anschlag zum Opfer fiel und die Medien mit ihrer bisherigen Sprachregelung in Erklärungsnot gerieten. Bis heute allerdings wurde nirgendwo die Behauptung zurückgenommenen, irakische Massenvernichtungswaffen (Aznar 2003: "Sie können ganz sicher sein: es gibt sie, ich sage Ihnen die Wahrheit") gefährdeten die nationale Sicherheit Spaniens.
Oder: Als ein katalanischer Politikers jahrelang durch den Geheimdienst CNI ausspioniert wurde und in einem Geheimgespräch Vertreter der baskischen ETA von der Sinnlosigkeit des bewaffneten Kampfes überzeugen wollte, wurde das umgehend der Zeitung ABC zugespielt. Der daraufhin eigentlich fällige Untersuchungsausschuss des Parlaments wurde abgeschmettert.
Das heißt aber nicht, dass die Regierung untätig wäre, wenn es um die Implementierung ihres autoritären "Demokratiemodells" geht. Aznar ließ in einem Schnellverfahren ein Parteienverbotsgesetz durchboxen, das auf die der ETA nahestehende Partei Herri Batasuna (HB) zugeschnitten ist, ohne irgendeine Grundsatzdebatte über Langzeitfolgen eines solchen Vorgehens für das demokratische System zu führen. Generalstaatsanwalt Jesús Cardenal, ein dienstbeflissenes Geschöpf der Regierung, hat nach dem Gesetzesbeschluss umgehend die Illegalisierung der HB in die Wege geleitet.
Aber damit war die Kriminalisierung des politischen Gegners noch nicht beendet: Ende 2003 - unter Umgehung des vorgeschriebenen parlamentarischen Verfahrens - wurde mit der absoluten Mehrheit des Partido Popular ein weiteres Gesetz in Kraft gesetzt, das sich gegen den Partido Nacionalista Vasco (PNV) richtet, eine konservative baskische Partei mit langer demokratischer Tradition. Sie hatte die Stirn, ein Referendum über die politische Zukunft des Baskenlandes zu organisieren (Plan Ibarretxe). Das neue Gesetz soll offenkundig eine solche Abstimmung verhindern, indem es deren öffentliche Befürworter mit langjährigen Haftstrafen bedroht. PSOE-Chef Zapatero untertreibt, wenn er von einer "Involution" der Demokratisierung Spaniens spricht oder von einer "Demokratie niedriger Qualität". Man könnte auch von einem reaktionären Schreckensszenario sprechen, wie es der einstige KP-Chef Santiago Carrillo tut.
Mit Terroristen im Boot
Inzwischen hat nun der Partido Popular einen Verbündeten mehr für das Finale seines Wahlkampfs gefunden, nämlich die ETA, die gerade in einem Kommuniqué mitteilte, dass sie auf dem Gebiet von Katalonien, wo - wie bereits erwähnt - ein Bündnis von Linksparteien regiert, keine terroristischen Anschläge mehr verüben werde. Das kam wie bestellt: Die Regierung in Madrid hatte das Kommuniqué innerhalb von Minuten in geradezu triumphierendem Ton aufgegriffen - als Beweis dafür, dass die Linke mit den Terroristen gemeinsame Sache mache, um Spanien in den Untergang zu treiben. Nur die Rechte könne das Vaterland retten.
Die Ökonomie 2002/2003 (Angaben in Prozent / in Klammern EU-Durchschnittswert)
Quelle: DIW Berlin
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