Institutionelle Strukturen in Auflösung

Spanien In der Region Murcia wird das korrupte Agieren der Rechtspartei Partido Popular öffentlich. Es folgt eine politische Kettenreaktion, die eines Rechtsstaates unwürdig ist
Isabel Díaz Ayuso ist Präsidentin der Region Madrid. Sie managt nicht nur die Corona-Krise schlecht, sondern hat scheinbar auch wenig Probleme mit Faschisten
Isabel Díaz Ayuso ist Präsidentin der Region Madrid. Sie managt nicht nur die Corona-Krise schlecht, sondern hat scheinbar auch wenig Probleme mit Faschisten

Foto: Carlos Alvarez/Getty Images

Alles begann in der autonomen Region Murcia, als ein Unternehmer auspackte, der immer wieder bei Ausschreibungen leer ausging. Aus Angst vor den Folgen seines Auspackens redete er erst, als ihm seine Anonymität garantiert wurde. Er erzählte von der Hauptstadt Murcia als „point zero“ eines mafiösen Netzes, das von dem dort in Koalition mit der Partei Ciudadanos regierenden Partido Popular (PP) kontrolliert wird.

Das funktioniert folgendermaßen: Die Region Murcia mit knapp 1,5 Millionen Einwohnern besteht aus der Hauptstadt (ca. 500.000 Einwohnern) und 45 umliegenden Gemeinden, die von ehrenamtlichen Bürgermeistern regiert werden. Der PP sucht geeignete, ihr zugeneigte Kandidaten für diese Ämter aus (nicht notwendigerweise Parteimitglieder). Diesen wird ein Job in einem mit der Partei verbandelten Unternehmen angeboten, verbunden mit der Anweisung, die restlichen Plätze des Gemeinderats mit kooperationsbereiten Freunden und Verwandten zu besetzen. Diese werden ebenfalls mit Jobs versorgt: auf niedererer Ebene in den zur Mafia gehörenden Unternehmen, in der Gemeindeverwaltung, der Stadtreinigung, Pförtnern usw. Es handelt sich um einen gezielten Stimmenkauf für die Partei, der pyramidenförmig organisiert ist. Steht eine Ausschreibung an, erhalten die verbandelten Unternehmen – auch bei wesentlich ungünstigeren Angeboten – den Zuschlag, was durch Zahlungen an den PP und/oder „großzügige“ Zuwendungen an den jeweiligen Gemeindehaushalt belohnt wird. Bei den Unternehmen handelt es sich um potente Firmen wie Acciona, La Generala, FCC, Ferrovial usw. Die nicht zu diesem mafiösen Netz gehörenden Firmen gehen dabei meist leer aus.

Misstrauensvotum dürfte scheitern

In diesem System werden illegale Parteienfinanzierung und Stimmenkauf für den PP geschickt miteinander verknüpft. Auf diese Weise hat sich der PP seit 25 Jahren in Murcia die Macht gesichert, wenn auch seit den letzten Wahlen mit Beteiligung von Ciudadanos und unter Duldung der faschistischen Partei VOX. Die Indizien waren von so erdrückendem Gewicht, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen musste. Und bei Ciudadanos hatten sie nun das Problem, dass sie seinerzeit, auf dem Höhepunkt der Korruptionsskandale des PP, als Antikorruptions- und Transparenzpartei angetreten waren. Da zudem die Situation der Partei als Koalitionspartner der Rechtspartei PP immer ungemütlicher wurde (Duldung der Regierung durch die seit dem Einbruch des PP bei den letzten Wahlen in Katalonien erstarkenden Faschisten), wollten sie die Gelegenheit zu einem Befreiungsschlag in Murcia nutzen: Sie vereinbarten mit den Oppositionsparteien PSOE und Podemos ein Misstrauensvotum, mit ausreichender Mehrheit, um den die Korruption anführenden Präsidenten Fernando López Miras zu stürzen.

Einen Tag später hatte der PP drei Abgeordnete von Ciudadanos, die gerade noch für das Misstrauensvotum gestimmt hatten, gekauft, und die Mehrheit war dahin. Und gekauft ist wörtlich gemeint, denn einer von ihnen rettete auf diese Weise sein Amt in der Regierung und die beiden anderen wurden umgehend mit zwei neu geschaffenen Posten in der Regierung belohnt. Das alles fand statt, nachdem im November letzten Jahres alle beteiligten Parteien einen Anti-Überläufer-Pakt geschlossen hatten. Wie einleitend beschrieben und von Ciudadanos treffend kommentiert, fehlt es dem PP in Murcia nicht an illegalem Geld, um einen solchen Kauf von Abgeordneten zu finanzieren. Damit dürfte das geplante Misstrauensvotum erfolglos bleiben und Murcia als „point zero“ der Korruption weiter funktionieren wie bisher.

Das dortige Geschehen hatte jedoch eine Kettenreaktion zur Folge. Deren Auslöser war Isabel Díaz Ayuso, bekannt geworden durch ihr skandalöses Management der Corona-Pandemie in der Hauptstadt. Sie ist Präsidentin der vom PP angeführten Regierung der autonomen Region Madrid (wie in Murcia in Koalition mit der Partei Ciudadanos und toleriert von der faschistischen Partei VOX) und sie überkam die Angst, dass sich das Geschehen in Murcia in Madrid wiederholen könnte. Auch ihre Koalition mit Ciudadanos litt an fortgeschrittener Zerrüttung, bei gleichzeitigen Annäherungsversuchen ihres Partners an die Sozialisten. Um der möglichen Absprache eines Misstrauensvotum zwischen Ciudadanos und der Opposition aus Sozialisten, Podemos und Más Madrid zuvorzukommen, ordnete sie vor einigen Tagen kurzerhand die Auflösung des Madrider Parlament an und setzte vorgezogene Neuwahlen an.

Die genannten Parteien reagierten schnell und beschlossen tatsächlich und fast zeitgleich ein Misstrauensvotum gegen Ayuso – ein, wie sie versichern, bis dahin nicht geplanter Schritt. Da die Entscheidung von Ayuso in diesem Moment noch nicht im offiziellen Regierungsbulletin veröffentlicht und damit eigentlich noch nicht rechtskräftig war, endete das Ganze vor dem Obersten Gerichtshof der autonomen Region Madrid. Die Justiz stellte sich wie so oft auf die Seite der Rechtspartei PP und Ayuso darf am 4. Mai wählen lassen.

Wer ist das Gegengewicht zur korrupten Rechten?

Währenddessen laufen führende Figuren der Partei Ciudadanos zur Rechtspartei PP über und werden dort herzlich und großzügig empfangen. Es scheinen die Totenglocken für diese Partei zu läuten. Die noch im April 2019 mit fast 16 Prozent als liberales Gegengewicht zur korrupten Rechten ins spanische Parlament eingezogene Partei ist dabei, sich in Luft aufzulösen.

Die Auswirkungen dieses massiven politischen Erdbebens in Spanien nehmen kein Ende: Gerade hat Pablo Iglesias, Generalsekretär der Partei Podemos und Vizepräsident in der Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez, bekanntgegeben, dass er seine Ämter in der spanischen Regierung aufgibt, um als Spitzenkandidat seiner Partei in den Madrider Wahlkampf zu ziehen. Ziel: eine linke Regierung und das Verhindern einer rechts-faschistischen Regierung unter Isabel Ayuso im Bündnis mit der Partei VOX.

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