Gesten statt Harakiri

Spanien Madrid und Barcelona spielen beim Thema „Selbstbestimmung für Katalonien“ auf Zeit
Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez und der katalanische Präsident Quim Torra
Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez und der katalanische Präsident Quim Torra

Foto: Gabriel Bouys/AFP/Getty Images

Vor acht Wochen wurde Pedro Sánchez im zweiten Wahlgang mit knapper relativer Mehrheit zum neuen RegierungschefSpaniens gewählt. Entscheidend war dabei die Stimmenthaltung der katalanischen Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana (ERC). Seitdem ist es um die neue Regierung erstaunlich ruhig geblieben – nach der Hochspannung vorher für den Beobachter eine Überraschung. Die entscheidende „Nagelprobe“ steht allerdings noch bevor, nämlich die Verabschiedung eines Haushalts. Der spanische Staat hält sich seit Jahren mit Verlängerungen des Haushalts der letzten Regierung der Rechtspartei Partido Popular unter Mariano Rajoy am Leben.

Aber immerhin hat auch hier Pedro Sánchez eine erste Hürde genommen: Am 27. Februar wurde – wieder dank Enthaltung von ERC und der baskischen Unabhängigkeitspartei BILDU – ein „Deckel“ für die Gesamtausgaben beschlossen, also für das zulässige Defizit. Ein solcher Deckel ist die Voraussetzung für den Beginn der Haushaltsverhandlungen. Ohne die Überwindung dieser Hürde wären die Tage der Regierung Sánchez gezählt gewesen. ERC versuchte, seine Enthaltung wie schon bei der Wahl von Pedro Sánchez vor dem katalanischen Publikum zu rechtfertigen: Ein Haushalt für den spanischen Staat würde sie zwar „einen Dreck“ interessieren, es wäre ihnen aber um die Fortsetzung der Verhandlungen mit der spanischen Regierung über die Zukunft Kataloniens gegangen, und in dieser Frage ist ihre unumstößliche Forderung die Selbstbestimmung. Am ersten Treffen des Verhandlungstisches in Madrid, dessen Einrichtung ERC als Bedingung für die Stimmenthaltung bei der Wahl von Sánchez durchgesetzt hatte, saßen sich Pedro Sánchez und der katalanische Präsident Quim Torra gegenüber. Es fand genau einen Tag vor der Abstimmung über den „Haushaltsdeckel“ statt, bei der Quim Torras Partei JxCat – aus Belgien „ferngesteuert“ durch Puigdemont – mit „Nein“ stimmte. Über diesen ersten Verhandlungstag verlautete von beiden Seiten lediglich, man hätte offen und in freundlicher Atmosphäre miteinander gesprochen und sich auf weitere monatliche Treffen geeinigt.

Es ist absolut klar, dass das Thema „Selbstbestimmung für Katalonien“ für die Madrider Regierung ein Tabu ist, denn jedes Zugeständnis in dieser Frage würde erstens das politische Harakiri für Pedro Sánchez bedeuten, das in seiner eigenen Partei PSOE eingeschlossen. Es würde aber zweitens eine Änderung der spanischen Verfassung erfordern, die nur mit einer auf längere Sicht unerreichbaren Zweidrittel-Mehrheit möglich wäre. Das wissen auch die Katalanen.

Es darf also gefragt werden, was das Ganze soll. Die plausibelste Antwort: Beide Seiten wollen Zeit gewinnen: Den Katalanen geht es darum, eine baldige Ablösung der „fortschrittlichen“ Regierung von Sánchez durch eine rechte, von der faschistischen Partei VOX gestützte Regierung zu vermeiden, die ihren Führern schnell den Prozess machen würde. Und Pedro Sánchez hofft, vielleicht durch Gesten den Konflikt mit Katalonien doch irgendwie zu entschärfen. Die ersten dieser Gesten haben bereits stattgefunden: Die von der Regierung vorgeschlagene neue Generalstaatsanwältin Dolores Delgado, bis dahin Justizministerin unter Sánchez, ist offensichtlich zu einer juristischen Deeskalation bereit. Ihre Ernennung hat einen Aufschrei der rechten Opposition ausgelöst, die den Vorgang vor Gericht bringen will. Zugleich arbeitet die Regierung an einer Reform des Strafgesetzbuchs, die die Straftatbestände „Aufruhr“ und „Rebellion“ und die dafür vorgesehenen Strafmasse wesentlich einschränken soll. Davon würden rückwirkend die im Gefängnis sitzenden Führer des katalanischen Unabhängigkeitsprojekts profitieren – und auch Puigdemont im Fall einer denkbaren Auslieferung. Zu diesen Gesten passt, dass die Gefängnisverwaltung in Lledoners, unter Protest der Staatsanwaltschaft,gerade dem Antrag des zu 13 Jahren Haft verurteilten Oriol Junqueras zugestimmt hat, drei Tage in der Woche für jeweils 6 Stunden Freigang zu haben, um als Dozent an einer katalanischen Universität zu lehren.

Die Frage ist, ob sich die katalanischen Unabhängigkeitspolitiker mit solchen Gesten ihre Forderung nach Selbstbestimmung abkaufen lassen. Zum Glück für Sánchez krankt die Mobilisierung der rechten Opposition gegen diese Entspannungsstrategie der Madrider Regierung zurzeit daran, dass sowohl der Partido Popular als auch die Partei Ciudadanos gerade wegen innerer Richtungskämpfe stark mit sich selbst beschäftigt sind.

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