Für Ukraine-Berichte gilt das Prinzip: Das Kriegsnarrativ nicht gefährden
Meinung Wenn die Selenskyj-Regierung bei der Frage nach der Verantwortung für den Raketeneinschlag in Polen herumeiert, scheint das für Korrespondenten und Kommentatoren ein Auftrag zu sein, es ähnlich zu halten
An der polnischen Grenze wird der Einschlag der Raketen noch untersucht
Foto: Omar Marques/Getty Images
Diese Tage hat sich Fassungslosigkeit zu einem Hirnsausen verstärkt: Obwohl die USA nach den Raketeneinschlägen im Osten Polens umgehend mitteilten, nach den ihnen verfügbaren Daten über die Flugbahn wäre von einer verirrten Rakete der ukrainischen Flugabwehr auszugehen, redete selbst die öffentlich-rechtliche Tagesschau am Tag danach noch ausführlich um den heißen Brei herum.
Präsident Selenskyj hatte schließlich umgehend verkündet, das wären die Russen gewesen, und die Anwendung des Artikels 5 des NATO-Vertrags sei zwingend. Und wer wagt schon, Selenskyj zu widersprechen. Selenskyj im Klartext: auf in den Dritten Weltkrieg. Und der (noch nicht entschiedene) Wunsch nach der Zulassung ukrainischer Spezialisten an der Untersuchung d
der Untersuchung des Vorfalls – von deutschen Medien ausführlich berichtet – lässt die Version weiter herumwabern, die Russen wären es gewesen.Und dann setzt Annalena Baerbock die Spitze drauf: Wer auch die Rakete abgeschossen hat, die Russen seien verantwortlich, denn sie hätten ja schließlich die Ukraine angegriffen. Für die russische Seite wäre es nach dieser Logik ein Leichtes, darauf zu antworten: Schuld an dem Raketeneinschlag hat die NATO, denn ohne ihr Vorrücken an Russlands Grenzen hätte es den Einmarsch in die Ukraine nicht gegeben.Parallele Nord-Stream IIEinige Zeit zuvor die Zerstörung an der Nord-Stream-Pipelines: Als sofort zirkulierende Version, die als die glaubwürdigste ausgegeben wurde, ging durch die Medien, die Russen wären es gewesen. Da es selbst in den Kopf des dümmsten deutschen Medienkonsumenten nur schwer hineingeht, die Russen hätten ihre eigene Trasse – eine Milliarden-Investition – zerbombt, fing das Nebelkerzenwerfen an: Die Täter würden in einer länderübergreifenden Untersuchung ermittelt. Einige Zeit darauf ließ die deutsche Regierung mitteilen, die Veröffentlichung der Ergebnisse würde das Staatswohl dermaßen gefährden, dass die höchste Geheimhaltungsstufe verhängt werden müsse.Wenn es doch die Russen gewesen sein sollen, was ist daran für Deutschland so brisant? Dass das gesamte Ukrainekrieg-Narrativ in Gefahr geraten könne? Dabei war doch Joe Biden ganz entspannt, als er Anfang Februar sagte, im Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine werde es „kein Nord-Stream II mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen“. Dabei hat er natürlich nicht ausgeschlossen, dass die „Drecksarbeit“ von den immer dienstbeflissenen Briten übernommen werden könnte.Erste Spuren des Hirnsausens: keines der deutschen Prestigemedien fragt nach, wieweit eine solche Geheimhaltung rechtens ist und – Recht hin oder her – ob es nicht ein Skandal ist, gegen die deutsche Öffentlichkeit eine solche Informationssperre zu verhängen.Und noch etwas davor: die teilweise Sprengung der Brücke, die Russland mit der Krim verbindet. Auch hier wurden von der ukrainischen Regierung phantasievolle Storys erfunden, die die Täter in Russland verorteten. Doch dann fiel Außenminister Dmytro Kuleba auf einen Fake-Anruf herein. Das Gespräch gipfelte in seinem Satz: „Wenn Sie mich fragen, wer auf der Krim oder in Belgorod (russische Stadt, nicht weit von der ukrainischen Grenze – E.L.) etwas in die Luft sprengt, dann sage ich Ihnen im Privaten, ja, das waren wir.“ Die deutschen Medien berichteten zwar kurz darüber, aber wie über eine Anekdote. Von keinem Korrespondenten wurde Kuleba danach zur Rede gestellt.Geheimdienste sind plötzlich „transparente Informationsquellen“Als später wegen weiterer ukrainischer Angriffe auf russische Kriegsschiffe Russland den Getreideexport-Korridor in Frage stellte mit der Begründung, die Ukraine würde ihn militärisch ausnutzen, gab es in den deutschen Medien allgemeine Empörung, aber keinen Versuch, dem russischen Vorwurf nachzugehen, der bedeuteten würde, dass nicht Russland, sondern die Ukraine den Getreideexport gefährdete. Und so weiter und so fort. Oder: Nach den täglichen Berichten der Ukraine zu gezielten russischen Bomben- und Raketenangriffen auf zivile Ziele wie Schulen, Krankenhäuser usw., kurzum: Berichten zu den „täglichen Kriegsverbrechen“ Russlands, gab es den Vorwurf von Amnesty International, diese Gebäude würden militärisch genutzt. Auch eine solche Nachricht ist in deutschen Medien kaum eine Randbemerkung wert. Keiner stellt die Frage, ob denn nun diese militärische Nutzung aufgehört hat. Was dagegen ständig und ausführlich aufgegriffen wird, sind die neuesten Enthüllungen und Analysen des britischen Geheimdienstes (korrekter Schlusssatz bei ntv immer: „Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor“, eine Art Freispruchmantra für den Verrat journalistischer Grundregeln). Man mache sich das mal klar: Geheimdienste, bekannt für ihre gnadenlose Suche nach „Wahrheit“ und „Transparenz“, sind zu einer entscheidenden Informationsquelle geworden. Expertise von Scott RitterAktuelle Umfragen ergeben, dass inzwischen 40 Prozent der Deutschen, Tendenz steigend, für die russische Version zum Ukraine-Krieg empfänglich sind. Die Frage ist, ob und wie der angerichtete Schaden an der zuvor noch vorhandenen Rest-Glaubwürdigkeit der deutschen Medien und insbesondere der Presse jemals wieder repariert werden kann.Dass es auch anders geht, zeigt Spanien, ein Land, das sonst nicht gerade durch die Qualität seiner Medien hervorsticht: In der angesehenen Zeitung Diario16 findet sich am 25. September ein Artikel mit der Überschrift: Die unverzichtbare Analyse von Scott Ritter über den Konflikt mit Russland: Den Sturm ernten. Hier öffnet sich ein Horizont, dem sich die große Mehrheit der deutschen Medien völlig verschließt. Für sie ist eine Erweiterung des Horizonts ganz offensichtlich alles andere als „unverzichtbar“.Bis auf wenige Ausnahmen haben sich die deutschen Journalisten voll in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt. Scott Ritter, ranghoher Militär und ehemaliger Beauftragter für die Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak, liefert tägliche Einschätzungen zum Ukraine-Krieg im globalen Kontext, basierend auf einer Fülle von Informationen. Diese Einschätzungen können in telegram verfolgt werden. Selbstverständlich kann man mit diesen Bewertungen einverstanden sein oder nicht. Es wäre interessant zu wissen, wie viele deutsche Journalisten den Namen „Scott Ritter“ schon einmal gehört haben. Am Ende sei trotz allem bekräftigt: Der Angriff Russlands auf die Ukraine hört nicht auf, völkerrechtswidrig zu sein.
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