Seit Juni 2018, dem Sturz von Mariano Rajoy und seiner Rechtsregierung, also seit zweieinhalb Jahren, arbeitet sein „fortschrittlicher“ Nachfolger im Amt Pedro Sánchez ohne eigenen Haushalt. Er musste mit Verlängerungen des neoliberalen Sparhaushalts des letzten rechten Finanzministers Cristóbal Montoro über die Runden kommen. Schlechte Voraussetzungen, um seine ehrgeizigen Pläne einer anderen, „fortschrittlichen“ Politik umzusetzen. Sie blieben bisher Schall und Rauch.
Zwar gab es im Parlament eine Mehrheit zum Sturz der rechten und durch und durch korrupten Regierung von Mariano Rajoy. Die am Sturz beteiligten Parteien teilten aber nicht viel mehr als die Einsicht, dass es so nicht weitergehen konnte, dass dem Korruptionssumpf ein Ende gesetzt werden müsse. Es waren zwei Neuwahlen und langwierige Verhandlungen mit den vielen Kleinstparteien nötig, um den Interimspräsidenten Pedro Sánchez Anfang dieses Jahres mit relativer Mehrheit zum Präsidenten zu wählen: Er erhielt 167 Stimmen der 350 Abgeordneten bei 18 Enthaltungen. Den Ausschlag gab hierbei schließlich die für ein republikanisches Katalonien kämpfende Linkspartei Esquerra Republicana (ERC), die sich der Stimme enthielt.
Wegen des Hinausschiebens der von Pedro Sánchez versprochenen Gespräche über eine politische Lösung des Katalonienproblems nach der Verurteilung ihres Führers Oriol Junqueras zu einer langen Haftstrafe im Prozess gegen die Unabhängigkeitsbefürworter ließ die Bereitschaft der ERC zu Gesprächen mit der Regierung naturgemäß nach, und die Aussicht auf eine Wiederholung der relativen Mehrheit für die Verabschiedung eines Haushalts verflog. Die Kommunikation war abgerissen. Versuche, die Enthaltungen der ERC durch die der „rechtsliberalen“ Partei Ciudadanos zu ersetzen, scheiterten schon daran, dass zwischen Ciudadanos und der in Madrid mitregierenden Linkspartei Unidas Podemos eine „Erzfeindschaft“ besteht. Beide Parteien können sich buchstäblich nicht riechen. Selbst die Option, unter weitgehender Rücknahme der Reformprojekte die Duldung des Haushalts durch die Rechtspartei PP zu erreichen, war zeitweise im Gespräch.
Und dann, oh Wunder: Plötzlich gab Esquerra Republicana ihre Blockadehaltung auf, ja mehr noch, auch die baskische linksnationalistische Partei EH Bildu signalisierte Unterstützung, und am 3. Dezember wurde im spanischen Parlament abgestimmt. Mit einer absoluten Mehrheit von 188 Stimmen, 21 mehr als bei der Investitur von Pedro Sánchez, wurde der Haushalt verabschiedet.
Seitdem herrscht Aufruhr in der spanischen Parteienlandschaft, angefangen bei den Veteranen und regionalen „Baronen“ der sozialistischen Partei PSOE. Ihr „Übervater“ und Expräsident Felipe González sowie sein Kampfgefährte und ehemalige Vizepräsident Alfonso Guerra, beide chronisch verstört durch die politischen Veränderungen seit ihrer Zeit vor 25 Jahren, führen das Geschrei an. Das Akzeptieren der Stimmen nationalistischer Linksparteien wie EH Bildu und ERC sei ein Pakt mit dem Teufel, der teuer zu stehen kommen werde. Die regionalen Barone in Extremadura, Castilla la Mancha, Aragón und Andalusien sprechen vom Überschreiten einer roten Linie usw. Besonderes Entsetzen lösen die Stimmen von EH Bildu aus, eine Partei, die nach dem Ende der baskischen Terrororganisation ETA entstanden war. Dabei gehört EH Bildu inzwischen zur politischen Normalität im Baskenland, ist dort mit inzwischen 28 Prozent zweitstärkste Partei und stellt 117 Bürgermeister.
Politisch interessanter und relevanter ist der Aufruhr unter den zwei Rechtsparteien PP und Ciudadanos sowie der faschistischen Partei VOX. Dass VOX die „sozialkommunistische“ Regierung unter Pedro Sánchez als „Vaterlandsverräter“ beschimpft, überrascht nicht. Neu ist, dass sie in der Parlamentsdebatte PP und Ciudadanos, ihre Kumpane in verschiedenen regionalen Regierungen, als „Kollaborateure“ anprangert, haben diese doch immerhin an den Verhandlungen zum Haushaltsentwurf teilgenommen und sogar einige Veränderungen erreicht. Umgekehrt werfen PP und Ciudadanos den Faschisten von VOX einen Mangel an staatstragender Verantwortung vor. Zitat: Sie haben Urlaub gemacht, statt im Parlament und in den Ausschüssen für einen besseren Haushalt zu kämpfen.
Die Kohäsion der Regierung ist derweil nicht in Gefahr, nachdem sich Unidas Podemos in einigen Kernforderungen wie Schutz gegen Zwangsräumungen, Steuererhöhungen für Reiche oder verstärkte Investitionen in das öffentliche Erziehungs- und Gesundheitssystem durchgesetzt hat. Solange der EU-Hilfsfond zur Rettung aus der Coronakrise durch Polen und Ungarn blockiert ist, weiß allerdings keiner, wie der verabschiedete Haushalt am Ende finanziert werden soll. Sollte es deshalb nicht noch zum Krach in der Koalition kommen, ist der Weg der Regierung für eine „andere“ Politik jedenfalls jetzt erst einmal frei. Bei alledem darf natürlich nicht vergessen werden, dass es im Land genug Kräfte gibt, angefangen bei Justiz und Kirche, die diese Politik zu sabotieren versuchen werden.
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