Das Wort „Kloake“ häuft sich seit einiger Zeit in spanischen Medien. Zunächst fiel es, wenn von einem neueren unter vielen Skandalen die Rede war, der sogenannten Operation „Kitchen“. Innenminister Diaz von der inzwischen abgelösten Regierung der konservativen Volkspartei (PP) hatte eine spezielle Brigade der Nationalpolizei aufgestellt, um die Feinde Spaniens (was heißen will: die Feinde des PP) zu neutralisieren. Public Enemy Nr. 1 waren damals schon die katalanischen „Separatisten“, die mit allen Mitteln zu bekämpfen waren. Diese ohne richterliche Ermächtigung agierende Truppe fabrizierte serienweise Korruptionsvorwürfe gegen Prominente wie Artur Mas, Xavier Trias und andere aus den katalanischen Parteien, die sich allesamt als „fakes“ erwiesen.
Wie der gegenwärtige Prozess gegen katalanische Politiker zumindest ahnen lässt, war das aber nur eine der „Kloaken“. Schon während der ersten Verhandlungsphase stellten die Verteidiger hartnäckig Fragen zum „Bezirksgericht Nr. 13“ in Barcelona. In der Zeit vor der Abstimmung über die Unabhängigkeit am 1. Oktober 2017 waren über 40 höhere Regierungsbeamte von der Guardia Civil verhört worden, um mehr über das Referendum zu erfahren und dieses zu vereiteln. Wie bekannt erfolglos. Auf die Frage der Presse, ob es dafür eine richterliche Ermächtigung gebe, wurde auf das „Bezirksgericht Nr. 13“ verwiesen. Der dort verantwortliche Richter – er hieß Juan Antonio Ramírez Sunyer und ist zwischenzeitlich verstorben – bestritt das. Drets, eine katalanische Anwaltsvereinigung zur Verteidigung der Grundrechte, erstattete daraufhin Anzeige gegen die Guardia Civil wegen der ohne richterliche Ermächtigung geführten Verhöre.
Das Klageverfahren wurde vom „Bezirksgericht Nr. 13“ umgehend zu den Akten gelegt. Dann aber griff das Oberste Gericht Kataloniens die Klage wieder auf. Das Ergebnis: Richter Ramírez räumte mit einem Jahr Verspätung ein, er habe die Verhöre veranlasst. Das heißt, er hatte die Öffentlichkeit belogen. Zugleich betonte er aber, es sei nur um einen spezifischen und begrenzten Ermittlungsauftrag gegangen. Wären dabei Hinweise auf Rebellion oder Umsturzpläne aufgetaucht, was bis dahin nicht der Fall gewesen sei, hätte man das Verfahren sofort an die Audiencia Nacional, den dafür zuständigen Nationalen Gerichtshof, abgegeben, heißt es.
Rechtswidriges Vorgehen
Alles gelogen. Inzwischen steht fest, dass sämtliche Ermittlungen zum Referendum in den Händen des „Bezirksgerichts Nr. 13“ in Barcelona lagen, das damit Mitglieder der Guardia Civil beauftragte. Das rechtswidrige Vorgehen des Richters Ramírez Sunyer, zu dieser Zeit schon schwer erkrankt, wurde prompt von Carlos Lesmes, damals Vorsitzender der Obersten Spanischen Justizbehörde CGPJ, gebührend gewürdigt. In einem Brief schrieb er Sunyer: „Du hast die Geschichte des Landes gewendet.“
Angesichts solch eklatanter Rechtsverstöße musste Manuel Marchena, Vorsitzender Richter im laufenden Prozess, nun einräumen, es wäre in dieser Sache wohl nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, aber das ließe sich während des Verfahrens beheben. Doch kommt hinter dieser „Kloake“ sogleich die nächste zum Vorschein: Vor einiger Zeit geisterten in Spanien Tweets durchs Netz, in denen ein gewisser Tácito gegen alles Katalanische zu Felde zog: Politiker, Journalisten, Polizisten. Einer der wenigen „Follower“ war ein Daniel Baena. Recherchen von Experten ergaben, dass Baena und Tácito ein und dieselbe Person sind. Es handelt sich um einen Oberstleutnant, den Chef der kriminalpolizeilichen Abteilung der Guardia Civil in Katalonien. Dieser hat höchstselbst die Beweismittel für den Prozess am Obersten Gericht (TS) nach Madrid geliefert (und liefert diese immer noch). Bisher blieb das ohne Folgen.
Dass die Justizbehörde CGPJ selbst eine „Kloake“ ist, zeigten der Aufstieg von Pablo Llarena zum Richter am Obersten Gericht und seine Ernennung zum Ermittlungsrichter in der causa „procès“, ein Verstoß gegen alle Regeln und Kriterien. Llarena ist die Verwandlung des Verfahrens gegen die Katalanen in einen politischen Prozess zu verdanken, dessen Ziel darin besteht, die zivilgesellschaftliche Basis der Unabhängigkeitsbewegung zu zerschlagen.
Nur so ist zu erklären, dass den beiden „Jordis“ der Bürgervereinigungen ANC und Òmnium (Jordi Sànchez bzw. Jordi Cuixart) sowie Carme Forcarell, ebenfalls Vorsitzende von ANC vor ihrer Wahl zur Präsidentin des Parlaments in Barcelona, höhere Haftstrafen drohen als den Ministern der abgesetzten katalanischen Regierung. Das „Verbrechen“ von Forcadell: die vom Parlamentspräsidium auf die Tagesordnung gesetzte Abstimmung zur Unabhängigkeit. Das kann ihre „Gefährlichkeit“ eigentlich nicht erklären, doch ist sie als leidenschaftliche Kämpferin für die Souveränität Kataloniens bekannt und als charismatische Präsidentin der ANC in Erinnerung. Als solche soll an ihr jetzt offenbar ein Exempel statuiert werden.
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